
Mikis Weber hat zwei Leben. Einmal ist da Bremen. 569.000 Einwohner, davon knapp 16.000 im Viertel, Webers Heimat. Grob geschätzt, sagt er, kennt er hier 200 Menschen, genauso viele kennen ihn. Für sie ist er Sohn, Bruder, Schulfreund. Der, der vor acht Jahren weg ist. Das ist Leben Nummer eins.
Dann ist da Rangun, das Herz und wirtschaftliche Zentrum Myanmars. Knapp sechs Millionen Einwohner, anderthalbmal Berlin. Hier gibt es kaum jemanden, der Weber nicht kennt. Für sie ist er „Miki“, der Deutsche, Rapper, Schauspieler, Model. Das ist Leben Nummer zwei.
Nicht nur in Rangun, auch im Rest des südostasiatischen Landes zwischen Thailand, China und Indien ist Weber den Leuten ein Begriff. Der 27-Jährige spielt in TV-Serien, dreht Werbespots, lächelt von meterhohen Plakatwänden. Wenn er seine Wohnung verlässt, dauert es nicht lange, bis Fans ihm ihre Handys entgegenstrecken, ihn um ein Selfie bitten, das Autogramm des 21. Jahrhunderts.
Wie all das anfing? „Verrückte Geschichte“, sagt Weber. Er erzählt sie bei einem Treffen im Viertel. Ein Tag im Juli, dunkle Wolkenbrühe über Bremen, Coffee Corner am Sielwall. Vor vier Tagen ist Weber mit dem Flieger aus Rangun gekommen, Umsteigen in Bangkok, 21 Stunden von Tür zu Tür. Zehn bis elf Monate im Jahr lebt Weber in Myanmar, den Rest verbringt er in Bremen. Er nennt das: Urlaub machen.
Weber trägt ein blau-weißes Leinenhemd, auf dem Tisch liegt seine Sonnenbrille. Er trinkt Kaffee, schwarz, kritzelt in ein kleines Notizheft. Obwohl er das erste Mal seit Monaten freihat, plant er schon das Danach: Zurück in Asien beginnt die Promotour seines ersten Kinofilms, einer Schnulze mit dem Titel „Die treue Blume von Mandalay“. Weber spielt einen Ausländer, der sich in eine schöne Burmesin verliebt. Zuerst ist alles wahnsinnig kompliziert, dann siegt die Liebe. Weber muss lachen, als er den Plot skizziert. Dann sagt er zwei Worte, die er noch oft wiederholen wird: „Total freaky.“ Total irre.
Webers Leben, es klingt selbst wie der Stoff eines Films, eine Mischung aus Roadmovie, Liebesdrama und Märchen. Er wächst im Steintor auf, klettert auf Bäume am Weserufer, spielt auf der Straße, ist immer unterwegs. Seine Eltern lassen ihn machen. „Sie war Hippie, er Punk; ganz normal war meine Kindheit deshalb nie“, sagt Weber. Schon als Schüler gründet er mit Freunden eine Rockband, spielt auf der Breminale. 2004, Weber ist zwölf, zieht seine Mutter mit ihrem neuen Partner nach Neuseeland. Weber geht mit. Sein Stiefvater ist Spezialist für Computeranimation, in Wellington erweckt er Peter Jacksons „King Kong“ zum Leben. „Ich weiß noch, wie ich am Set rumgeturnt bin und das alles absolut großartig fand. Seither hatte ich Bock auf den Trubel beim Film.“
Zurück in Bremen ist ihm klar, dass er raus will. Raus aus Bremen, raus aus Deutschland. Nach dem Fachabitur an der Gesamtschule Mitte entscheidet er sich für ein Jahr Freiwilligendienst. Soweit nicht ungewöhnlich. Viele seiner Freunde wollen weg: Aupair in Frankreich, Backpacking in Australien. Weber will nach Mae Sot, Thailand. Auf den Straßen der Kleinstadt an der Grenze zu Myanmar patrouillieren Polizisten, Drogen- und Waffenhandel florieren. Tausende Burmesen fliehen vor der brutalen Militärdiktatur aus ihrer Heimat, Mae Sot ist eine der ersten Anlaufstellen.
Weber weiß das. Trotzdem freut er sich. Er kennt den Ort bereits; als Neunjähriger reist er mit seinem Vater nach Mae Sot, der sich von Bremen aus für die unterdrückte burmesische Volksgruppe der Shan einsetzt. Myanmar, seine Geschichte, seine Hässlichkeit, seine Schönheit brennen sich damals in Webers Gedächtnis. „Faszination“, sagt er, „ist ja oft eine Mischung aus Begeisterung und Abgestoßensein. Ich wusste nur: Ich muss da mehr drüber wissen.“
In Mae Sot gibt Weber ehemaligen Kindersoldaten Englischunterricht, nebenbei hilft er Prostituierten. Er vermittelt zwischen den Frauen und dem Besitzer eines Bordells, bringt ihnen neue Matratzen, verscheucht besoffene Freier. „Das war krass“, sagt er heute. „Vom behüteten Bremen mitten in dieses Elend.“
Eigentlich will er nur ein Jahr bleiben. Doch dann kommt alles anders. Er verliebt sich. Die junge Frau wird seine Freundin. Weil sie kein Englisch spricht, lernt er Burmesisch. Als Weber nach einem Jahr in Thailand im Flugzeug nach Bremen sitzt, ist er ein anderer. Er hat Fernweh, schlägt sich mit Nebenjobs durch, träumt davon, zurückzukehren. Drei Jahre später erfährt er über Ecken, dass seine Ex-Freundin aus Mae Sot im Gefängnis sitzt. Dass sie angeblich ein Kind hat. Vielleicht von ihm.
„Das waren alles nur Gerüchte, ich wusste nichts Genaues“, sagt Weber. Erreichen kann er seine Exfreundin nicht; schon wenige Monate nach seiner Rückkehr hatte sich der Kontakt auf ihren Wunsch hin verloren. „Ich hab nicht wirklich geglaubt, dass ich Vater bin. Aber da war immer dieser Gedanke: Was, wenn doch?“
Er beschließt, ernst zu machen. Bei einem Hamburger Reiseanbieter, der sich auf Myanmar spezialisiert hat, macht er eine Ausbildung. Drei Jahre später nimmt er einen Flieger nach Rangun. Er will als Übersetzer arbeiten, vielleicht als Fremdenführer. Und: Seine Ex-Freundin suchen, endlich die Wahrheit herausfinden. Von Rangun aus fährt er nach Mae Sot. Er findet die junge Frau, sie sitzt tatsächlich im Knast, wegen Drogenbesitzes. Sie hat Kinder, Zwillinge. Von einem anderen. 20 Minuten dauert das Gespräch, danach sitzt Weber wie betäubt im Auto. „Irgendwie hatte ich doch immer diese Option im Hinterkopf, das mein Leben ab diesem Tag ein komplett anderes ist.“ Er ist traurig, gleichzeitig erleichtert.
Er zieht nach Rangun, arbeitet im Goethe-Institut. Er will bleiben, erst mal. Ein halbes Jahr später geht ein Video viral: Ein paar Musiker aus Myanmar stehen auf einer Bühne, machen Hip-Hop. Mittendrin: Weber, blass, 1,90 Meter groß. Auch er rappt: auf Burmesisch.
„So fing alles an“, sagt Weber. Die Menschen wollen mehr über den jungen Mann aus Deutschland wissen; den, der fließend ihre Sprache spricht, die als eine der schwierigsten der Welt gilt. Fernsehsender berichten, es hagelt Interviewanfragen, Rollenangebote, Werbedeals. Drei Jahre später ist Weber eine feste Größe in der burmesischen Promilandschaft. „Total freaky“, sagt Weber. „Du gehst durch die Stadt und siehst überall dein Gesicht, auf Magazinen, Plakatwänden, sogar auf Bussen.“
Wie fühlt sich das an, der Trubel dort, die Ruhe hier? Er genieße es sehr, in Bremen zu sein, sagt Weber. Unerkannt durch die Straße zu gehen, einer von vielen zu sein. Immer wieder zuckt sein Blick über die benachbarten Café-Tische. Guckt wer? Hört einer zu? Die Ticks eines Teilzeitpromis. Fehlt sie ihm, die Aufmerksamkeit? Insgeheim, ein kleines bisschen? „Überhaupt nicht“, sagt Weber. Oft sei sie ihm sogar zu viel. Dann zum Beispiel, wenn Fans Geschenke in sein Treppenhaus hängen, Traumfänger, Zeichnungen, gestrickte Herzen. Wenn sie ihm Liebesbriefe schreiben. Ihm, den sie doch eigentlich gar nicht kennen.
Oder dann, wenn er wie ein Superstar behandelt wird. „Das burmesische Wort für Schauspieler bedeutet Königssohn“, sagt Weber. „Entsprechend wirst du verehrt. Dir wird alles hinterher getragen.“ Einerseits sei er „extrem dankbar“ für all die Türen, die sich ihm öffneten. Andererseits sagt er: „Ich beziehe diesen ganzen Zirkus nicht auf mich. Bekannt geworden bin ich, weil ich die Sprache spreche; nicht, weil ich so ein großartiger Rapper oder Schauspieler bin.“ Angst, dass der Ruhm ihm zu Kopf steigt, hat er nicht. Dafür, sagt er, sei er viel zu selbstkritisch, viel zu sehr Realist. Er sagt: „Mir ist absolut klar: Das ist nichts für immer.“
Man glaubt ihm das. Weber erzählt seine Geschichte, als spräche er über einen Freund. Ein bisschen belustigt, ein bisschen ungläubig. Ein bisschen euphorisch, weil all das so total irre ist. Manchmal, sagt er, habe er Angst, irgendetwas zu vergessen, weil das Leben gerade so an ihm vorbeirausche. Er schreibt dann einzelne Fetzen auf: Erinnerungen, Anekdoten, die Geschichten der Menschen, die ihm begegnen. In vier Wochen geht es zurück, von Bremen nach Rangun, 8000 Kilometer, zwei Welten. Ende August kommt Webers erster Film in die Kinos, im November ein zweiter. Nebenbei schreibt er Songs für ein Album, das er mit Iron Cross einspielt, der bekanntesten Rockbands Myanmars. Für das Goethe-Institut arbeitet er noch immer, inzwischen als Deutschlehrer. Und sonst? „Ma‘ gucken“, sagt Weber. Sicher sei nur: „Ganz normal wird mein Leben wohl nicht mehr.“ Das sei ok, das sei sogar ganz gut so. Lieber ist es ihm sowieso: total freaky.
Myanmar, früher Burma, ist ein südostasiatisches Land mit Grenzen zu Indien, Bangladesch, China, Laos und Thailand. Mit 677.000 Quadratkilometern ist es beinahe doppelt so groß wie Deutschland.
Von 1962 bis 2011 wurde Myanmar von einer Militärjunta regiert, war faktisch von der Außenwelt abgeschottet. 2011 öffnete sich das Land. Seither erlebt es einen rapiden Wandel: vom geschlossenen zum liberalen Wirtschaftssystem, von Diktatur zu Demokratie. Offizielle Staatschefin ist seit 2016 die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Tatsächlich ist der Einfluss des Militärs bis heute riesig.
Mehr als 140 Ethnien leben in Myanmar. Der Wunsch nach Unabhängigkeit vieler Minderheiten sorgt für andauernde politische Konflikte. Seit Jahrzehnten wird die muslimische Bevölkerungsgruppe der Rohingya diskriminiert und unterdrückt. Armee und Regierung des überwiegend buddhistischen Landes stehen international in der Kritik.
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