
Sie müssen früh aufstehen, sehr früh. Sie müssen gut zu Fuß sein oder gerne Fahrrad fahren; schlechtes Wetter darf kein Thema sein und vor Hunden sollten sie zumindest keine Angst haben. So und ähnlich stellen sich vermutlich viele Menschen die Arbeitsbedingungen der Zeitungsausträger vor – und „das stimmt auch fast alles – bis auf die Hunde. Ein Grundstück, in dem ein Hund herumläuft, den ich nicht als friedlich kenne, das muss ich nicht betreten“, sagt Kirsten Schlünz, 60 Jahre alt und seit 15 Jahren dafür zuständig, dass Hunderte von Abonnenten morgens ihre Zeitung im Briefkasten haben. Kirsten Schlünz ist eine von 1600 Zeitungsausträgern, die im Dienst der WESER-KURIER-Mediengruppe unterwegs sind – mit dreien haben wir uns über den Job, der nachts beginnt und morgens endet, unterhalten, und um es vorwegzunehmen: Alle sind mit Begeisterung dabei.
Hans Peter Steinberg, 67, gelernter Koch aus dem Siegerland und seit einigen Jahren „der Liebe wegen“ nach Schwanewede gezogen, hat 2015 angefangen: „Sonntags immer“ ist sein Hauptjob als Austräger vom KURIER am SONNTAG, aber mittlerweile kommen mehrere Vertretungen dazu, in verschiedenen Bezirke. Sind es an einem Tag mehr als einer, klingelt der Wecker um 2 Uhr, sonst kann er bis kurz nach 4 Uhr im Bett bleiben; sonntags darf es auch etwas länger sein. „Ich hab kein Problem mit dem Aufstehen“, sagt Steinberg, aber um 20 Uhr müsse er im Bett sein: Soziales Leben findet entsprechend der Vertretungszeiten nicht gerade ausufernd statt. Weil die zwei Packtaschen bis zu 50 Kilo wiegen können, hat er sich ein E-Bike gegönnt. „Man wird ja nicht jünger.“ Dass der Job ihn fit hält, davon ist Hans Peter Steinberg überzeugt, und Missgeschicke wie ein umgefallenes, voll beladenes E-Bike oder ein Mann, der im „morgens um halb drei“ am Briefkasten auflauert und ihn beschimpft, weil er am Tag vorher vergessen hat, die Gartentür zu schließen – „das sind Ausnahmen“: 99,9 Prozent der Leute seien nett.
Das bestätigt auch seine Kollegin Kirsten Schlünz (60) aus Grasberg. Vom Ortsanfang Lilienthal bis Tarmstedt, in Fischerhude, Lilienthal und diversen Bezirken in Worpswede ist sie als sogenannter Springer unterwegs. Die gelernte technische Zeichnerin hat das Zeitungsaustragen von ihrem Sohn übernommen – der hatte als 16-Jähriger erst ein Anzeigenblatt und später den WESER-KURIER in die Briefkästen gesteckt: „Das war aber zu viel Gewicht für ihn allein, da bin ich dann mitgefahren und hab geholfen“, erinnert sie sich an die Anfänge. Den Verdienst hat sie – ganz liebevolle Mama – dem Junior überlassen. Nun ist der aber lange erwachsen, und Kirsten Schlünz trägt alleine weiter aus. „Ich finde das cool. Ich muss nicht, aber ich kann.
Und drei Gründe, warum ich das gerne mache? Ich beglücke Menschen damit, dass sie zum Frühstück ihre Zeitung auf dem Tisch haben, ich habe Frühsport gemacht und ich bekomme Geld dafür.“ Sie lacht. Vor allem die Betonung auf „Früh“ beim sportlichen Aspekt ihrer Tätigkeit macht ihr nichts aus. Zwar muss sie je nach Bezirk zwischen 2.30 Uhr und 4.30 Uhr aus dem warmen Bett, aber „witziger weise fällt es mir leicht, um kurz nach zwei Uhr aufzustehen, da wache ich sogar ohne Wecker auf“. Wenn sie um halb fünf Uhr morgens raus muss, ist sie schon wach und habe Rückenschmerzen vom zu langen Liegen.
Fünf bis sechs Stunden Nachtschlaf genügen der fitten Frau, und weil sie sich mittags auch schon für ein Schläfchen hingelegt hat, ist sie natürlich zum Hahnenschrei lange wach. Ihre Lieblingsbezirke? „Schmalenbeck und den Lehesterdeich“: Der eine, weil er klein und ruhig ist und die Briefkästen an der Straße sind – „da muss ich nur aussteigen und einwerfen“. Der andere am Lehester Deich. „Den finde ich gut, wenn ich abnehmen will; da kommen schnell fünf Kilometer zu Fuß zusammen, weil die Häuser in zweiter und dritter Reihe stehen.“ Kirsten Schlünz hat schon entlaufene Kühe von der Straße gescheucht, wurde nachts von einem Mann in Schlafanzug abgefangen, „der mir sagte, dass im Briefkasten ein Rotschwanzpärchen brütet und ich ihm die Zeitung direkt aushändigen soll“, sie kennt schwierige Hunde, weshalb sie immer ein paar Leckerli dabei hat, und die Arbeitsbedingungen im Winter findet sie nicht so toll: „Aber wir haben ja keine Winter mehr“. Sie will auf jeden Fall Zeitungen austragen, „solange ich kann. Meine Mutter ist 86 und fit wie ein Turnschuh“.
Die Fitness ist auch für Daniela Moreno (61) ein starkes Argument. „Der Job hält mich gesund; ich bin immer draußen, es ist selbstbestimmte Arbeit, und der Kontakt zu den Kunden ist fast ausschließlich gut.“ Von Lilienthal aus beliefert sie drei feste Bezirke in Borgfeld und Lilienthal, aber als Urlaubsvertreterin kommen auch weitere Gebiete dazu, sodass sie manchmal sechs bis sieben Stunden unterwegs ist. „Das ist dann fast ein Vollzeitjob“, für den sie um 1 Uhr nachts aufsteht, und um sieben oder acht Uhr wieder zuhause ist. „Da schlafe ich dann etappenweise: Nach dem Frühstück, dann mittags ein Stündchen und abends geh ich um 21 Uhr ins Bett.“ Gesundheitliche Probleme durch den gestückelten Schlafrhythmus? „Hab ich nie gehabt. Ich mach das ja auch schon seit 20 Jahren.“ Sogar in ihren vier Wochen Urlaub, die sie sich einmal jährlich gönnt – „damit man sich umstellen kann“ – hat sie eine Eingewöhnungszeit von einer Woche, bis sie durchschläft: dann allerdings auch gerne bis morgens um neun, halb zehn. In ihrer Freizeit macht sie Chi Gong. „Das ist klasse! Man ist wirklich wacher morgens um ein Uhr.“
Es gab natürlich auch eine Zeit vor der Austrägertätigkeit – da hat Daniela Moreno in der Gastronomie und später in der Tragwerksausrüstung bei Airbus gearbeitet. „Hat Spaß gemacht“, sagt sie rückblickend, aber mit der Geburt ihres Sohnes 1995 musste sie sich umstellen. Die Stellenanzeige in der WÜMME-ZEITUNG, dass Austräger gesucht wurden, kam also gerade recht: „Das ging prima mit einem Kleinkind – in den Morgenstunden war ich unterwegs und mein Mann hat sich um den Kleinen gekümmert.“
Die Strecken, die sie mit dem Rad – „kein E-Bike, da leg ich Wert drauf“ – fährt, sind zwischen zwölf und 20 Kilometer lang; dann kommen noch die fußläufigen Wege dazu. Wenn das auch manchmal etwas mühselig ist. „Es gibt nichts Schöneres, als wenn die Kunden einen Briefchen oder eine Tafel Schokolade als Dankeschön in den Zeitungskasten legen.“ Daniela Morena hat ihren Traumjob gefunden und will nichts anderes machen. „Der Job hält mich fit“, ist sie überzeugt. „Das ist selbstbestimmte Arbeit, und die mach‘ ich solange, bis ich nicht mehr kann.“
Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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