
Bei der Technikerausbildung in Bremen liegt offenbar einiges im Argen. Die Abschlussprüfungen im Frühjahr endeten für zahlreiche Teilnehmer, die sich den staatlichen Examen unterzogen, in einem Desaster. Dutzende Prüflinge, ein privater Ausbildungsträger und auch die Bildungsbehörde haben Anwälte eingeschaltet. Derweil kommt aus der Fachwelt grundsätzliche Kritik an Qualität und Methodik der beruflichen Weiterbildung in Bremen. In der örtlichen Wirtschaft hat bereits eine Absetzbewegung eingesetzt.
Staatlich geprüfter Techniker ist eine geschützte Berufsbezeichnung. Führen darf sie, wer in Vollzeit oder neben seiner Erwerbstätigkeit eine mehrjährige Weiterbildung an einer Fachschule für Technik absolviert und mit einem bestandenen Staatsexamen abgeschlossen hat.
Das Bildungsangebot wendet sich vor allem an aufstiegsorientierte Facharbeiter aus dem Metall- und -Elektrobereich, die ihre beruflichen Chancen verbessern möchten. „Manchen geht es gar nicht in erster Linie ums Geld, sondern um die Sicherung ihrer Zukunft in einer sich rasch verändernden Berufswelt“, sagt Frank Dederichs, der lange Jahre in leitender Position bei einem privaten Bremer Weiterbildungsträger tätig war und sich 2017 in Lüneburg mit einer eigenen Fachschule selbstständig gemacht hat.
Die Bedeutung der Technikerausbildung könne man in Zeiten von Industrie 4.0 und verschärftem Fachkräftemangel gar nicht hoch genug bewerten, ist Dederichs überzeugt. Doch in Bremen sei diese wichtige Talentschmiede für technologieintensive Unternehmen in den vergangenen Jahren heruntergewirtschaftet worden.
Die Verantwortung dafür sieht Dederichs sowohl beim Bildungsressort des Senats als auch bei einzelnen Anbietern der Technikerausbildung. In der Hansestadt konkurrieren auf diesem Feld die Technikerschule Bremen, die von Handels-, Handwerks- und Arbeitnehmerkammer getragen wird und eng mit der Bildungsbehörde kooperiert, und die beiden privaten Weiterbildungsinstitute IQ Technikum und PFFH-Technikum.
Der Ruf der örtlichen Technikerausbildung in der Wirtschaft leidet laut Dederichs schon länger unter einem Makel, der mit der Bewertung der Examen zu tun hat. In Bremen besteht jeder Prüfling, der 45 von 100 Punkten erreicht, ab 85 gibt es eine Eins. „Der bundesweit anerkannte Schlüssel der Industrie- und Handelskammern sieht 50 beziehungsweise 92 Punkte vor“, so Dederichs. Dieser Image-Nachteil sei in den Augen vieler Arbeitgeber in der Vergangenheit durch die relativ anspruchsvollen Projektarbeiten der angehenden Bremer Techniker aufgewogen worden.
2016 habe die Bildungsbehörde dann aber einen neuen Lehrplan für die Weiterbildung verordnet, dessen hervorstechendstes Merkmal seine geradezu groteske Praxisferne sei. So würden die Inhalte seither fachdidaktisch statt prozessdidaktisch unterrichtet. Soll heißen: Der Stoff wird in Wissensgebiete zergliedert und sozusagen portionsweise vermittelt.
„Zeitgemäß wäre es stattdessen, den Stoff anwendungsorientiert zu unterrichten“, erläutert Frank Dederichs. Beispiel: das Biegen einer Kabelschelle. „Da geht es sowohl um technische Kommunikation als auch um Fertigungstechnik und die Berechnung technologischer Daten. Solche Inhalte verschmelzen miteinander, und so muss man sie auch vermitteln, nicht in separaten Fächern“, sagt Ingenieur Dederichs. Der neue Lehrplan habe die Bremer Technikerausbildung um Jahrzehnte zurückgeworfen.
Im vergangenen Jahr entschied die Bildungsbehörde, im Frühjahr 2019 erstmals eine gemeinsame, einheitliche Prüfung für die angehenden Techniker aus allen drei Bremer Weiterbildungsinstituten abzuhalten. Nach Dederichs‘ Ansicht im Grundsatz ein guter, weil für Transparenz sorgender Schritt. Allerdings habe diese Neuorientierung „auf dem niedrigsten Niveau“ stattgefunden. Die Abwicklung der Prüfung sei dann „geradezu katastrophal“ gewesen. So habe ein Teil der Studenten erst wenige Wochen vor den jeweiligen Terminen von wichtigen inhaltlichen Veränderungen bei den Prüfungsthemen erfahren. Dieses Versäumnis müssten insbesondere die privaten Träger auf ihre Kappe nehmen.
Bei den Klausuren in den Räumen des Technischen Bildungszentrums Mitte (TBZ) herrschten nach Dederichs Darstellung zum Teil aberwitzige Verhältnisse. So stürzten diverse Computer ab, auf denen die Prüflinge mit einer spezialisierten Software Programmierungen für industrielle Anwendungen eingeben sollten. „Einige Studenten mussten die Programmierschritte dann auf Papier darstellen – ein Witz“, wie Dederichs findet. Prüfungsteilnehmer, mit denen der WESER-KURIER sprach, bestätigen seine Darstellung.
Darius Kempner (Name geändert) ist einer von ihnen. Er hatte sich seit Oktober 2016 berufsbegleitend am IQ Technikum auf die Technikerprüfung vorbereitet und konnte bis dahin einen Notendurchschnitt von 1,4 vorweisen. Laut Kempner hatten sich die Technikerschule Bremen und die beiden privaten Träger auf einen gemeinsamen inhaltlichen Rahmen für die erste gemeinsame Prüfung verständigt. „Was dann tatsächlich verlangt wurde, entsprach dem aber kaum“, sagt der Facharbeiter. Das abgefragte Prüfungswissen habe sich teilweise „auf dem technischen Standard von vor zwanzig, dreißig Jahren bewegt“.
Der Ausfall von PCs sei nicht das einzige Ärgernis gewesen. „Die Formelsammlungen, die man bereitgestellt hatte, passten nicht zur Klausur“, so Kempner. Ähnlich sieht es seine Kommilitonin Lea Rösner (Name geändert). Auch sie beklagt, „dass sich die Prüfungsfragen zum Teil auf industrielle Fertigungsverfahren bezogen, die vor dreißig Jahren gelehrt wurden“. Rösner: „Mit der heutigen Praxis in den Unternehmen, auf die auch der Unterricht am IQ Technikum ausgerichtet ist, hatte das nichts zu tun.“
Im Ergebnis rasselten Dutzende von Prüflingen entweder durch oder bestanden ihre Examen so schlecht, dass sie damit gegenwärtige oder künftige Arbeitgeber kaum beeindrucken dürften. Peter Addix, Studienleiter am IQ Technikum, bestätigt die Schilderung. Die Bildungsbehörde habe sich bei der Konzeption der Prüfung ganz überwiegend auf Material aus der Technikerschule Bremen gestützt, obwohl auch sein Haus und das PFFH-Technikum inhaltliche Vorschläge eingereicht hätten, die sehr viel stärker auf die heutige industrielle Realität abgestimmt gewesen seien. Die Abwicklung der Prüfung mit PC-Ausfällen und unbrauchbaren Formelsammlungen sei „eine einzige Katastrophe“ gewesen.
Addix: „Da ist von staatlicher Seite ein Fiasko angerichtet worden.“ Das IQ Technikum habe umgehend reagiert. „Wir sind an die Bildungsbehörde herangetreten um zu erörtern, wie man im Nachhinein die Ungleichheit bei den Voraussetzungen bereinigen kann.“ Das Haus von Senatorin Claudia Bogedan (SPD) habe allerdings nur minimale Kompensationen für die PC-Abstürze zugestanden, sonst nichts. Daraufhin hätten inzwischen rund 40 von 80 Studenten des IQ Technikums den Klageweg beschritten, um auf juristischem Weg eine Anhebung ihrer Noten zu erreichen.
In der Bildungsbehörde hält man sich zu dem Vorgang eher bedeckt. Sprecherin Annette Kemp bestätigt, dass sowohl ihr Haus als auch das IQ Technikum inzwischen Anwälte eingeschaltet haben. Für die umstrittene Prüfung im Frühjahr hätten alle drei Bremer Fortbildungseinrichtungen inhaltliche Vorschläge eingereicht. Die Auswahl habe ein unabhängiger Fachgutachter getroffen. „In einzelnen Prüfungsteilen entsprachen die Leistungen der Prüflinge nicht dem Niveau der Vorleistungen“, so Kemp, „dennoch waren in allen Prüfungen von Prüflingen aller Einrichtungen sowohl gute als auch schlechte Leistungen vertreten“. Wie es nun weitergehen soll, lässt Kemp offen.
Unterdessen wenden sich offenbar erste namhafte Industriebetriebe vor dem Hintergrund der Qualitätsprobleme von der Bremer Technikerausbildung ab.
Der Stahlhersteller Arcelor-Mittal hat nach eigener Darstellung bereits vor gut einem Jahr Gespräche mit der Bildungsbehörde geführt, weil die 2016 überarbeiteten und von verschiedenen Seiten als rückwärtsgewandt kritisierten Lehrpläne „nicht zu unserem Anforderungsprofil passten“, wie es Unternehmenssprecherin Marion Müller-Achterberg ausdrückt. Inzwischen hat sich Arcelor-Mittal entschlossen, auf ein anderes, moderneres Weiterbildungskonzept zu setzen.
Es trägt den Titel „Geprüfter Meister – Vernetzte Industrie“ und wurde gemeinsam mit anderen Firmen, Verbänden und Institutionen entwickelt. Müller-Achterberg: „Es ist die erste Aufstiegsweiterbildung, die Themen wie Automatisierung und Digitalisierung als Hauptthema in sich trägt. Sie wird uns am Standort Bremen dabei helfen, die Weichen für die digitale Welt zu stellen.“
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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