
Zehn Minuten am Brill, und man hat so ziemlich jede Situation im Kasten, die dort gefährlich werden kann. Eine komprimierte Fassung der Probleme, die jüngst bei einem Unfall mit zwei Toten ihren traurigen Höhepunkt fanden. Seitdem wird – wieder einmal – mit Verve über den Brill diskutiert. Die Verkehrsbehörde lässt nach dem Unfall prüfen, ob Tempo 30 möglich ist. Sicher ist bereits, dass weitere Ampeln aufgestellt werden. Doch kann das alles sein? Wie tief liegen die Gründe, weshalb die Kreuzung in den vergangenen Jahrzehnten nie wirklich in den Griff bekommen wurde? Muss möglicherweise radikaler gedacht werden, um endlich eine Lösung zu finden?
Die Straßenbahnen der Linien 2 und 3 rumpeln über die Kreuzung und machen so viel Lärm, dass die Aufmerksamkeit schon einmal stark gebunden ist. Sie kommen aus der Hutfilterstraße, dem Appendix der Obernstraße, und aus der Faulenstraße, die das Stephaniviertel an die City heranführt. Über die Bürgermeister-Smidt-Straße führt die Linie 1. Die Bahnen haben Vorrang, sie sind der Taktgeber für den Brill.
Gäbe es die Straßenbahnen nicht, täten sich auf dem Platz ganz andere Möglichkeiten auf. Mehr freier Raum zum Beispiel vor dem alten Sparkassengebäude. Das Gelände hinter dem imposanten Haus wird in den nächsten Jahren neu entwickelt. Die Sparkasse siedelt zur Universität um und hat ihr Areal in der Innenstadt an einen Investor verkauft, der neue Nutzungen schaffen will, die mit Sicherheit auch auf den Brill ausstrahlen werden.
Diskussionen, die Straßenbahn aus der Obernstraße herauszunehmen und in die Martinistraße zu verlegen, flammen immer mal wieder auf, sind genauso schnell aber auch wieder erloschen. Für die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) ist das Thema ein unwillkommener Wiedergänger, einfach nicht tot zu kriegen ist: "Jedes Jahr wieder", stöhnt BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer. Aus seiner Sicht wäre es barer Unsinn, die Bahn nicht mehr durch die Obernstraße fahren zu lassen. "Die Einzelhändler würden schwer darunter leiden", erklärt Meyer. Die Erreichbarkeit der Geschäfte sei das A und O, barrierefrei und möglichst, ohne umsteigen zu müssen.
Just die Handelskammer als Vertretung auch des Einzelhandels sieht das offenkundig anders und überlegt, eine mögliche Verlegung der Straßenbahn neu und grundlegender als bisher anzupacken: Von der Obernstraße nicht in die Martinistraße, sondern dorthin, wo auf der anderen Seite der Weser in der Neustadt bereits Gleise liegen. Mit diesem Tenor hatte sich Kammer-Präses Harald Emigholz geäußert. Ein noch sehr vager Gedanke, der aber weitergesponnen werden könnte. "Wir werden uns in der nächsten Zeit in unseren Gremien damit befassen, ob es sinnvoll ist, eine vertiefte gutachterliche Betrachtung dafür anzustrengen", teilt die Kammer mit.
Die Linien 1 und 8 auf der Bürgermeister-Smidt-Straße blieben davon unberührt. Sie geraten in den Fokus, weil die Stadt erwägt, die Haltestelle am Brill zu verlegen. Von der einen Seite der Kreuzung hinüber auf die andere. Sie würde dann ungefähr in Höhe der Wandschneiderstraße liegen, mit dem Vorteil, dass die Fahrgäste, um in die Innenstadt zu kommen, keine Straße mehr überqueren müssen. Die Wandschneiderstraße führt direkt auf den Ansgarikirchhof.
Eine ältere Dame steht an der Fußgängerampel. Sie kommt von der Sparkassenseite und will die Bürgermeister-Smidt-Straße überqueren, um die Hutfilterstraße zu erreichen. Die Frau ist nicht mehr gut zu Fuß, sie geht am Rollator. Wird sie es schaffen? Reicht die Grünphase aus, damit sie unbeschadet die Straßenseite wechseln kann? Vier Fahrspuren immerhin, die sie meistern muss, dazwischen auch noch die Gleise der Straßenbahn. Doch kein Problem, die Frau ist zwar langsam, aber nicht zu langsam. Genau in der Sekunde, als sie am Ziel anlangt, springt die Fußgängerampel auf Rot.
"Wir rechnen bei Fußgängern mit 1,2 Metern pro Sekunde", erklärt Martin Stellmann, Sprecher des Amtes für Straßen und Verkehr (ASV). Das ist die Zeit für den Gang über die Ampel. In Berlin seien es 1,5 Meter pro Sekunden. An der Spree müssen sie sich also sputen, bevor die "feindlichen Verkehrsströme einsetzen", wie Stellmann das ausdrückt. Wäre die ältere Dame am Brill doch nicht schnell genug gewesen, hätte es immer noch einen kleinen Zeitpuffer gegeben, bis die Autofahrer Grün bekommen. Und selbst dann: "Bei Rot muss strikt gehalten werden, bei Grün darf aber natürlich nicht gefahren werden, wenn das wegen der Fußgänger nicht möglich ist", sagt der ASV-Sprecher.
Bis vor neun Jahren gab es den Tunnel, die ganz andere Art für Fußgänger, am Brill von der einen zur anderen Seite zu kommen. Die Unterführung hatte zehn Zugänge und war anfangs sehr belebt. Es gab verschiedene Kioske und Imbisse, eine Fleischerei, zwei Bäcker, Verkaufsstellen für Fisch und Käse und die Möglichkeit, direkt zur Sparkasse zu gelangen. 1968, als der Tunnel eröffnet wurde, feierten die Bremer ihn als Attraktion, doch mit den Jahren und Jahrzehnten ließ das nach. Zuletzt war er eine Graffiti-Gruft mit Mief und Müll. "Da ist die Zeit drüber hinweggegangen, die Fußgänger haben die Kreuzung irgendwann lieber oberirdisch überquert", erzählt Stellmann.
Zeitweilig wurden Pläne ventiliert, den Tunnel als Diskothek zu nutzen. Senatsbaudirektorin Iris Reuther findet die Idee gut, auch heute noch. "Cool!", sagt sie. Als jetzt am Brill der tödliche Unfall passiert ist, erinnerten sich auch andere an die Unterführung. "Die Fußgänger- und Verkehrsführung am Brill gehört auf den Prüfstand", forderte die FDP. Gerade die Wiederbelebung des Tunnels könne einen Mehrwert bieten. "Ob eine Öffnung für Fußgänger und Geschäfte oder sogar eine Nutzung als Unterführung für Autos sinnvoll ist, muss technisch und wirtschaftlich geprüft werden", so die Liberalen. Die Junge Union der CDU äußerte sich ähnlich.
Der Wagen ist schwarz, die Marke Mercedes. Mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit und röhrendem Motor rast das Auto über die Brill-Kreuzung. Der Fahrer zeigt, was er unter der Haube hat, er ist ein sogenannter Poser. Poser wollen Eindruck machen und tun das insbesondere in der Innenstadt – am Brill in der Nähe der Schlachte, auf der Martinistraße oder auf dem Rembertiring und dem Breitenweg unweit der Diskomeile. Die Polizei konnte diesem Treiben bisher nur wenig entgegensetzen. Eine Woche nach dem Unfall kontrollierte sie immerhin mal den Verkehr an der Bürgermeister-Smidt-Brücke, wo ein Motorradfahrer, der mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war, eine Frau überfahren hatte. Der Mann und die Frau sind an den Folgen des Unfalls gestorben.
Die Kontrolle in den Abendstunden brachte ein Ergebnis, mit dem selbst Pessimisten nicht gerechnet hatten. Von mehr als 50 überprüften Fahrzeugen waren 29 zu schnell. Einer der Fahrer beschleunigte nach Angaben der Polizei auf 93 Stundenkilometer und war damit fast doppelt so schnell wie erlaubt. Ein anderer besaß keine Fahrerlaubnis. Auch einige Poser fielen auf, die mit ihren Autos die Bürgermeister-Smidt-Straße hoch- und runterfuhren und darauf aus waren, mit möglichst viel Motorenlärm auf sich aufmerksam zu machen.
Tempo 30 ist für die Verkehrsplaner nicht der einzige mögliche Hebel, um den Auswüchsen des motorisierten Verkehrs am Brill Herr zu werden. Nachgedacht wird auch über einen Rückbau der Bürgermeister-Smidt-Straße und der Martinistraße. Bislang stießen solche Pläne stets auf den erbitterten Widerstand der Handelskammer, die das Auto unverändert als ein wichtiges Verkehrsmittel ansieht, um die Innenstadt und damit auch die Geschäfte zu erreichen. Doch angefangen bei der CDU, die der Kammer traditionell gewogen ist, gibt es langsam einen Sinneswandel.
Der CDU-Kreisverband, angeführt vom ehemaligen Bau- und Verkehrssenator Jens Eckhoff, hat vor knapp einem Jahr ein Papier verabschiedet, in dem vorgeschlagen wird, die Bürgermeister-Smidt-Straße zwischen Martinistraße und Am Wall für den Autoverkehr zu schließen. Die Martinistraße soll nach dem Vorschlag der CDU in beide Richtungen künftig nur noch einspurig befahrbar sein. Als Kompensation der Rückbauten bringen die Christdemokraten einen City-Ring ins Spiel, unter anderem mit den Straßen Am Wall, Altenwall, Tiefer, Wilhelm-Kaisen-Brücke, Westerstraße und Stephanibrücke.
Knapp noch rüber, da ist es schon Rot. Der Radfahrer wagt etwas, was ihm gerade am Brill schlecht bekommen könnte. Er ist auf dem Weg vom Stephaniviertel in die Martinistraße und befährt einen breiten, hellrot markierten Streifen. Die Radler werden an dieser Stelle sehr gut nachvollziehbar über die Kreuzung geleitet. Kein Problem, wenn sich alle an die Regeln halten. Doch das Beispiel zeigt, dass dies ein frommer Wunsch ist.
Anfang April war es nicht die Schuld der Radfahrerin, als sie am Eingang zur Hutfilterstraße mit einem Lastwagen zusammenstieß und bei dem Unfall tödlich verletzt wurde. Der Lkw-Fahrer hatte die junge Frau, die in Richtung Hauptbahnhof fuhr, beim Einbiegen vom Brill in die Hutfilterstraße übersehen, sie war im toten Winkel.
Auch wenn so ein Unfall an jeder anderen Straßeneinmündung passieren könnte, ist die Situation am Brill trotz der klaren Markierung auch für Radfahrer eine Herausforderung. Aufpassen müssen sie vor allem auf die Straßenbahnen und auf die Schienen, in denen die Reifen stecken bleiben können. An anderen Stellen konkurrieren die Radler mit den Fußgängern, vor allem in der Martinistraße, wo sich an den Ampeln oft Trauben bilden und auf den Radwegen nur schwer durchzukommen ist.
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