
Von "absurd" bis "Aprilscherz": Die Reaktionen auf den Leitfaden für Asylsuchende ähneln sich und sind größtenteils ablehnend. Auch in Bremen und dem Umland sieht man ein Vorgehen mit erhobenem Zeigefinger als den falschen Weg.
Liebe fremde Frau, lieber fremder Mann“, mit dieser Anrede beginnt das Dokument, das die Gemeinde Hardheim in Baden-Württemberg als „Hilfestellung und Leitfaden für Flüchtlinge“ auf ihrer Homepage vor einigen Wochen bereitgestellt hat.
Die Idee aus Hardheim hat eine Diskussion darüber ausgelöst, ob ein Leitfaden vielleicht auch in anderen Städten eine gute Idee wäre. Vielerorts stößt der „Knigge-Katalog“ jedoch auf starke Ablehnung, obwohl er nach Angaben des Hardheimer Bürgermeisters Volker Rohm lediglich „ein friedliches und freundliches Miteinander“ ermöglichen soll.
Der Leitfaden enthält eine Liste mit Benimmregeln, Punkte wie Sauberkeit oder das Verhalten im öffentlichen Raum betreffend. Regeln wie: „In Deutschland respektiert man das Eigentum des anderen. Man betritt kein Privatgrundstück, keine Gärten, Scheunen und andere Gebäude und erntet auch kein Obst und Gemüse, das einem nicht gehört“ oder „Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen“ sind auf der Liste zu finden. Genauso auch Hinweise auf die Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Nachtruhe oder das Entsorgen von Müll. Insgesamt befinden sich – neben der Bitte schnellstmöglich Deutsch zu lernen – elf Punkte auf der Hardheimer Liste, die den Flüchtlingen vor Ort in ihrer Landessprache näher gebracht werden soll. Dabei präsentiert sich der Leitfaden eher als Belehrung, denn als Hilfestellung.
Von „absurd“ bis „Aprilscherz“, die deutschlandweiten Reaktionen auf den Leitfaden ähneln sich und sind größtenteils ablehnend. Auch in Bremen und dem Umland sieht man ein Vorgehen mit erhobenem Zeigefinger als den falschen Weg, um Neuankömmlingen die hiesigen Gegebenheiten näher zu bringen und Konflikte zu vermeiden. „Die gute Absicht hinter dem Leitfaden ist zwar erkennbar, aber man ist in Hardheim eindeutig blauäugig und naiv übers Ziel hinaus geschossen“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Bremer Sozialbehörde. Einige Ratschläge, zum Beispiel zur richtigen Toilettennutzung, gehen in seinen Augen weit über die Grenzen der Peinlichkeit hinaus: „Die Menschen kommen aus zivilisierten Ländern und bringen Anstand und Sitte mit“, so Schneider. Selbstverständlich gäbe es auch in Bremen Regeln des Zusammenlebens, die wichtig sind. In allen Unterkünften würden Hausordnungen gelten. „Das ist normal, wie in Jugendherbergen zum Beispiel auch.“
„Willkommensmappe“ in Planung
Auch in den insgesamt fünf Sammelunterkünften in Delmenhorst gibt es laut Stadtsprecher Timo Frers Hausordnungen, in denen Regelungen getroffen werden, die sich auf die Unterkunft beziehen und einem einvernehmlichen und geordneten Zusammenleben dienen sollen. Diese beinhalten vor allem grundlegende Dinge, wie Essens- und Ruhezeiten oder das Verbot von offenem Feuer, Waffenbesitz oder Tierhaltung. Regeln wie in Hardheim, seien darin allerdings nicht enthalten. „Die Erstellung eines derartigen Leitfadens wäre in der Stadt Delmenhorst undenkbar“, betont Frers. Die wichtigste Stütze, um Flüchtlinge hier auf die neuen kulturellen Gegebenheiten einzustimmen, und feste Regeln zu verdeutlichen, seien Dolmetscher und Integrationslotsen. Diese könnten den Flüchtlingen Informationen in persönlichen Gesprächen und in ihrer jeweiligen Sprache vermitteln. „Wir haben bislang nur positive Erfahrungen mit dieser Herangehensweise gesammelt“, sagt Frers. „Fragen der Flüchtlinge können auf diesem Wege ebenfalls beantwortet werden.“ Zusätzlich sei laut Frers eine „Willkommensmappe“ für Flüchtlinge geplant, die zum Beispiel wichtige Anlaufstellen und Kontaktdaten enthalten solle.
Wie wichtig persönliche Gespräche sind, unterstreicht auch Bärbel Haase, stellvertretende Leiterin der Unterkunft auf dem Gelände der Lützow-Kaserne in Schwanewede. „Regeln oder Leitfäden sollten nie nur schriftlich vorliegen“, sagt Haase. „Viel wichtiger sind erklärende Gespräche ohne erhobenen Zeigefinger.“ Einen Leitfaden gibt es in Schwanewede nicht, auch hier liegt lediglich eine grundlegende Hausordnung vor, die in verschiedenen Sprachen aushängt und von den Ansprechpartnern in den Häusern bei Fragen vermittelt wird. Flyer oder Ähnliches mit Tipps zu Themen wie Mülltrennung und Verhaltensweisen zu verteilen, ist in Haases Augen wenig hilfreich: „Das ist vielleicht später einmal sinnvoll, aber nicht in den großen Notunterkünften. Hier geht es mehr darum, in der Praxis mit- und voneinander zu lernen.“
Zusätzlich helfen in Schwanewede Piktogramme im Alltag, einfache Symbolbilder, die zum Beispiel darauf hinweisen, dass man sich auf der Toilette hinsetzen soll oder verdeutlichen, wo sich Büroräume oder der Sanitätsbereich befinden. Außerdem seien aktuell Kleinstkurse für die Heimbewohner in Vorbereitung, zu verschiedensten Themen, wie zum Beispiel den Verkehrsregeln. „Das soll aber auch nicht ablaufen, wie in der Schule und auf ein mahnendes ,Du, Du, Du’ verzichten wir“, so Haase.
Weitere Orientierungshilfen
In Bremen und in einigen Einrichtungen im Umland überlege man aktuell auch, den Flüchtlingen noch andere Orientierungshilfen zugänglich zu machen, erklärt Schneider. Beispielsweise den „Refugee Guide“, eine Orientierungshilfe, die Studenten und Doktoranden mit verschiedenen geografischen und kulturellen Hintergründen gemeinsam mit Vertretern aus den unterschiedlichsten Ländern verfasst und online in mehreren Sprachen zur Verfügung gestellt haben. Darin wolle man sich bemühen, die unterschiedlichen Kulturen zu verstehen und aus ihrem Blickwinkel auf unsere Kultur zu schauen ohne dabei reglementierend zu wirken. Ob der Guide eine geeignete Hilfe wäre, müsse jedoch noch im Detail geprüft werden, sagt der Sprecher der Sozialbehörde.
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