
Demokratie lebt von Wahlen. Was aber tun, wenn viele Menschen von ihrem Grundrecht keinen Gebrauch machen? In Bremen hatte man eine schöne Idee: Wenn der Wähler nicht zur Wahl kommt, dann muss die Wahl eben zu ihm kommen. In Einkaufszentren wollte die SPD Wahllokale einrichten und hatte sich das so richtig volksnah ausgemalt.
Die Grünen witterten schnell ein Komplott, weil ihre Klientel sich angeblich nicht in Einkaufszentren tummelt, jedenfalls nicht in denen, die der SPD gefielen. Man hätte nun eine Liste infrage kommender Biomärkte in Auftrag geben können, aber da endete die Fantasie der Koalitionäre schon längst. Das Ganze war ziemlich peinlich und vor allem neben dem Punkt.
Denn die Ursache der niedrigen Wahlbeteiligung ist vermutlich nicht vor allem Faulheit. Sie hat zum einen sicher damit zu tun, dass zwischen den Parteien nicht mehr allzu große weltanschauliche Unterschiede zu erkennen sind. Unter CDU-Führung schafft der Bund die Wehrpflicht ab, führt die Frauenquote ein und schaltet die Atomkraftwerke ab. Was ist da eigentlich noch rechts, was links? Zum anderen aber, und das ist bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft sicher bedeutsamer, haben viele Menschen nicht den Eindruck, sie bewirkten mit der Abgabe ihres – sehr umfangreichen – Wahlzettels etwas.
Und an diesem Gefühl ist ja auch etwas dran. In Bremen regiert immer die SPD, so viel ist klar. Auf der ersten Seite dieser Zeitung stand vor wenigen Tagen die Überschrift: „SPD setzt auf Arbeit und Bildung“. Es ging um das „Regierungsprogramm 2015–2019“ – aber in der Überschrift steckte schon das ganze Dilemma, mit dem die Wähler und Wählerinnen am 10. Mai klarkommen müssen. Thema Arbeit: Gerade erst ist Bremen von Platz 15 auf 16 in der Arbeitslosenstatistik der Bundesländer abgerutscht, und anders als bei Werder Bremen ist die Platzierung im Tabellenkeller offensichtlich von Dauer. Im Koalitionsvertrag der aktuellen rot-grünen Regierung steht ein schöner Satz, der daher am besten unverändert in das Nachfolgedokument übernommen werden sollte: „Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch.“
Ähnliches beim Thema Bildung: Der Pisa-Schock rüttelte Bremen einst wach, die Schulen machten Fortschritte – aber die anderen Länder verbesserten sich noch stärker, und so bleibt wieder nur ein Abstiegsplatz. Das 56-seitige Programm der SPD, das am 7. März auf einem Landesparteitag verabschiedet wird, liest sich gut („Wir stehen für eine Politik, die wirtschaftliches Wachstum will“), keine Frage. Aber wenn die tatsächliche Bilanz bei Arbeit und Bildung im Vergleich so bescheiden ist, warum sollte man darauf vertrauen, dass die SPD das Land ausgerechnet bei diesen beiden Themen entscheidend nach vorne bringt?
Wer sich umhört, bekommt eine Antwort häufig zu hören: weil es keine Alternative gibt. Und in der Tat ist die SPD die einzige der beiden Volksparteien, die ihren Machtanspruch ernsthaft und glaubwürdig formuliert. Die SPD will regieren, die CDU nur vielleicht. Erst fand sich kein Kandidat, jetzt soll es Platz zwei werden, so ähnlich wie bei dem Mann im Werbespot, der für sich das zweitbeste Steak und für seine Frau den zweitbesten Fisch bestellt. Das unwürdige Spektakel, bei dem die Spitzenkandidatur Elisabeth Motschmann zufiel, ist nur ein Symptom eines tiefer liegenden Problems. Das über Jahrhunderte gewachsene Bürgertum tut ohne jeden Zweifel viel Gutes für Bremen, manches offen, vieles im Verborgenen. Ohne dieses Kraft stünde der Stadtstaat noch viel schlechter da. Aber aus der politischen Willensbildung hält sich die Kaufmannschaft weitgehend raus und wird so quasi zur außerparlamentarischen Opposition.
Es ist diese Gemengelage, die bei der vergangenen Wahl zur erbärmlichen Wahlbeteiligung von 55,5 Prozent führte. Für die Legitimation der Regierenden ist das fatal: Von den Wahlberechtigten hat also nur rund jeder fünfte der SPD seine Stimme gegeben, und bei den Grünen war es sogar nur jeder achte. Es wäre sicher naiv zu glauben, das alles ließe sich schnell ändern. Aber es wäre töricht zu glauben, die Wähler und Wählerinnen ließen sich das so auf Dauer bieten. Bremen und Bremerhaven haben ihre Erfahrungen mit obskuren Parteien und Wählervereinigungen, und die Gefahr wächst, je stärker die Wahlbeteiligung sinkt. Gerade hat die selbst ernannte Alternative für Deutschland ihren Parteitag in Bremen veranstaltet, wie sie am kommenden Sonntag in Hamburg abschneidet könnte ein Indiz für Bremen sein.
Die nächsten drei Monate wären politisch jedenfalls ein Gewinn, wenn sie von einem echten Wahlkampf geprägt wären, einem Wettstreit der besten Argumente und Ideen nämlich. Die Wahrheit ist immer noch konkret.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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