
„Die Zukunft der Lloyd Werft sieht gut aus“, sagt deren Betriebsratsvorsitzender Daniel Müller. Und meint damit den möglichen Auftrag zum Bau von fünf Kreuzfahrtschiffen. Doch Müller spricht auch von einer Drei-Klassen-Gesellschaft unter den Arbeitnehmern der Werft. Da gibt es das Stammpersonal, aber zunehmend auch Arbeiter mit Werkverträgen sowie Leiharbeiter. Darüber, wie teilweise mit den Arbeitern der letzten beiden Kategorien umgegangen wird, gebe es erschreckende Berichte aus Niedersachsen. Müller spricht von einem „System der Ausbeutung“ und einer „Parallelwelt“.
Woher er das weiß? In Niedersachsen gibt es seit eineinhalb Jahren sogenannte „Beratungsstellen für mobile Beschäftigte“ (siehe Artikel unten). Zu ihnen kommen Arbeiter und berichten über die Zustände, unter denen sie arbeiten und leben müssen. Zumeist sind es Osteuropäer, vorübergehend angeheuert von Subunternehmern, in der Regel ohne Sprachkenntnisse und ohne Kenntnisse über soziale Mindeststandards am Arbeitsplatz. Um diese Standards einzuhalten, wäre eine solche Beratungsstelle auch in Bremen wichtig, forderte Daniel Müller am Dienstag. So könne Druck auf Vorstände ausgeübt und sichergestellt werden, dass nur seriös agierende Firmen Aufträge erhielten.
„Armutsquote auf Rekordhoch“
Eingebettet war diese Forderung in eine Pressekonferenz von Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) und Arbeitnehmerkammer Bremen. Gemeinsam machen sie sich für „Gute Arbeit in Bremen und Niedersachsen“ stark. In den vergangenen zehn Jahren seien in den beiden Bundesländern zwar weit über 400 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Doch trotz Beschäftigungszuwachses sei die Armutsquote auf ein Rekordhoch gestiegen, erklärt Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen. „Die Kluft zwischen guten und schlechten Löhnen sowie Arbeitsbedingungen wird größer.“
Um daran etwas zu ändern, müsste die Vergabe öffentlicher Mittel und Aufträge enger an die Einhaltung von Sozialstandards geknüpft werden, fordert Schierenbeck. Niedersachsen habe hierfür ein Punktesystem eingeführt, in das unter anderem die Zahl von Dauerarbeitsplätzen mit Tarifbindung einfließe und Kriterien wie Familienfreundlichkeit eine Rolle spielten. Im Gegenzug könne Niedersachsen von Bremen lernen, wo es – Stichwort: Kontrolle – eine „Sonderkommission Mindestlohn“ gibt.
Einigkeit herrscht bei den Gewerkschaftern aus Bremen und Niedersachsen darüber, dass man gemeinsam vorgehen muss. Förderrichtlinien müssten eng aufeinander abgestimmt werden, damit die Bundesländer nicht gegeneinander ausgespielt werden könnten. Die Chancen dafür stünden gut, konstatierte Annette Düring, Vorsitzende des DGB Bremen-Elbe-Weser. Beide Landesregierungen hätten „Gute Arbeit“ in ihren Koalitionsverträgen als Thema benannt. „Jetzt gilt es, das auch mit Leben zu füllen“, betonte Düring und lieferte dafür eine ganze Reihe von Ansatzpunkten. In Bremen sei ein Rückgang bei Ausbildungsplätzen zu verzeichnen, in Bremen gebe es keine Quote bei der Leiharbeit, und was Themen wie Bildungszeit oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf anginge, gebe es bei einem Großteil der Bremer Klein- und mittelständischen Betriebe noch Luft nach oben. Besonders „auf dem Kieker“ habe sie beim Thema faire Arbeitsbedingungen den Einzelhandel sowie das Hotel- und Gaststättengewerbe, sagte Düring mit Hinweis auf Tarifflucht, Minijobs und Saisonarbeit.
Auftrag im Koalitionsvertrag
Auch hinter dem Modell der mobilen Beratungsstellen steht der DGB Bremen-ElbeWeser. „Um die schlimmsten Exzesse am Arbeitsmarkt zu vermeiden, ist die Einrichtung einer solchen Stelle in Bremen überfällig“, so Düring. In Bremerhaven gebe es „richtig große Probleme“.
Es gibt einen klaren Auftrag, eine solche Stelle einzurichten und zu finanzieren, zitiert Holger Bruns, Sprecher des Wirtschaftssenators, hierzu aus dem Koalitionsvertrag. „Das ist als sinnvolle und wichtige Aufgabe definiert und soll in Kooperation mit Niedersachsen entwickelt werden.“
Für Hartmut Tölle, Vorsitzender des DGB Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt, letztlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit: „Hier nichts zu tun, würde bedeuten, dass die Regierung bewusst in Kauf nimmt, dass sich kriminelle Machenschaften verfestigen und ausweiten.“
In Bremen wird sie gefordert, in Niedersachsen gibt es die „Beratungsstelle für mobile Beschäftigte“ schon. Und dies gleich an drei Standorten, in Hannover, Oldenburg und Braunschweig. Träger ist jeweils die Bildungsvereinigung „Arbeit und Leben“. Die Finanzierung ist unterschiedlich, in Oldenburg zahlt das Land, in Hannover die Region, in Braunschweig teilen sich drei Städte die Kosten.
Im Juli 2013 brannte in Papenburg eine Unterkunft ab, in der Arbeiter der Meyer Werft untergebracht waren. Zwei Rumänen kamen dabei ums Leben, erinnert sich Bernd Bischoff, Leiter der Einrichtung in Oldenburg, an die Initialzündung für die Einrichtung der Beratungsstellen. „Damals kam die Frage auf, unter welchen Bedingungen Arbeitnehmer mit Werkverträgen eigentlich bei uns arbeiten und leben. Und es wurde klar, dass wir uns um faire Arbeitsbedingungen für diese Menschen kümmern müssen.“
In Oldenburg sind zwei Frauen Ansprechpartnerinnen der Ratsuchenden, die eine rumänische Muttersprachlerin, die andere bulgarische. „Anders geht es nicht, wenn Vertrauen geschaffen werden soll“, betont Bischoff. In den bislang 18 Monaten ihrer Tätigkeit hätten die beiden über 1000 Menschen beraten, die meisten davon nicht nur einmal. Insgesamt stehen bislang 2643 Beratungen zu Buche.
Ihre Klientel seien zumeist Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa, die meisten von ihnen im Alter zwischen 20 und 45 Jahren. Sie arbeiten vor allem in der Fleischindustrie, auf den Werften und auf Obst- und Gemüseplantagen „Die werden dort angeworben, mit dem Sprinter nach Norddeutschland gebracht und in günstig angemieteten Unterkünften untergebracht.“ Dies seien einzelne Wohnungen oder Häuser, aber auch alte Höfe, Scheunen oder Kasernen. Die Dimensionen, die dies annehmen kann, verdeutlicht Bischoff am Beispiel der Unterkunft auf dem ehemaligen Militärflugplatz in Ahlhorn. Dort seien weit über 1000 Menschen untergebracht.
Beratungsbedarf bestünde vor allem, wenn es um Kündigungen gehe, nennt Bischoff den häufigsten Grund, aus dem die Beratungsstelle aufgesucht werde. Weitere Punkte seien Kindergeldfragen, Streit um die Entlohnung insbesondere für Überstunden, Nachtschichten und Wochenendarbeit sowie Probleme im Zusammenhang mit der Krankenversicherung.
Das Thema selbst sei an sich nicht neu, erklärt Bernd Bischoff. „Neu ist nur das Ausmaß, das das alles angenommen hat. Und mit welcher Fantasie mit diesen Menschen umgegangen wird.“ In 82 der Beratungsfälle sei es um Zustände gegangen, die derart schlimm waren, dass Arbeitsgerichtsverfahren eingeleitet wurden.
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