
Das Landgericht hat einen juristischen Schlussstrich unter den langjährigen systemischen Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven gezogen. Die Fünfte Strafkammer verurteilte den 59-jährigen Angeklagten am Mittwoch wegen Betrugs und Untreue zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem muss er eine Geldstrafe von 620 Tagessätzen à zwölf Euro zahlen. Das Gericht bewegte sich mit seinem Urteilsspruch im Rahmen einer Vereinbarung, die es mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung getroffen hatte, um das Verfahren abzukürzen.
Die Anklagebehörde hatte dem 59-Jährigen zur Last gelegt, im Zeitraum zwischen 2013 und 2016 ein System zur Ausplünderung der Sozialkassen betrieben zu haben. Als Vehikel dienten ihm dabei zwei Vereine, an deren Spitze er stand: die „Agentur für Beschäftigung und Integration“ (Abi) und die „Gesellschaft für Familie und Gender Mainstreaming“ (GFGM). Von diesen Vereinen wurden Zuwanderer aus Südosteuropa zum Schein mit niedrig dotierten Arbeitsverträgen ausgestattet, damit sie auf dieser Grundlage beim Jobcenter Bremerhaven aufstockende Sozialleistungen kassieren konnten. Einen Teil dieser Beträge lieferten die Migranten anschließend bei Abi und GFGM wieder ab. Zur Vereinsspitze gehörte auch ein Sohn des Angeklagten, ein damaliger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter. Gegen ihn wurden die Ermittlungen jedoch 2019 eingestellt.
Die Anklageschrift gegen den Abi-Vorsitzenden listete rund 700 Fälle auf, in denen – durch fingierte Arbeitsverträge des Vereins – zu Unrecht aufstockende Leistungen an Migranten aus Südosteuropa geflossen waren. Gesamtschaden für die Sozialkassen: über fünf Millionen Euro. Doch schon wenige Verhandlungstage nach Prozessbeginn im Herbst 2020 vereinbarte die Kammer mit Verteidigung und Staatsanwaltschaft einen Deal, der eine ausufernde Beweisaufnahme mit einer möglichen Prozessdauer von mehreren Jahren abwenden sollte.
Die Vereinbarung beinhaltete eine Reduzierung der Tatvorwürfe auf rund 100 Fälle. Im Gegenzug verpflichtete sich der Angeklagte zu einem umfassenden Geständnis. Letztlich erfolgte jetzt eine Verurteilung wegen 67-fachen Betrugs, wobei überwiegend Fälle herangezogen wurden, in denen die Tat im Versuchsstadium geblieben war. Mit abgegolten sind mehrere Fälle von Untreue des Angeklagten zulasten der Vereine.
In ihrer Urteilsbegründung bekannte sich die Vorsitzende zu den prozessökonomischen Überlegungen, von denen sich die Strafkammer leiten ließ. Die Richterin sprach von einer „besonders schwierigen Beweisstruktur“. So sei es nicht mehr möglich gewesen, der meisten Südeuropäer habhaft zu werden, die seinerzeit von den Sozialleistungen profitiert hatten. Ohne Zeugenaussagen dieser Beteiligten und ohne Geständnis des Angeklagten wäre nach Überzeugung der Vorsitzenden „keine rechtsmittelsichere Verurteilung möglich gewesen“.
Kritische Anmerkungen enthielt die Urteilsbegründung auch zur Rolle der Sozialbürokratie in Bremerhaven, die dem Treiben jahrelang weitgehend tatenlos zugesehen hatte. Ein Betrug setze voraus, so die Vorsitzende, dass das Opfer über die tatsächlichen Verhältnisse getäuscht wird – im vorliegenden Fall also das Jobcenter und die kommunale Sozialbehörde. Bei Prüfung der vielen hundert Anträge auf aufstockende Leistungen hätten dem Jobcenter und der Sozialbehörde nach Ansicht des Gerichts jedoch manche Unstimmigkeiten auffallen müssen. Für das Gericht gab es also Anzeichen dafür, dass manche Amtsträger bewusst nicht so genau hinschauten.
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