
Ländliche Idylle und Bauernhofromantik - das ist der erste Eindruck vom Hof der Kaemenas. Doch dahinter steckt vor allem eines: harte Arbeit, nicht allein für die Familie.
Wer in den Gustav-Brandes-Weg in Oberneuland einbiegt, gelangt ein Stück weit in eine andere Welt. Große Bäume, viel Platz und ein Hauch von ländlicher Idylle. Am grünen Stadtrand von Bremen reiht sich eine Villa an die andere, mit weitläufigen und gepflegten Gärten davor. Ihre Bewohner sind zum Teil stadtbekannte Geschäftsleute, die an diesem Ort Ruhe nach einem stressigen Arbeitstag suchen.
Und dann gibt es da noch ein anderes Haus im Gustav-Brandes-Weg, das letzte, bevor der Weg ins Grüne und auf Felder führt. Es ist das Zuhause der Kaemenas. Auf dem Hof watscheln gerade sechs Entenküken aus der Scheune in Richtung Gartenteich der Familie. Getrieben werden sie von Bea Kaemena und Hündin Lotta. Nebenan grasen die drei Familienziegen Nemo, Annafried und Hoheit friedlich auf der Wiese, die Sonne scheint und die Blumen blühen. Was nach Ferien auf Bullerbü aussieht, ist für die Familie von Anfang April bis Ende Juli harte Arbeit – von morgens fünf Uhr bis abends um acht.
Hajo und Bea Kaemena gehören 40 Hektar Land in Oberneuland. Sie leben nicht, wie sonst in der Gegend üblich, von der Milcherzeugung, sondern von dem Verkauf von Spargel und Erdbeeren, die sie auf mehreren Feldern gedeihen lassen. Nach eigenen Angaben sind sie der einzige Hof, der direkt in Bremen anbaut – was in erster Linie am guten Boden in Oberneuland liege. „Wir haben einen leichteren Sandboden“, sagt Hajo Kaemena. „Darum wachsen der Spargel und die Erdbeeren so gut.“ Alle anderen Erzeuger hätten ihre Felder im niedersächsischen Umland und kommen nach Bremen, um dort zu verkaufen.
Harte Arbeit
Ihr Unternehmen ist ein richtiger Familienbetrieb – das heißt, dass in der Saison alle mithelfen müssen. Vater Hajo kümmert sich ums große Ganze. Er muss den Überblick behalten: Kontrollieren, dass der Spargel und die Erdbeeren wachsen und richtig geerntet werden, dass die Verkaufsstände ausreichend Ware haben und dass die Buchhaltung läuft. Sein Handy klingelt deswegen von morgens bis abends alle paar Minuten, die Familie hat sich mittlerweile dran gewöhnt – auch wenn es manchmal nervt. Schließlich geht der gelernte Landwirt nur seiner Arbeit nach.
In der Erntezeit sind etwa 20 polnische Erntehelfer auf den Feldern der Kaemenas tätig. Sie wohnen während dieser Zeit in Containern vor dem Haus der Familie, in denen sie selbst kochen und waschen können. Deutsche Helfer, die für acht Euro in der Stunde arbeiten wollen, finden die Kaemenas nicht, sagen sie. Viele der polnischen Arbeiter kommen schon seit Jahren auf den Spargelhof in Oberneuland. Auch wenn das für sie oft bis zu zehn Stunden Arbeit am Tag bedeutet, sechs Tage die Woche.
Sie wollen Geld verdienen, das sie in Polen nie gezahlt bekommen würden, für sich selbst und oft noch für Teile der Familie. So ist es auch bei Jurek und Bozena Blazejwicz. Stechmesser, Glättekellen und Sammelkörbe sind ihre Werkzeuge auf dem Feld. Seit mehr als 15 Jahren schon kommen sie zu Beginn der Saison zu den Kaemenas und bleiben zweieinhalb Monate. Jurek Blazejwicz ist 63 Jahre alt, Bozena 56. Das ständige Bücken nach dem Edelgemüse und die Sonne, die ihnen dabei auf den Kopf scheint, strengt sie mittlerweile mehr an als früher, doch das nehmen sie in Kauf. Um ein kleines Stückchen Polen auf das Feld in Oberneuland zu holen, hört Bozena über ihren MP3-Player Musik aus ihrer Heimat.
25 Zentimeter muss eine Spargelstange erreichen, ehe Bozena sie freigraben und stechen kann. Wie viel Spargel geerntet wird, ist von der Temperatur abhängig. „Bei einer Temperatur von 20 Grad Celsius wachsen die Stangen zehn Zentimeter pro Tag“, sagt Hajo Kaemena. Der tägliche Spargelertrag auf dem Hof schwanke zwischen 50 und 500 Kilogramm. Wenn sich die Spargelsaison zum Sommer hin dem Ende nähert, fängt die Erdbeerzeit an. Auf den Feldern kann dann auch selbst gepflückt werden. „Mit unseren Erdbeeren machen wir fast noch mehr Umsatz als mit dem Spargel“, sagt Hajo Kaemena. Auch bei dieser Ernte helfen die Arbeiter aus Polen.
Mitarbeiter gehören praktisch zur Familie
Mit dem Geld, das sie in Deutschland verdienen, kommen Bozena und ihr Mann in Polen fast ein ganzes Jahr über die Runden, Jureks kleine Rente alleine würde nicht reichen. Und es ermöglicht ihnen auch, dass sie ihrem Enkelkind Geschenke machen können, die sie sich sonst nicht leisten würden. Trotzdem vermisst das polnische Ehepaar seine Familie. Zehn Wochen sind eine lange Zeit, gerade, weil die Spargelstecher sich neben der Arbeit in Bremen nicht viele Auszeiten gönnen. „Sie wollen möglichst wenig Geld ausgeben und viel arbeiten, damit sich der Aufenthalt lohnt“, erklärt Bea Kaemena. Wenn die Hälfte der Erntezeit um ist, veranstalten sie und ihr Mann deshalb ein Fest, für ihre Helfer und die Mitarbeiter aus den Verkaufsständen. „Wenn alle so hart arbeiten, tut diese Feier allen gut“, sagt sie. Einige der Spargelstecher, so wie Jurek und Bozena Blazejwicz, seien mittlerweile mehr als nur Saisonhelfer – im Sommer gehören sie praktisch zur Familie. Verständigt wird sich mit einigen Brocken Deutsch und Händen und Füßen. Das klappt in der Regel ganz gut.
Auch wenn sie praktisch den ganzen Tag gemeinsam im Einsatz sind, viel Zeit für ihre Ehe oder das Familienleben bleibt auch den Kaemenas im Sommer nicht. „Wir sind froh, wenn wir sonntags mal den ‚Tatort‘ zusammen gucken können“, sagt Hajo Kaemena. Einzig mittags versucht die Familie zum Essen zusammenzukommen, bevor sie sich einen kurzen Mittagsschlaf gönnt. Die Mahlzeiten bereitet so oft wie möglich Beas Mutter Beate Heuer zu, „ich schaffe das nebenbei einfach nicht“, sagt Tochter Bea. An diesem Tag gibt es – wie sollte es anders sein – Spargel mit Pesto auf Blätterteig gebacken. Aber so oft, wie alle denken, essen die Kaemenas in Wahrheit ihr eigenes Edelgemüse gar nicht. „Und wenn, gibt es oft nur die Reste, die wir nicht mehr verkaufen können“, sagt Hajo Kaemena und lacht.
Lange Familientradition
Im Haus verteilt hängen einige alte Aufnahmen in Schwarz-Weiß. Die Kaemenas, die kennt in Oberneuland eigentlich jeder. Kein Wunder, denn die Familie ist schon seit Ewigkeiten dort. Um 1450 herum siedelten sich die Vorfahren von ihnen dort an. Bis 1972 befand sich die Hofstelle vorne im Gustav-Brandes-Weg an der Oberneulander Landstraße. Über Generationen hinweg wurde ein typischer Bauernhof mit Kühen, Schweinen, Pferden und Geflügel bewirtschaftet. Hajo Kaemenas Eltern, Margot und Gerd, haben 1985 mit der Umstellung des Hofes von der Bullenaufzucht zum Anbau von Erdbeeren den Grundstein für die heutige Betriebsform gelegt. Vier Jahre später kam der Spargel dazu. Erdbeeren und Spargel sind in dieser Zeit besonders gut bei den Kunden angekommen, und das ist auch heute noch so, sagt Hajo Kaemena. Dass der Bremer Hof frisch in der unmittelbaren Nachbarschaft verkauft, sei für viele der Abnehmer wichtig für ihre Kaufentscheidung. Nachdem Hajo den Hof 1994 von seinem Vater übernommen hatte, entwickelte er zusammen mit seiner Frau die Idee immer weiter. Nach und nach kamen die Verkaufsstände in den Stadtteilen hinzu – mittlerweile gibt es in Oberneuland und umzu sechs dieser Buden. Für Hajo Kaemena war immer klar, dass er den Hof von seinen Eltern übernimmt. Er mag, wie abwechslungsreich seine Arbeit ist, und dass man selbst Erfolge erzielen kann. „Man schafft etwas, das ist toll“, sagt er. Der 48-Jährige war auch derjenige, der Spargel- und Erdbeeranbau in die Neuzeit geführt hat. Regelmäßig schießt er Fotos davon für die sozialen Netzwerke, in denen sich der Hof seit einiger Zeit präsentiert. Das kommt gut bei den Kunden an. Es gibt sogar kleine Imagefilme, in denen Bea Kaemena Spargelrezepte zum Nachkochen zeigt.
Für seine Frau Bea war die Arbeit auf dem Hof erst einmal eine ganz schöne Umstellung, als sie vor 15 Jahren dazu kam. Als gelernte Krankenschwester hat man mit Landwirtschaft rein gar nichts zu tun. Mittlerweile ist sie in die Aufgabe reingewachsen, sagt sie. Sie kümmert sich außer um Haushalt und die Kinder viel um Büroarbeiten und die Einteilung der Verkäuferinnen. Anders als ihr Mann, der, wenn ihm alles zu viel wird, einfach mal mit seinem Fotoapparat ins Feld flüchtet, fällt es Bea Kaemena in der Erntezeit schwer, abzuschalten. „Da muss man sie manchmal schon zwingen“, sagt ihr Mann liebevoll.
Für Nachfolge ist gesorgt
So viel Arbeit das Leben während der Ernte bedeutet, ein bisschen Bauernhof-Romantik gibt es zwischendurch dann doch: Wenn sich Bea und Hajo Kaemena im Feld einen Kuss geben oder Tochter Lena auf ihrem Pferd Alegro Richtung Sonnenuntergang reitet. „Ich bin froh, so aufgewachsen zu sein“, sagt Lena Kaemena. Der Umgang mit den Tieren habe ihr immer geholfen, auch wenn es ihr mal nicht so gut ging. Sie ist auch diejenige, die sich gut vorstellen kann, den Betrieb ihrer Eltern später weiterzuführen. Ihr Bruder Philipp ist ausgezogen, um eine Ausbildung zum Speditionskaufmann zu machen. Viel alleine zu arbeiten, so wie sein Vater, ist nicht sein Ding, sagen die Eltern.
Hund, Enten, das Pferd und die Ziegen gehören für die Kaemenas trotz der vielen Arbeit einfach zum Hof dazu. „Ich hätte am liebsten noch Gänse“, sagt Bea Kaemena. „Das sind die besten Beschützer vor Einbrecher, weil sie so einen Krach machen.“ Jedes Jahr im Mai ruft das Tierheim bei der Familie an. Dann hat irgendwo in der Stadt jemand Wildentenküken gefunden, die ihre Eltern verloren haben. Die Familie zieht sie dann groß, mit Wärmelampe und Ausflügen zum Teich im Garten. Und geht es einem der Küken schlecht, fühlt sich auch Bea Kaemena nicht wohl: „Wenn man selber Kinder hat, leidet man einfach mit“, sagt sie. Wenn die Tiere im Herbst davonfliegen, kann es schon mal vorkommen, dass sie die eine oder andere Träne verdrückt.
Die anderen Tiere bleiben das ganze Jahr über bei den Kaemenas, die letzten Erdbeeren werden Ende Juli verkauft. Und dann? Nach der Saison geht es traditionell einige Tage in den Harz. „Ich genieße es, dann einfach nur durch den Wald zu wandern und stundenlang niemandem zu begegnen“, sagt Hajo Kaemena.
Den Herbst und Winter verbringen sie vor allem im Büro. Dann übertragen sie handschriftliche Listen in ihr System im Computer und planen, was sie für die nächste Saison anbauen. Dieses Jahr ist es ein bisschen mehr Grünspargel als sonst. Und zwischendurch bleibt in diesen Monaten auch wieder mehr Zeit für Familie und Hobbys. Bei Hajo Kaemena ist das die Freiwillige Feuerwehr. „Da muss im Notfall dann auch mal der Spargel warten“, sagt er.
Spargel & Co:
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