
Messerangriffe, sexuelle Belästigungen oder Vergewaltigungen – vor allem bei bestimmten Straftaten gibt es seit einigen Monaten immer wieder Forderungen, die Nationalität von Straftätern zu nennen. Insbesondere aus dem Umfeld der AfD und ihrer Anhänger wird nach diesen Informationen über Täter oder Tatverdächtige verlangt. Oft wird behauptet, Medien verschwiegen die Herkunft bewusst. Dabei nennen Journalisten diese durchaus. Beispielsweise bei einer Messerattacke eines jungen Asylbewerbers aus Afghanistan auf Menschen in Ravensburg im September. Eine pauschale Nennung der Nationalität wäre jedoch der falsche Weg – aus mehreren Gründen.
Der Kern des Problems liegt darin, dass Medien und Behörden in Deutschland in dieser Frage nicht einheitlich handeln. So nennt die Bundespolizei in fast allen Pressemitteilungen die Nationalität von Tätern oder Tatverdächtigen – aber eben auch nicht in allen. Die Polizei Bremen dagegen entscheidet von Fall zu Fall und lässt die Herkunft meistens weg.
In jedem Einzelfall muss abgewogen werden zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Persönlichkeitsrecht beziehungsweise dem Schutz vor Diskriminierung bestimmter Gruppen oder dem Schüren von Vorurteilen.
Der Umgang der Polizei mit dem Thema spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn die Polizei ist nicht nur meistens die erste Ansprechpartnerin bei Straftaten – die Pressemitteilungen sind zudem öffentlich im Internet-Presseportal einsehbar. Jeder Bürger kann sie dort nachlesen, unabhängig von der Berichterstattung in den Medien.
Journalisten übernehmen Pressemitteilungen nicht eins zu eins, sondern legen die Informationen ihren Artikeln zugrunde. Doch wenn die Nationalität von der Polizei genannt und von einem Journalisten anschließend weggelassen wurde, machen sich Medien angreifbar. Oft heißt es dann, es werde etwas vertuscht. Selbst, wenn gute Gründe für das Weglassen vorlagen.
Die Pressestelle der Polizei Bremen arbeitet nach eigenen Angaben auf Grundlage des Pressekodexes des Deutschen Presserats. Es handelt sich dabei um eine Sammlung ethischer Grundsätze für die journalistische Berichterstattung. Der Pressekodex ist zwar kein Gesetz, er wird aber weithin anerkannt und Verstöße ziehen eine Rüge des Presserats nach sich. Er gilt als Leitfaden für Journalisten und Medien und hilft, bei strittigen Fragen eine Entscheidung zu treffen.
Die Passage über die Nennung von Nationalitäten geriet insbesondere nach der Silvesternacht in Köln 2015/16 in die Kritik. In dieser Nacht kam es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen und Diebstählen durch Täter, von denen viele ausländischer Herkunft und Asylbewerber waren.
Der Abschnitt des Pressekodexes wurde 2017 geändert. Zuvor lautete die Passage:
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“
Die neue Formulierung schwächt dieses Verbot der Nationalitätennennung ab. Nun heißt es, die Nationalität solle "in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse." (Hier geht es zur neuen Version des Pressekodexes.)
Die zentrale Frage ist also: Wann liegt ein begründetes öffentliches Interesse vor? Kann man schon davon sprechen, wenn Politiker diese Information verlangen, und auf Facebook mehrere Kommentare von Nutzern eingehen, in denen nach der Herkunft des Täters gefragt wird?
Die Antwort auf Grundlage des Pressekodexes ist eindeutig: Nein. Reine Neugier sei kein geeigneter Maßstab für diese Entscheidung. Die Nennung der Nationalität ist zulässig bei "besonders schweren oder außergewöhnlichen Straftaten". Und auch, wenn die Taten aus einer Gruppe heraus begangen werden, die sich durch ethnische oder religiöse Merkmale auszeichnet. Die Herkunft oder Biografie des Täters kann zudem für den Verlauf eines Strafverfahrens relevant sein; auch dann sollte sie genannt werden.
Negativ beurteilt der Presserat es aber, wenn die Nationalität in einem Bericht auf eine Art erwähnt wird, die diskriminierende Vorurteile schürt. Dazu zählt eine verstärkte Herausstellung, zum Beispiel in der Überschrift eines Artikels oder durch Wiederholungen.
Der WESER-KURIER steht für eine genaue, substanzielle und an Leserbedürfnissen orientierte Berichterstattung. In dieser Frage folgen wir der alten und der neuen Version des Pressekodexes. Das heißt, wir nennen die Nationalität zum einen, wenn „ein begründbarer Sachzusammenhang“ zwischen Tat und Herkunft besteht, und zum anderen, wenn es sich um „besonders schwere oder außergewöhnliche Straftaten“ handelt. Allerdings können wir Nationalitäten nur nennen, wenn wir sie kennen, und sind dabei auf die Angaben der Polizei oder Staatsanwaltschaft angewiesen. Da die Bremer Polizei eher zurückhaltend ist, nennen wir die Nationalitäten in aller Regel, wenn sie es tut. Aber es bleibt immer eine Einzelabwägung der Redaktion, die sich inhaltlich begründen lassen muss.
Nur ein sehr geringer Teil der Straftaten in Bremen wird öffentlich gemacht. 2017 habe die Polizei etwa 700 Pressemitteilungen veröffentlicht, sagt Pressesprecherin Jana Schmidt. Die Gesamtzahl der bekannt gewordenen Straftaten in Bremen (Stadt) beträgt jedoch 68.343. Somit wurde nur über etwa ein Prozent der Fälle berichtet. Genauer lässt sich das Verhältnis nicht beziffern, da sich nicht jede Pressemitteilung auf eine Straftat bezieht.
Es werde täglich im Team entschieden, welche Vorfälle veröffentlicht werden, erklärt Schmidt. Kriterien seien Fragen wie: Besteht öffentliches Interesse? Liegt eine besonders schwere Straftat vor? Werden Zeugen benötigt? Zudem gehe es oft um Hinweise an die Bevölkerung, zum Beispiel die Warnung vor einer Betrugsmasche. Nicht veröffentlicht werden dagegen laut Polizei zum Beispiel "Bagatellunfälle" oder "Delikte der Massenkriminalität", wie einfache Ladendiebstähle, Sachbeschädigungen oder Betrugsfälle ohne besondere Masche.
Doch wann werden die Nationalitäten von der Polizei genannt? Eine Statistik dazu gibt es nicht; dennoch zeigt die Recherche im Presseportal, dass die Polizei Bremen die Herkunft der Täter und Tatverdächtigen meistens weglässt. Bei Berichten über sexuelle Übergriffe jedoch wird sie manchmal genannt.
Ein aktuelles Beispiel ist eine Pressemitteilung zu sexuellen Belästigungen auf dem Bremer Freimarkt 2018. Darin wurden die Nationalitäten aller Tatverdächtigen genannt, inklusive der deutschen. Als Begründung sagte ein Pressesprecher: "Es handelt sich um außergewöhnliche Straftaten im öffentlichen Raum. Dies begründet aus unserer Sicht die Nennung der Nationalitäten." Auf eine zweite Nachfrage präzisierte die Pressestelle ihre Aussage noch. Es habe sich zwar nicht um besonders schwere Straftaten gehandelt, aber um solche, die "öffentliches Interesse hervorrufen". "Insbesondere seit den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln stehen Belästigungen dieser Art im Fokus der Öffentlichkeit."
Die Silvesternacht war ein Einschnitt in der öffentlichen Debatte, wie es ihn selten gibt. Ein einzelnes Ereignis hat die Berichterstattung von Medien und Polizei geprägt und für ein wichtiges Thema sensibilisiert.
Oft wird seitdem jedoch verlangt, die Nationalität von Straftätern immer zu nennen, wenn sie bekannt ist. In jedem einzelnen Fall, vom Überfall auf den Kiosk bis hin zur Vergewaltigung. Das würde zwar helfen, Spekulationen einzudämmen. Allerdings ist es keine Lösung. Denn es wird eben nur über einen Bruchteil aller Straftaten berichtet – somit entsteht immer ein verzerrtes Bild.
Das gilt auch für sexuelle Übergriffe. Auch hier berichtet die Polizei Bremen längst nicht über jeden Vorfall. Erst seit 2017 wird sexuelle Belästigung in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesondert aufgeführt. In Bremen wurden 140 Fälle verzeichnet. Darüber hinaus gab es 2017 insgesamt 405 angezeigte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Darunter waren 128 Fälle von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung.
Eine Stichwortsuche im Presseportal ergibt allerdings für 2017 nur sieben Berichte der Polizei Bremen. Zwei beziehen sich auf sexuelle Belästigung, drei auf Exhibitionismus und zwei auf die Fahndung nach mutmaßlichen Sexualstraftätern. In einem Fall – einer der sexuellen Belästigungen – wurden die Täter als Nicht-Deutsche und Flüchtlinge bezeichnet.
Warum nur über einen so kleinen Teil der Sexualstraftaten berichtet wird, erklärt Sprecherin Jana Schmidt mit dem Opferschutz. Er stehe grundsätzlich über dem öffentlichen Interesse. Ausnahmen seien "gehäufte Übergriffe im öffentlichen Raum" – wie auf dem Freimarkt – und Fälle, in denen Zeugen gesucht werden.
Problematisch ist, dass die Pressestelle offenbar nicht ganz einheitlich handelt. Bei den zwei Berichten über sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit wurde nur einmal die Nationalität genannt. Es habe sich um unbegleitete minderjährige Ausländer gehandelt, und es seien zwei Tatverdächtige in einer Flüchtlingsunterkunft ermittelt worden, hieß es. Bei dem zweiten Fall wurde der Hintergrund der Täter jedoch nicht genannt, obwohl die Taten sehr ähnlich waren. Sie ereigneten sich beide im Zug beziehungsweise in der Straßenbahn, beide Male wurden Frauen belästigt und es gab Verbindungen zu Diebstahldelikten.
Auf Nachfrage, wie diese Unregelmäßigkeiten entstehen, gab die Polizei Bremen keine Auskunft. Lediglich eine allgemeine Antwort: "Es gibt von hiesiger Seite keinerlei Interesse bestimmte Nationalitäten öfter oder weniger oft zu nennen. Unser Entscheidungsprozess orientiert sich neutral am Pressekodex."
Wer also aus der Menge der Polizeimeldungen oder Medienberichte eine Entwicklung der Kriminalität ablesen will, kommt damit nicht weit. Darüber gibt nur die Kriminalstatistik Auskunft. Auf fremdenfeindlich motivierten Seiten und Gruppen auf Facebook wird trotzdem oft versucht, einen Zusammenhang herzustellen, indem gezielt Berichte über Straftaten von Ausländern und Menschen mit dunkler Hautfarbe gesammelt werden. Dort wird die Nationalität selbst zum Kriterium für das öffentliche Interesse – und das schürt Vorurteile.
Selbst wenn die Polizei die Nationalität des Täters als "Deutsch" angibt, werden oft weitere Fragen nach dem Migrationshintergrund laut. In manchen Fällen kann auch diese Information sinnvoll sein. Doch das pauschale Suchen nach Hintergründen führt leicht zur Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihres Glaubens. Ein Beispiel: Der Messerangriff eines Mannes mit iranischen Wurzeln und deutscher Staatsangehörigkeit auf Insassen eines Busses in Lübeck. Ein terroristischer Hintergrund wurde ausgeschlossen, ein psychiatrisches Gutachten beurteilte den Mann später als nicht schuldfähig. Trotzdem hatte die AfD-Abgeordnete Alice Weidel kurz nach der Tat bereits folgende Mitteilung herausgegeben: "Wieder ist es ein Immigrant aus dem orientalischen Kulturkreis, der mit mörderischer Aggressivität auf friedliche Einheimische losgegangen ist."
Journalisten und Polizisten dürfen sich nicht treiben lassen von dieser Art der Debatte. Die Abwägung über die Nennung der Nationalität muss nach den Kriterien des Pressekodexes im Einzelfall erfolgen – und begründbar sein.
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