
Wer in Bremen wohnt, nimmt die architektonische Besonderheit möglicherweise gar nicht mehr so richtig wahr, an der er oder sie täglich vorbeiläuft. Kommen hingegen Gäste zum ersten Mal in die Stadt, ist das Staunen oft groß. Das Bremer Haus macht Eindruck, vor allem die villenartige Version dieser charakteristischen Bauform, wie sie zum Beispiel am Osterdeich oder auch im Fesenfeld die Straßen prägt. Drei Geschosse, feine Verzierungen an der Fassade, Treppenaufgang – das alles sieht nicht nur teuer aus, es ist auch teuer.
Bei all dem Prunk gerät schon mal in Vergessenheit, dass das gutbürgerliche Bremer Haus nur einen kleinen Teil dieser Stilrichtung ausmacht. Die Geschichte des Bremer Hauses ist vor allem eine des einfachen Mannes, der mit bescheidenen Mitteln zu einem Eigenheim kam – das in der Realität dann meistens doch nicht ihm gehörte. Es ist auch eine Geschichte, die Bremens historische Besonderheit unter den Großstädten verdeutlicht. Während gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung in vielen Städten zu einem massiven Bevölkerungswachstum führte, erreichte diese Entwicklung Bremen deutlich später. Mietskasernen und überhaupt Mietshäuser mit vielen Geschossen waren in Bremen durch die Bauordnung de facto verboten und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts unbekannt.
Statt der Industrie florierte in Bremen der Handel. Der daraus resultierende Geldüberschuss konnte auch aufgrund des Währungsunterschieds zum Umland (Bremen hielt am Goldstandard fest) kaum abfließen. Was also taten spekulationsfreudige Gutverdiener mit dem Geld? Sie kauften landwirtschaftlich genutzten Boden, bauten Straßen und teilten die Grundstücke in kleine Scheiben, auf denen Reihenhäuser entstanden. In Kombination mit der Bremer Handfeste, einer besonderen Form der Hypothek, konnten Arbeiter auch ohne Eigenkapital und zu niedrigen Zinsen Häuser erwerben. Die einfache, eingeschossige Form des Arbeiterhauses war im Jahr 1900 für 3000 Mark erhältlich, schreibt der Architekt Günter Albrecht in einem wissenschaftlichen Beitrag zum Bremer Haus.
Um die Jahrhundertwende wohnten 161.000 Menschen in Bremen, fast ausschließlich in Reihenhäusern, die sich zwar nach Quartier und sozialem Status unterschieden, „aber mehr oder weniger auf einen Grundtyp reduzierbar waren“, heißt es in einem Werk des Architekturhistorikers Wolfgang Voigt. Was genau diesen Grundtyp ausmacht, ist umstritten. Bei einigen Merkmalen herrscht aber größtenteils Übereinstimmung. Dazu zählen: eine Bauweise, die eher in die Tiefe als in die Breite geht, zwei hintereinander liegende Haupträume (häufig Ess- und Wohnzimmer) und Verzierungen auf der Fassade, die bewusst individuell gestaltet wurden.
Zur Definition des Bremer Hauses gehört auch ein zeitlicher Rahmen. Die Historiker Johannes Cramer und Niels Gutschof zählen zu dieser Bauform Häuser, die zwischen 1850 und 1914 entstanden sind. Von Cramer und Gutschof stammt eine weitere Definition, die andeutet, dass die besondere Bauform nicht unbedingt mit einer sozialeren Form des Wohnen einherging: „Als Bremer Haus wird (...) ein Haus bezeichnet, das zweiseitig eingebaut ist und in der Regel und vor allem in der Frühzeit nur einer Familie als Wohnsitz dienen sollte.“
Tatsächlich konnten die meisten Arbeiter ihr Haus nicht abbezahlen, ohne dafür Untermieter aufzunehmen. Albrecht zitiert einen Bericht des Bremischen Statistischen Amtes, in dem es heißt, dass im Jahr 1905 von 4905 Bewohnern nur 1477 in einem eigenen Bett schliefen. Das erträumte Eigenheim war also in der Realität oft ein verkapptes Mietshaus. Ein prägendes Merkmal des Bremer Hauses, die räumliche Funktionstrennung, ging somit verloren. Der Baustil sei eben nicht darauf ausgerichtet, das Bremer Haus auf mehrere Parteien aufzuteilen, so Albrecht. Die Lage der Arbeiter verbesserte sich angesichts des ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise in den folgenden Jahren kaum. In der Wohnungsbaupolitik des dritten Reiches verlor das Bremer Haus dann auch als Bauform an Bedeutung.
Das historische Aus, schreibt Wolfgang Voigt, sei mit dem Wiederaufbau des zerstörten Bremer Westens besiegelt worden: Nach dem zweiten Weltkrieg entschloss die SPD-Regierung, dabei verstärkt auf mehrgeschossige Wohnhäuser zu setzen. Auch die erhaltenen Bremer Häuser beherbergten in der von Wohnungsnot geprägten Nachkriegszeit oft mehrere Familien. Später wandelte sich die Nutzung zu einer Mischform von Wohnen und Arbeiten. Die größeren Versionen der Bremer Häuser im Innenstadtbereich wurden oft von Firmen übernommen, während die kleineren Versionen am Stadtrand überwiegend als Wohnhäuser bestehen blieben. Die Geschichte des Bremer Hauses spiegelt sich noch heute im Bild der Stadt und der Zahl alter Gebäude wieder. Auch die ungewöhnlich hohe Eigentümerquote ist eine Besonderheit, die das Wohnen in Bremen immer noch prägt.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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