
Die Aufführungsgeschichte des deutschesten aller Theaterstoffe ist dramatisch. 1806, da war er 57 Jahre alt, ließ Goethe vorübergehend ab von „Faust“. Begonnen hatte er seine teils manisch betriebene Arbeit als 22-Jähriger unter dem Eindruck von Christopher Marlowes 1589 uraufgeführtem Drama „Die tragische Historie vom Doktor Faustus“ – und eines zeitgenössischen Kapitalverbrechens: Die 1772 in seiner Geburtsstadt Frankfurt hingerichtete Susanna Margareta Brandt hatte ihr Kind heimlich geboren, es zu Tode gewürgt und geschlagen – und den Leichnam in einer Scheune verborgen.
In „Faust. Der Tragödie erster Teil“, 1808 bei Cotta erschienen, ist es der überkommene Tugendkanon der Gesellschaft, der Grete zur Mörderin ihres unehelichen Kindes werden lässt. Ein offenbar zu krasses und zudem sprachlich zu frivol modelliertes Thema für deutsche Bühnen – selbst Weimars Theaterdirektor Goethe wollte nicht –, die sich viel Zeit ließen, um sich eines komplexen Textes anzunehmen, der so viele geflügelte Worte und philologische Dissertationen hervorgebracht hat wie sonst nur Shakespeares Dramen.
Am 24. Mai 1819, elf Jahre nach Veröffentlichung (und drei Jahre nach der ersten Leseprobe), kam es zu einer Art Uraufführung mit fragmentarischem Charakter: Auf Schloss Monbijou (Berlin) ließen Fürst Anton Heinrich Radziwill und Karl Moritz Graf von Brühl zentrale Szenen des Dramas um einen verzweifelten Wissenschaftler vor Hofstaat und handverlesenen Gästen spielen.
Radziwill hatte für das Spektakel Musik komponiert, Preußens Oberbaumeister Schinkel die Ausstattung besorgt. Zu einer regelrechten Uraufführung kam es erst knapp zehn Jahre später, als der Dichter August Klingemann „Faust I“ am Braunschweiger Nationaltheater in eine leidlich spielbare Fassung brachte.
Goethe selbst glaubte offenbar so wenig an die Aufführbarkeit seiner existenziellen Tragödie, dass er Klingemann einen Freibrief erteilt hatte: „Machen Sie mit meinem ‚Faust‘, was Sie wollen.“ Man ahnt: Die Rezeptionsgeschichte begann schleppend. Und doch folgten in den 200 Jahren seit der behelfsmäßigen Berliner Erstaufführung etliche bahnbrechende Inszenierungen: 1876 gelang es Otto Devrient am Weimarer Hoftheater erstmals, beide Teile auf die Bühne zu bringen.
Max Reinhardt befreite das Werk 1909 von „verstaubten Hoftheatertraditionen“, 1942 und 1957 inszenierte Gustaf Gründgens den Stoff als Verführungsallegorie unter Alphatieren, 1977 machte Claus Peymann das Drama, das ihm als „Bibel des deutschen Bildungsbürgertums“ galt, zu einer Clownsnummer. 1982 widmete Klaus Michael Grüber das Volksstück zu einem desperaten Endspiel für drei Personen um, 2000 verschnitt Peter Stein zur Expo in Hannover beide „Faust“-Teile zu einem 21-Stunden-Marathon.
Vorläufiger Schlusspunkt der memorablen Spektakel: die siebenstündige Aufführung, mit der Frank Castorf 2017 zum einen seine Intendanz an der Berliner Volksbühne beschloss, zum anderen anhand von Émile-Zola-Zitaten und Postkolonialismus-Diskurs-Versatzstücken eindrucksvoll vorführte, wie viele Subtexte und Lesarten, Verengungen und Weitungen dieser kulturelle Gedächtnisklassiker gleichzeitig aushält, ohne dabei an Stimmigkeit und Brisanz zu verlieren.
Es sind nicht von ungefähr die großen Akteure, denen man die Titelrolle in dem seit seiner Uraufführung meistgespielten Stück hierzulande zutraut: Unter anderem gaben Will Quadflieg, Bruno Ganz, Bernhard Minetti und Martin Wuttke den Heinrich Faust, eine Figur, vor der einem wahrlich grauen kann: ein vor Erkenntnisgier getriebener Sinnsucher, der einen Teufelspakt schließt, um eine existenzielle Krise zu bewältigen.
Es ist die Universalität der Handlung dieser deutschen Volkssage, die das Publikum weltweit und in allen Epochen berührt. Dabei besteht die zeitlose Aktualität des Stoffes vor allem in einer maßgeblichen ethischen Frage, die mit dem Verhältnis von Möglichkeit, Machbarkeit und menschlichem Maß zu tun hat. Künstliche Intelligenz und Genmanipulation sind nur zwei heutige Lesarten, die Goethes Möchtegern-Übermensch strukturell als potenzielle Menetekel souffliert.
Auch die Finanzkrise und weitere kapitalistische Exzesse sowie eine realitätsnahe Dystopie namens Big Data lassen sich ohne interpretatorische Verrenkungen mit dem zerrissenen, rastlosen, egomanischen Titelhelden und seiner, nun ja, faustischen Hybris verrechnen. Faust, dieser mit zwei Seelen ausgestattete Borderline-Typ zwischen Jauchzen und Betrübnis, bleibt unser Zeitgenosse – und als solcher eine andauernde Herausforderung nicht nur für Leser und Theatergänger.
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