
In der Tabakfabrik Linz werden keine Zigaretten geraucht – stattdessen rauchen Köpfe. Zum Beispiel an der „Strada del Start-up“. Dort bietet die oberösterreichische Landeshauptstadt vielen jungen Unternehmern den Platz, den sie brauchen, um über neue Wege nachzudenken und sie womöglich auch zu gehen. Im Winkel Gruberstraße und Untere Donaulände, nur ein paar Schritte entfernt vom vielbesungenen Fluss, arbeiten in der ehemaligen Produktionsstätte, die unter Denkmalschutz steht, heute bereits mehr als Tausend Menschen – unter anderem in Design- und Werbebüros, in der Software-Entwicklung, als Spezialisten für Digitalisierung, als Anbieter von Ausstellungen und Veranstaltungen oder auf künstlerischer Ebene.
Zwischen den Städten Bremen und Linz gibt es traditionell, und zwar seit Hunderten von Jahren, vielfältige Verbindungen. Eine weitere kommt hinzu, ist allerdings noch nicht so bekannt: Die norddeutsche Hansestadt hat mit der ehemaligen Martin Brinkmann AG in Woltmershausen eine Tabakfabrik, die längst nicht mehr produziert. Das gigantische und stadtnahe Grundstück gehört zum „bremischen Inventar“. Die Gebäude sollen wiederbelebt werden.
Linz stellte sich vor einigen Jahren eine vergleichbare Aufgabe, als es galt, nach dem Aus der Tabakwarenherstellung eine Alternative zu finden. Die Fabrik war 2009 geschlossen worden, eine Tradition von über 150 Jahren ging damit zu Ende. Das Werk wurde zwar unverändert als profitabel eingestuft, aber gegen die strategische Entscheidung des japanischen Eigentümers war kein Kraut gewachsen.
Tabakfabrik Linz. Das war nun plötzlich Vergangenheit. Vorbei. Aber auch wenn keine Zigarren oder Zigaretten mehr gefertigt wurden, die Büros und Hallen auf dem großen Areal blieben zurück – allen voran das markante Haupthaus mit einer Länge von 226 Metern. Und heute? Keine Zigaretten oder Zigarren mehr, kein Rauch, kein Qualm, sondern Zukunftsgedanken und modernste Technologie. „Die Tabakfabrik ist für Linz ein wesentlicher Taktgeber und Botschafter der Entwicklung zu einer Digitalstadt“, sagt Chris Müller, Direktor für Entwicklung, Gestaltung und künstlerische Agenden der Tabakfabrik.
Die Gebäude in Linz waren und sind buchstäblich große Kunstwerke. Im Rechteck zwischen der Straße Untere Donaulände und Ludlgasse, zwischen Gruberstraße und Holzstraße hatten der Architekt Peter Behrens und sein Mitstreiter Alexander Popp in den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Fabrikationsanlage neu gebaut und mit einer Gestaltung geglänzt, die unverändert als etwas ganz Besonderes gilt. „Einer der konsequentesten Industriebauten der internationalen Moderne“, heißt es im Katalog zu einer Ausstellung, die das Linzer „Nordico“-Museum der Tabakfabrik widmete.
Wer aus Richtung Innenstadt kommt, sieht zunächst den „Zigarettenturm“, eine Stahlskulptur in Form einer Zigarettenschachtel, die oben offen ist und den Blick auf eine pralle Füllung und helle Filter freigibt. Das Kunstwerk im Pop-Art-Stil stammt von Karl-Heinz Klopf und Gerhard Knogler. Ein Stück weiter folgt einer der sechs Eingänge zur Tabakfabrik, die einst nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offen standen.
„U2“ heißt es auf einem Schild – die Langform lautet „Eingang Untere Donaulände Ost“. Ein übliches Werkstor erwartet die Besucher dort allerdings nicht. Vielmehr steht dort ein Eisenbahnwaggon als Eingang. Und das aus gutem Grund. Denn über die Gleise, die in die „Innereien“ der Fabrik führen, wurde einst nicht nur Tabak angeliefert, sondern auch Kohle.
Wer den Waggon hinter sich gelassen und so via „U2“ auf das Gelände gekommen ist, sieht auch bald, wofür der Brennstoff benötigt wurde. Umrahmt von den Bauten steht fast in der Mitte das Kraftwerk, das mit seinem hohen Schornstein aus Backstein ein Wahrzeichen der Tabakfabrik ist.
Der Platz ringsum trägt einen Namen, und zwar den des Architekten Peter Behrens. Er wurde 1868 in Hamburg geboren und ist 1940 in Berlin gestorben. Dazu noch ein – zugegeben etwas weiter hergeholter – Bezug zu Bremen: Behrens, Grafiker, Maler und als Architekt ein Autodidakt, wurde anfangs maßgeblich gefördert von der Hagener Künstlerfamilie Osthaus, deren Spross Manfred von 1989 bis 1993 Staatsrat in der Hansestadt war.
Peter Behrens schuf in Linz seinen letzten großen Fabrikbau. Es war, so „Nordico“-Leiterin Andrea Bina in einem ihrer Beiträge zum Ausstellungskatalog über die Tabakfabrik, „zugleich sein erster Entwurf im Sinne des Funktionalismus und der Neuen Sachlichkeit“.
Auf diesem Peter-Behrens-Platz kann man in der Nachbarschaft des großen Kraftwerks wählen: Soll der Weg zum Eingang des Haupthauses führen? In großen gelben Buchstaben steht dort an der Fassade in Versalien „Wegen Umbau geöffnet“. Ungewöhnlich und schon deshalb irgendwie einladend. Oder besucht man eine der wechselnden Ausstellungen in den Hallen, geht zu den Bühnen und Konzerten? Oder schaut zu den aufstrebenden Unternehmern, die an der „Strada del Start-up“ ihre Ideen verfeinern?
Die vielen Gäste, seit 2010 wurden mehr als 1,5 Millionen Besucher gezählt, können zunächst aber auch etwas weiter rechts im Haupthaus eine Tür öffnen, die zu einem Treppenhaus führt. Der Text von Andrea Bina lädt ein, diese Variante zu wählen: „Insbesondere die Stiegenhäuser sind exemplarisch für den umfassenden Gestaltungswillen der Architekten“, schreibt sie. Behrens und Popp hätten ein „Gesamtkunstwerk“ auch im Sinne des heutigen Corporate Design entstehen lassen. In „höchster Qualität“ sei im Innenleben des Gebäudes alles gestaltet worden – ob Bodenbelag oder Beschriftung, ob Türgriffe oder Beleuchtung. Zur Identifikation trage maßgeblich der türkise Farbton bei.
Diese Farbe, auch Linzer Blau genannt, ist zum Beispiel gleich an der Eingangstür zu sehen. Es geht dann gleich ein paar Stufen hinauf, und der Blick fällt auf ein ausladendes Keramikrelief. Darauf wird unter anderem daran erinnert, dass die Tabakfabrik nach den Entwürfen der Architekten Behrens und Popp erbaut wurde.
Das Treppenhaus ist ebenfalls nach ihren Vorstellungen gefliest worden. Die größeren braunen Segmente, alle horizontal angeordnet, symbolisieren den Tabak, die deutlich kleineren roten Streifen darüber und darunter das Feuer fürs Anzünden. Es geht durch Schwingtüren vorbei an großen Fenstern – mit Rahmen ebenfalls in Linzer Blau. Irgendwann erreicht man in diesem weitläufigen Bau zum Beispiel Räume, die der langjährige „Stern“-Karikaturist Gerhard Haderer reserviert hat. Seit Oktober 2017 betreibt Haderer in der Tabakfabrik eine „Schule“ zur Beschäftigung mit politischen, philosophischen und humanistischen Fragen. Wenige Wochen später eröffnete das Valie- Export-Center im ersten Geschoss des Haupthauses. Es widmet sich der Künstlerin Valie Export, die in Linz als Waltraud Lehner geboren wurde und heute längst als Medien- und Performancekünstlerin sowie Filmemacherin einen Namen hat. Ihr Künstlername ist an eine populäre österreichische Zigarettenmarke („Smart Export“) angelehnt.
Aber es ist in der Tabakfabrik Linz eben nicht nur Platz für Künstler. Neben den Experten für alles, was mit Computern zu tun hat, haben beispielsweise Fachleute für Marketing dort ihre Büros – oder Grafiker oder Architekten. Es gibt gleich hinter dem Haupteingang mit der genannten Ankündigung „Wegen Umbau geöffnet“ Verkaufsflächen, wo Fahrräder oder Malereiartikel angeboten werden, vom Pinsel bis zur Großleinwand. Es wird, weil auch dies zum Konzept der städtischen „Tabakfabrik Linz Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft mbH“ gehört, Essen und Trinken angeboten.
Zurück zum Peter-Behrens-Platz. „Grand Garage“ steht an einem der Gebäude an der Ostflanke des großen Tabakfabrikgrundstücks. Gleich hinter der Eingangstür wirkt das Technologieprojekt „Fibra“, und das wohl noch ein, zwei Jahre. So lange wird es schätzungsweise dauern, bis alle Teile der geplanten Wendeltreppe über drei Stockwerke von einem Computer und aus einem Faser-Kunststoff gefräst sind.
Nutzer oder Besucher kommen ohne diese Stiege per Fahrstuhl in die oberen Etagen. Das Stichwort: Makerspace, Raum für Macher. Auf rund 4000 Quadratmetern Nutzfläche steht modernstes Gerät parat. Es kann gebucht werden. Braucht man teures Digitales nur selten? Dann ist man hier richtig. Ist ein hochtechnisiertes Gerät zu voluminös für mein Büro? Auch dann ist man hier richtig.
Die Tabakfabrik Linz, im Besitz der Stadt und unter ihrer Regie, ist längst wieder zu einem lebendigen Ort geworden – mit mehr als 1000 zukunftsträchtigen Jobs ist der Verlust von gut bezahlen Industriearbeitsplätze mehr als ausgeglichen. Doppelt und inzwischen mehr als dreifach.
Kreative kommen in der „Grand Garage“ auf ihre Kosten. Laut Direktor Chris Müller reiht sie sich „als weiteres Glied“ in die Tabakfabrik-typische Kette von Forschung, Wissenschaft, Kunst, Ausbildung und Design ein. Unmöglich, alles zu benennen, was sich hier tut – unmöglich allerdings auch, etwas zu übersehen, was außerhalb der ehemaligen Werkshallen gleich hinter dem „Zigarettenturm“ von Klopf und Knogler beworben wird. „Da Vinci, Michelangelo, Botticelli, Raffael“ steht auf dem Plakat. Und drinnen? Im Ausstellungstrakt des Großkomplexes entlang der Gruberstraße gibt es Nachbildungen von Kunstwerken dieser Meister. Man muss also nicht unbedingt nach Florenz fahren, nach Paris oder London – der Besucherandrang zeigt: Manchmal reicht auch die Tabakfabrik Linz.
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