
Eigentlich, sagt sie, habe sie ein gebrochenes Verhältnis zu Ehrungen, Würdigungen und Ordensverleihungen. „Ich komme aus ärmlichen Verhältnissen und bin mit der Überzeugung aufgewachsen, dass so etwas nur die anderen bekommen können.“ Annelie Keil wurde eines Besseren belehrt, und zwar mehrfach. Ihre Mutter, sagt sie, hätte sich besonders über diesen Irrtum gefreut.
An diesem Freitag wird Annelie Keil eine weitere Ehrung zuteil. Sie wird im Rathaus mit der Senatsmedaille für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet. In der Begründung heißt es, Annelie Keil habe mit ihren universitären Aktivitäten und ihrem sozialen Engagement sowie "mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit und Expertise weit über die Grenzen Bremens hinaus eine hohe Anerkennung als ebenso kompetente wie hochengagierte Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin erworben“.
„Darüber freue ich mich zutiefst. Ich war sehr gerührt, als ich den Anruf aus der Senatskanzlei bekam“, sagt sie. Zum einen sehe sie ihre Arbeit in der Wissenschaft gewürdigt, „obwohl ich dort mit meinen Grenzfächern eine Art Schmuddelkind war, aber auch meine Lebenskunst“. Die Medaille sei ihr mithin eine besondere Bestätigung. „Für mich ist auch ein Stück Bremen, wie der Senat die Medaillenträger auswählt.“ Zum anderen habe diese Würdigung „eine wichtige biografische Bedeutung am Ende meiner Laufbahn.“ Die Wissenschaftlerin ist Anfang des Jahres 80 Jahre alt geworden. Damit sei es Zeit, sich von ihrer beruflichen Arbeit und aus diversen Gremien zu verabschieden, sagt sie.
1992 wurde Annelie Keil mit dem Berninghausen-Preis für ausgezeichnete Lehre geehrt, 2004 erhielt sie in Niedersachsen das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre ehrenamtliche Arbeit zur Förderung von Bürgerengagement, Jugendbildung und gesundheitlicher Beratung und Selbsthilfe. „Da war eine tiefe Ambivalenz in mir: Gerade in dieser Zeit, als ich das Verdienstkreuz bekam, wurde der Jugendhof Steinkimmen abgeschafft, für den ich mich jahrzehntelang engagiert hatte.“ 2018 folgte der Carola-Gold-Preis, der für „besondere Ausdauer und Hingabe bei der Bekämpfung gesundheitlicher Chancenungleichheit“ verliehen wird.
Die Auszeichnungen hätten sie durchweg überrascht, sagt Annelie Keil, „aber die Senatsmedaille ganz besonders“. Sie habe nicht darauf hingearbeitet, keine Verrenkungen gemacht, nicht mit den Wölfen geheult. „Es war ein großes Glück, dass ich 1971 in Bremen gelandet bin, weil mich das Konzept der neuen Uni so gereizt hat.“ In ihren Stolz über das Erreichte mische sich jedoch auch Trauer: „Kein einziges Familienmitglied konnte mich dabei begleiten.“
Die Würdigungen haben eines gemein: Sie zeugen von umfangreichem und vielfältigem Engagement, durchweg für soziale Themen, und enormer Energie. Keil hat sich in vielerlei Hinsicht einen Namen gemacht, weit über Bremen hinaus. Sie war von 1971 bis 2004 Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaft an der Bremer Uni, war Dekanin und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Reformakademie. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, hält Vorträge, schreibt Aufsätze und ist zu Gast in Talk-Shows.
Ihre Karriere wurde Annelie Keil nicht in die Wiege gelegt. Sie kam als uneheliches Kind zur Welt, ihre Mutter sah sich der Mutterschaft als Alleinerziehende zunächst nicht gewachsen. Annelie Keil kam im heutigen Polen in ein Kinderheim, wo sie fünf Jahre verbrachte, bis ihre Mutter 1945 mit ihr in den Westen floh und mit ihr in Kriegsgefangenschaft geriet. 1948 ließen sich Mutter und Tochter in Bad Oeynhausen nieder. Annelie Keil machte Abitur und studierte Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Hamburg, dann auch Psychologie und Pädagogik. Während ihrer gesamten Ausbildung sei sie gefördert worden, von Wegbegleitern, aber auch finanziell durch Stipendien.
1969 folgten die Promotion und eine Stelle als akademische Rätin an der Uni Göttingen, wo sie den Fachbereich Sozialwissenschaften mit aufbaute. Dann der Wechsel nach Bremen, wo sie die Sozialpädagogik, später die Gesundheits- und Pflegewissenschaften maßgeblich formte. Vor allem der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Bevölkerung habe ihr am Herzen gelegen. Es sich im akademischen Elfenbeinturm einzurichten, lag ihr fern. „Ich hatte aber keine Vorstellungen von einer akademischen Karriere. Dazu fehlte mir der Hintergrund. Ich hatte keinen Vater, der Arzt war, und an dem ich mich orientiert habe.“ Sie sei Kind der 1968er-Jahre, keine Frage, stellt Annelie Keil fest. „Aber ich hatte keine fundamentalistische Phase.“ Auch die Mitgliedschaft in der SPD, der sie seit rund 60 Jahren angehört, habe sie davor behütet, entsprechende Scheuklappen zu entwickeln.
Schwere Erkrankungen warfen Annelie Keil zurück, sie ließ sich nicht unterkriegen. Nach einem Herzinfarkt im Alter von 40 Jahren und späteren Krebserkrankungen wandte sie sich der Psychosomatik zu. „Man lernt nur zwischen Sonne und Schatten. Die Krankheiten haben mir auch meine wissenschaftlichen Themen gegeben“, sagt sie. Auch das Altern, Demenz, Pflegebedürftigkeit und Hospizarbeit beschäftigen sie intensiv. „Mich hat immer interessiert, wie verletzlich und endlich das Leben ist.“
In Bremen habe sie sich stets als willkommen und richtig empfunden, sagt Annelie Keil. „Ich bin mit ganzem Herzen Bürgerin dieser Stadt. Sie hat ein soziales Milieu, in dem ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt habe, und mit der Gründung der Uni wurde mir ein Gestaltungsraum gegeben.“ Annelie Keil hat viel erlebt, viele Menschen haben ihren Weg gekreuzt und begleitet. „Ich bin glücklich, dass ich es hinbekommen habe, Spuren zu hinterlassen, ohne zu großen Mist gemacht zu haben. Ich kann mir im Spiegel in die Augen schauen.“
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.