
Gäbe es eine Steigerung des Adjektivs pleite, auf Bremen träfe sie zu. Es gibt kein anderes Bundesland, das derart unter seiner Finanzsituation leidet. Das liegt vor allem an den speziellen Problemen eines Stadtstaats. Aber in der Vergangenheit wurden auch Fehler gemacht, die die Finanzsituation verschärft haben.
Bremens Finanzen strapazieren die Vorstellungskraft seiner Bürger – derart groß sind die Summen: Schulden in Höhe von 20,4 Milliarden Euro haben sich aufgetürmt, pro Woche kommen laut Finanzressort 8,2 Millionen Euro hinzu. Noch – der Zuwachs muss bis 2020 sinken, auf Null. So funktioniert die Schuldenbremse, zu der sich Bremen verpflichtet hat. Es ist nicht nur die Höhe der Schulden, die Fantasie beanspruchen, sondern auch die offensichtlichen Widersprüche: Bremen sieht nicht aus wie das Zentrum der Habenichtse. Laut Arbeitnehmerkammer liegt das Land bei den Einkommen nach Hessen und Hamburg auf dem dritten Platz. Die Wirtschaft floriert. Nicht von ungefähr lautet das Mantra bremischer Politiker jeglicher Couleur seit Jahren: „Bremen wird künstlich arm gerechnet“. Die Wirtschaftskraft spiegele sich nicht in den Steuereinnahmen wider.
Ist Bremens Finanzproblem die Mutter aller anderen bremischen Probleme, vom Abschneiden bei PISA-Tests bis zur sozialen Spaltung? Finanz-Staatsrat Henning Lühr will davon nichts wissen. „Die Finanzlage gehört zu den Rahmenbedingungen, die besser sein könnten. Aber Not macht auch erfinderisch. Wir müssen lernen, das Geld, das wir haben, zielgerichtet auszugeben und beispielsweise noch enger zu kooperieren.“ So oder so: Ein Stadtstaat hat es schwer, der kleinste vielleicht am schwersten. Dennoch gibt es auch Versäumnisse auf bremischer Seite. Im Nachhinein lässt sich immer leicht reden, aber die „Große Finanzreform“ sei ein „schwerwiegender Fehler“ gewesen, sagt der Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel. Seit 1970 wird die Lohnsteuer am Wohnort erhoben – ein Nachteil für einen Stadtstaat mit vielen Pendlern, die in Bremen arbeiten und die Theater, Unis und Straßenbahnen nutzen, aber in Niedersachsen Steuern zahlen. Die Reform trug ihren Teil dazu bei, dass sich Bremen im Länderfinanzausgleich vom Geberland (bis 1969) zum chronischen Nehmerland entwickelte.
„Bremen hat nach dem Zusammenbruch der Werftindustrie auch erst relativ spät mit dem Wirtschaftsumbau begonnen“, sagt Hickel. Zudem wurde der öffentliche Dienst in den 70er-Jahren als Arbeitsmarktinstrument missbraucht, das kam das Land teuer zu stehen. Inzwischen allerdings, sagt Hickel, „ist dieser Stellen-Buckel deutlich abgebaut worden“. Schwieriger zu beeinflussen sind die Sozial- und Zinsausgaben. Die tatsächlichen Sozialausgaben überschreiten regelmäßig die kalkulierte Summe. Zinsen strangulieren das Land, momentan belaufen sie sich auf rund 660 Millionen Euro pro Jahr. Als Kardinalfehler gilt auch der „Kanzlerbrief“. Bremen ließ sich vor 15 Jahren vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Zustimmung zur Steuerreform im Bundesrat mit einer schwammigen Zusicherung von Finanzhilfen erkaufen, die Bremen vor Nachteilen durch die Reform bewahren sollte. Übrig blieben Einmalzahlungen für Verkehrsprojekte. Dass die gesamte Nation von Bremens Häfen profitiert – und sich das nicht angemessen in den finanziellen Zuweisungen widerspiegelt, auch das gilt als bremisches Dauerdilemma.
Fest steht: Ohne fremde Hilfe – über den Länderfinanzausgleich hinaus – wird sich Bremen nicht aus seiner Misere befreien können. Momentan fließen 300 Millionen Euro jährlich als Konsolidierungshilfe – sofern Sparauflagen eingehalten werden. Bereits 1992 erstritt sich das Land wegen seiner „extremen Haushaltsnotlage“ Sanierungshilfen von 9,7 Milliarden Mark. Das Geld floss bis 2004, die Maxime der damals regierenden großen Koalition lautete „Sparen und Investieren“. Heute wird Bremen als „das Griechenland von der Weser“ bezeichnet, damals war von der „Boomtown Bremen“ die Rede. Teure Investitionspakete wurden geschnürt, um CDU- und SPD-Wählern gerecht zu werden. Manche Investitionen haben sich rentiert, andere nicht. Von einer grundlegende Sanierung konnte nicht die Rede sein. Eben das ist ein Dorn im Auge mancher Geberländer. Die bayerische CSU hält Bremens Haushalt für ein Fass ohne Boden. Seit Jahrzehnten geht Bayern gegen den Länderfinanzausgleich vor – eine weitere Klage ist anhängig.
Spart Bremen wirklich konsequent genug? Gelegentlich kommen daran Zweifel auf, zum Beispiel wenn die Bremische Bürgerschaft erwägt, neue Sessel anzuschaffen. Bettina Sokol hat als Präsidentin des Landesrechnungshofs einen kritischen Blick auf Bremens Finanzgebaren. Sie sagt: „Bremen tut viel, muss aber noch mehr tun. Die bisherige Konsolidierung des Haushalts ist anzuerkennen, gleichwohl können und müssen die Anstrengungen noch verstärkt werden. Bei den Investitionen beispielsweise ist dem Erhalt der Infrastruktur deutlich der Vorrang gegenüber dem Beginn neuer Maßnahmen einzuräumen.“ Die rot-grüne Regierung verweist auf den Stabilitätsrat, der das Land kontrolliert und seine Bemühungen anerkennt. Konsequenter als momentan sei in Bremen noch nie gespart worden, sagt Staatsrat Lühr. „Wir nennen das Management bei Kontoauszug – Monat für Monat wird der Kontostand ganz genau abgebildet“ – samt der Folgen für die kommenden Jahre. „Es hat eine massive Entideologisierung stattgefunden“, so Hickel. Finanzsenatorin Karoline Linnert spare „mit eiserner Hand“. Wahlgeschenke seien schon lange nicht mehr drin.
Mit Verlaub, hätte man damit in einem Haushaltsnotlageland nicht viel früher anfangen müssen? „Der Druck ist durch die Schuldenbremse höher geworden, das hat natürlich Folgen“, sagt Lühr. Die Ressorts hätten nicht mehr die alleinige Verantwortung über ihre Budgets. „Die Investitionen sind gewissermaßen politisiert worden – alle Ressorts diskutieren und entscheiden gemeinsam über die wichtigsten Investitionen in dieser Stadt.“
Momentan profitiert Bremen von hohen Steuereinnahmen und niedrigen Zinsen. Dennoch spitzt sich die finanzielle Lage zu. In den vergangenen Jahren wurde verschiedene Lösungen diskutiert. Eine Fusion mit Niedersachsen? Bringt nichts und will niemand. Ein Altschuldenfonds? Für Bremen wünschenswert, aber laut Hickel „politisch tot“. Er befürchtet, dass man sich bei den anstehenden Finanzausgleich-Verhandlungen „irgendwie durchwurschtelt“ statt eine dauerhafte Lösung zu finden.
Womöglich endet Bremens Weg in Karlsruhe. Dort, wo dem Land vor 23 Jahren attestiert wurde, sich unverschuldet hoch verschuldet zu haben.
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