
Am Horizont schwarzer Rauch, im Wasser angezündete Boote zwischen Militärschiffen und dann noch Delfine, die immer wieder aus dem Wasser springen. Es ist ein apokalyptisches Bild, an das sich der Bremer Hendrik Simon vom 3. Oktober 2016 erinnert – dem ersten von insgesamt sechs Einsätzen als Seenotretter im zentralen Mittelmeer, um Menschen auf der Flucht vor dem Ertrinken zu retten.
Nachdem zehn Tage lang wegen des durchwachsenen Wetters kaum etwas passiert war, fand sich die Crew der „Minden“ der deutschen Hilfsorganisation Cadus in einem 24-stündigen Einsatz wieder, als das Meer wieder ruhiger wurde. „Da waren wahnsinnig viele Boote“, erinnert sich Simon, „wir haben Rettungswesten verteilt und Boote evakuiert“.
Obwohl die „Minden“ nicht dafür ausgelegt war, musste sie zeitweise auch einige Gerettete aufnehmen. Simons Aufgabe dabei war, das Beiboot (englisch: Rigid Inflatable Boat RIB), zu steuern, da er dafür eine Lizenz hat. Später war der freiberufliche Informatiker mit den Freiwilligen-Organisationen Jugend Rettet und Sea-Watch im Einsatz.
Leben auf dem Mittelmeer zu retten, ist dem 43-Jährigen derzeit allerdings nicht mehr möglich: Gegen ihn und mehrere andere Mitglieder ermitteln derzeit die italienischen Behörden. Am 2. August 2017 wurde die „Iuventa“, das Schiff von Jugend Rettet, nach zehn Missionen in Italien beschlagnahmt. Der Vorwurf des Waffenbesitzes wurde laut Simon mittlerweile fallengelassen, die Zusammenarbeit mit kriminellen Organisationen wird Jugend Rettet jedoch noch immer vorgeworfen.
Wegen angeblicher Beihilfe zu illegaler Einwanderung müssen sich die zehn Crew-Mitglieder – und damit auch Simon – sowie Mitglieder der Organisationen Save the Children und Ärzte ohne Grenzen persönlich verantworten. Im Juni 2018 erfuhren sie von den Ermittlungen gegen sie. „Seitdem sind wir nicht mehr rausgefahren, davon haben uns die Anwälte abgeraten“, erzählt der Bremer.
Ob er sich mit seinem Einsatz strafbar machen könne, darüber habe er gar nicht nachgedacht, als er zum ersten Mal als Seenotretter in Richtung Mittelmeer aufbrach, sagt Simon. Vielmehr bezeichnet er solche Rettungseinsätze als „leider notwendig“. Freunde hatten ihn gefragt, ob er das Rib steuern könne. „Ich habe die Fähigkeiten, die gebraucht werden, und kann mir die Zeit nehmen“, sagt er.
Im vergangenen Jahr wertete die Londoner Rechercheagentur Forensic Architecture die Materialien aus, wegen derer die Vorwürfe gegen Hendrik Simon und der Crew von Jugend Rettet erhoben wurden – und widerlegte diese umfassend. Ermittelt wird trotzdem weiterhin und die Rechtsberater der Organisation gehen laut Simon davon aus, dass noch in diesem Jahr eine Anklage erhoben wird. Fünf bis 15 Jahre Haft drohten im Falle einer Verurteilung wegen Beihilfe zur illegalen Einreise in Italien. „Bei uns ist das ein schwerer Fall, deswegen sind es bis zu 20 Jahre“, ergänzt der 43-Jährige.
So ein Prozess dauere gut und gerne vier Jahre, wie vorherige Anklagen gezeigt hätten. Verurteilungen seien ihm bei humanitären Helfern nicht bekannt. Mehr als 1500 sogenannte „Scafisti“, Bootsfahrer, wurden allerdings laut dem britischen „Guardian“ in Italien seit 2013 verhaftet. Oft seien diese jedoch von den Schmugglern dazu gezwungen worden oder hätten aus der Not heraus das Ruder übernommen.
Die Vorwürfe gegen sich und die Crew-Mitglieder bezeichnet Hendrik Simon als „absurd“. Für ihn ist klar: „Es ist das Richtige, ich würde es wieder machen.“ Vor ein paar Jahren hätte er es noch nicht für möglich gehalten, dass so etwas in Europa möglich sei. Das bezieht er auch auf die Flüchtlingspolitik selbst und dass Rettungsschiffe daran gehindert werden, an europäischen Häfen anzulegen: „Die EU versucht, Menschen nach Libyen zu schicken und auszulagern. Aber die sogenannte libysche Küstenwache akzeptiert keine Menschenrechte.“ Es sei zudem ein Irrglaube, dass Menschen nicht mehr über das Mittelmeer nach Europa kämen oder nicht mehr im Mittelmeer ertränken.
Auf dem Seeweg nach Europa
Laut der Internationalen Organisation für Migration kamen im Jahr 2018 etwa 117.000 Menschen auf dem Seeweg nach Europa, knapp 2300 sind nachweislich ertrunken oder werden vermisst – allerdings wird eine höhere Dunkelziffer vermutet. Auch der erste Mensch, den Hendrik Simon nach eigenen Angaben auf seinem RIB aufnahm, war ein Verstorbener. „Ich habe mich auf das Schlimmste eingestellt und das ist dann auch gleich passiert“, erinnert sich der Bremer. Doch er könne gut zwischen den Einsätzen und dem Privatleben trennen, wie es auch Feuerwehr- oder Rettungskräfte müssten. Inzwischen hält Simon immer wieder Vorträge, das helfe auch ihm, mit dem Erlebten umzugehen. Zudem engagiert sich der 43-Jährige weiterhin in verschiedenen Organisationen auf dem Festland.
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