
Herr Scholz-Reiter, die Uni Bremen feiert in diesem Herbst ihr 50-jähriges Bestehen. Können Sie kurz zusammenfassen, was es zu feiern gibt?
Bernd Scholz-Reiter: 50 Jahre Uni bedeutet für uns, zu reflektieren, was sich in dieser Zeit bei uns getan hat, warum es die Uni überhaupt gibt, was sie für die Stadt und die Gesellschaft geleistet hat und weiter leistet. Was fehlte, wenn es die Uni Bremen nicht gäbe? Wie geht es weiter, wo wollen wir hin? Wie soll die europäische Universität aussehen, die wir mit sieben anderen Partnern unter dem Namen „Young Universities for the Future of Europe“ aufbauen? Diese und ähnliche Fragen wollen wir in diesem Jahr erörtern, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt und dieses Landes.
Was fehlte denn, gäbe es die Uni nicht?
Es gäbe weniger Erkenntnisse in einer ganzen Reihe von Wissenschaftsfeldern, die bei uns angesiedelt sind und die wichtige Ergebnisse und Ansätze für die weltweite Forschung und Entwicklung liefern. Wenn es die Uni nicht gäbe, sähe der Standort Bremen anders aus – nicht nur wegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Uni, sondern auch wegen der Menschen, die hier ausgebildet werden. Die Uni hat nicht nur regionalökonomische, sondern auch regionalstrukturelle Effekte. Wo kämen diese Fachkräfte ansonsten her, die diese Region, die Gesellschaft und die Wirtschaft brauchen? Wir wollen unseren Geburtstag als Anlass nehmen, den Wert der Uni bei Bürgerinnen und Bürgern ins Bewusstsein zu rufen. Das Jubiläum bietet uns aber auch die Gelegenheit, uns selbst ein wenig zu feiern, die eigene Identität und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und mit Stolz auf das zu blicken, was wir erreicht haben.
Ist Ihnen momentan überhaupt nach Feiern zumute?
Die Stimmung ist momentan gedämpft, wie wohl überall. Wir wollen unser Jubiläum feiern, aber der Schwerpunkt liegt eher darauf, uns in unserer ganzen Vielfalt der breiten Bevölkerung zu zeigen. Dazu gibt es ein umfangreiches Programm. Als wir mit den Vorbereitungen begonnen haben, konnte keiner ahnen, dass ein Virus die Uni vor vollkommen neue und massive Herausforderungen stellt. Wir hatten uns das Programm zunächst anders vorgestellt. Wir planen immer noch, Menschen zu uns in die Uni zu holen und selbst zu den Menschen in die Stadtteile zu gehen. Aber wir haben auch Alternativen entwickelt, teils digital, teils mit anderen Akzenten. Wir hoffen natürlich sehr darauf, dass sich die Lage bis zum Sommer weiter entspannt hat und man sich wieder begegnen darf.
Sie arbeiten derzeit in Ihrem Büro an der Uni, sind Sie dort ganz allein?
Nein, viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Homeoffice, aber nicht alle. Das ist nicht möglich. Es ist momentan natürlich viel stiller und leerer hier als noch bis zum November, aber ich glaube, dass es uns ganz gut gelungen ist, den Betrieb aufrechtzuerhalten, auch unter diesen erschwerten Bedingungen. Es hat sich gezeigt, dass wir als Institution widerstandsfähig und flexibel genug sind, um solche ungewöhnlichen Situationen nicht fehlerlos, aber gut zu meistern.
Diese Zeitung stellt im Rahmen des Jubiläums von heute an 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor. Manche Forschungsgebiete werden manche Bremerinnen und Bremer womöglich ganz neu sein. Dazu gehörte Anfang 2020 auch das Gebiet von Andreas Dotzauer am Laboratorium für Virusforschung. Wird die Uni unterschätzt?
In ihrer Breite und Vielfalt wahrscheinlich schon. Wir haben – mit Kooperationen – etwa 320 Professuren und beschäftigen etwa 2500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in zwölf Fachbereichen. Darunter werden manche mehr wahrgenommen als andere. Die Lehrerbildung, die Klimaforschung sowie die Meereswissenschaften und die Produktionstechnik wegen der Bezüge zu Daimler, Airbus und anderen Unternehmen in der Region sind vermutlich vielen Bürgerinnen und Bürgern bekannt. Das gilt auch für die Sozialwissenschaften, die sich mit gesellschaftlichem Zusammenhalt, Integration und ähnlichen Themen befassen. Andere Fachbereiche haben größere Schwierigkeiten, in der breiten Bevölkerung wahrgenommen zu werden. In diesem Jahr wollen wir das ändern. Das gilt auch für gewisse Vorurteile, die gegenüber der einstigen roten Kaderschmiede noch zu bestehen scheinen.
Was meinen Sie?
Ich glaube, es gibt doch noch falsche Vorstellungen von der Universität. Beispielsweise wird unterschätzt, dass die Gründungsphase und der Sonderweg, der hier in Bremen eingeschlagen wurde, auch Vorteile mit sich gebracht hat – bis heute. Das gilt beispielsweise für unsere flachen Hierarchien wie auch für die Praxisorientierung des Studiums, für das forschende Lernen, das heute an vielen anderen Unis Stand der Lehre ist, aber in Bremen Gründungsprinzip war. Anders als manchmal behauptet, genießt die Uni Bremen in Wissenschaftskreisen einen guten Ruf, womöglich sogar einen besseren als in der eigenen Stadt.
Zum Schluss: Welche Veranstaltungen sind geplant?
Die Jubiläumsveranstaltungen bestehen im Wesentlichen aus drei Teilen: aus der „Open Campus Week“ im Juni, zu der wir die Bevölkerung an die Uni einladen, wo Fachbereiche, Institute und Einrichtungen sich mit ungewöhnlichen Vorträgen, Führungen, Shows und Ausstellungen präsentieren. Im Oktober, um den eigentlichen Jubiläumstag am 14. Oktober herum, machen wir uns selbst über zwei Wochen auf den Weg zu den Bürgerinnen und Bürgern. Wir laden sie in den Stadtteilen zu Vorlesungen, Seminaren und anderen Aktionen ein. Ebenfalls im Herbst zeigen wir in der Stadt mit Transparenten und anderen Hinweisen, wo überall Uni drinsteckt, ohne dass man es vielleicht ahnt. Begleitet wird dieser Teil von einer Ausstellung in der Unteren Rathaushalle.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.
Bernd Scholz-Reiter ist seit 2012 Rektor der Universität Bremen. Er hat Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin studiert, lehrte in Cottbus und war Leiter des von ihm gegründeten Fraunhofer Anwendungszentrums Logistiksystemplanung und Informationssysteme. Von 2002 bis 2012 leitete er das Bremer Institut für Produktion und Logistik.
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