Dramatische Lage in Camps Bremen will minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen

Die Bremische Bürgerschaft hat am Mittwoch mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen, mehr minderjährige Menschen von Inseln wie Lesbos in Bremen aufzunehmen. Dies ist aber erst einmal nur ein Signal.
29.01.2020, 20:29 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Bremen will minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen
Von Carolin Henkenberens

Kurz vor Weihnachten war es, als eine Forderung von Grünen-Chef Robert Habeck bundesweit für Diskussionen sorgte: Sollte Deutschland minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge aufnehmen, die in völlig überfüllten Flüchtlingscamps in Griechenland im Winter in Zelten leben müssen? Ja, finden die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft. Und das mit breiter Mehrheit. Das Landesparlament hat am Mittwoch mit den Stimmen aller Fraktionen und der Abgeordneten Jan Timke (Bürger in Wut) und Uwe Felgenträger (AfD) beschlossen, dass das Land Bremen mindestens 20 unbegleitete Kinder und Jugendliche aus den Lagern in Griechenland aufnehmen soll. Die anderen vier Abgeordneten der AfD waren bei der Abstimmung nicht im Saal.

Ob Bremen tatsächlich zusätzliche Geflüchtete aufnehmen kann, entscheidet allerdings das Bundesinnenministerium. Bundesländer dürfen sich bereit erklären, über den Königsteiner Schlüssel hinaus, weitere Menschen aufzunehmen. Das Innenministerium muss solchen Vorhaben jedoch zustimmen. Ein weiterer Beschluss von Mittwoch ist, dass Bremen sich einer Bundesratsinitiative anschließt, die erreichen soll, dass Länder zusätzliche Menschen aufnehmen können – auch ohne Einvernehmen mit dem Bund. Dieser Forderung stimmten die CDU- und die FDP-Fraktion nicht zu, auch Felgenträger lehnte sie ab, Timke enthielt sich.

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Mit der Bereitschaft zur Aufnahme von 20 zusätzlichen Menschen aus Griechenland folgt Bremen anderen Bundesländern: Niedersachsen will 100 Kinder aufnehmen, Berlin 70 und Thüringen 25. Björn Fecker (Grüne) sagte in der Bürgerschaftssitzung, die genaue Zahl hänge auch davon ab, wie viel Traumata die Menschen mitbringen. „Sind diese nicht allzu groß, könnten wir auch mehr aufnehmen.“ Schon 2018 hatte der Senat Bremen zum „sicheren Hafen“ erklärt.

Für die Zustände in den griechischen Lagern fanden die Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen deutliche Worte. Sofia Leonidakis, Co-Vorsitzende der Linksfraktion, nannte sie eine „humanitäre Katastrophe“. Die Lager auf den griechischen Inseln seien für 9500 Menschen ausgerichtet, es lebten dort allerdings 41 000 Personen. Immer wieder würden Menschen erfrieren oder an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung sterben, weil sie Feuer in Zelten machten. Kürzlich sei ein Kind, das in einem Pappkarton spielte, von einem Auto überfahren worden, berichtete Leonidakis. Die Inselbewohner hätten die schwierige Situation lange mitgetragen.

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„Wir haben die Menschen schamlos allein gelassen“, kritisierte sie. Die SPD-Politikerin Jasmina Heritani erinnerte sich: „2011 habe ich Kleidung gesammelt für Menschen in Syrien und in den Anrainerstaaten. Heute sammeln wir für Menschen in der Europäischen Union.“ Fecker befand: „Wir Europäer verraten auf Lesbos und Co. unsere Werte jeden Tag aufs Neue.“

Auch die FDP und CDU begrüßten die Forderung, den Menschen in Griechenland schnell zu helfen. „Die Zustände in den EU-Hotspots sind nicht mehr hinnehmbar“, sagte Birgit Bergmann (FDP). Manche Bilder ließen einen nicht mehr so schnell los, dazu gehörten auch jene aus Griechenland.

Ihre Fraktion sei sich sicher, dass Bremen es ohne Probleme schaffe, 20 weitere Flüchtlinge aufzunehmen. „Hilfe ist dringend nötig“, sagte Sigrid Grönert (CDU). Ihre Fraktion sei bereit, dem Innenministerium zu sagen, man wolle mehr Geflüchtete aufnehmen als vorgesehen. Aber eben nur, wenn das Ministerium von Horst Seehofer zustimmt.

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Den Vorstoß, dass Kommunen eigenständig Geflüchtete willkommen heißen dürfen, lehne die CDU ab, erklärte Grönert. „Wir müssen uns die Frage stellen, welche Folgen das hätte. Warum sollten sich die anderen EU-Staaten noch um eine Lösung kümmern, wenn sich deutsche Kommunen schon kümmern?“ FDP-Politikerin Bergmann sagte: „Unsere kleine symbolische Aktion mag eine Mahnung an die EU sein, endlich zu handeln.“ Den Bundesratsvorstoß unterstütze die FDP aber nicht, entscheidende Änderungen müssten auf Bundes- und EU-Ebene passieren.

Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erklärte, die Aufnahme von 20 Menschen sei „ein gewisses Symbol“, aber sicher nicht die Lösung des Problems. Die Verhältnisse in den griechischen Lagern nannte er „inhuman“, sie seien „eine Schande für die Europäische Union“. Auf der Innenministerkonferenz hätten die SPD-Innenminister vorgeschlagen, dass Deutschland bis zu 1000 junge Menschen aufnehmen könne. Die Bundesregierung unternehme einiges. Doch die Forderung der SPD-Minister mündete vorerst nicht in konkreten Ergebnissen.

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Mit der Einigkeit ist es, das zeigte die Debatte in der Bürgerschaft, so eine Sache. Gern beklagt man sich ja über ihr Fehlen, über die Abwehrhaltung der anderen. Aber wenn es Einigkeit gibt und diese dann stark betont wird, scheppert es am Ende doch wieder. Als Björn Fecker und Sofia Leonidakis den Abgeordneten von CDU und FDP dankten, für ihre Zustimmung zur Aufnahme der zusätzlichen Geflüchteten, für ihre Offenheit für das Thema, da regte sich Protest. Sie wolle kein Lob für Menschlichkeit, empörte sich Grönert.

Es wirke ja fast so, als traue man der CDU keine Menschlichkeit zu. Birgit Bergmann (FDP) fragte Leonidakis rhetorisch, ob sie davon ausgehe, dass die Befähigung zur Anteilnahme in allen Parteien vorhanden sei. Die AfD-Abgeordneten schwiegen zu allem, oder vertraten sich die Beine. Etwa 400 Kilometer weiter östlich, im Bundestag in Berlin, wurde am Mittwoch ebenfalls über die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Griechenland diskutiert. Grüne und Linke forderten, dass unbegleitete Kinder, Schwangere oder Traumatisierte nach Deutschland kommen können. Es fand sich keine Mehrheit dafür. Union, SPD, FDP und AfD wandten sich gegen die Forderungen.

+++ Dieser Text wurde aktualisiert um 20:29 Uhr +++

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