
Immer wieder erleben Nils Linge und seine Kollegen vom ADAC Weser-Ems Bremen die große Verunsicherung. Dieselbesitzer meldeten sich ein wenig hilflos beim Verkehrsklub – wegen drohender Fahrverbote, wegen möglicher Schadensersatzansprüche. „Die Mitglieder kommen seit Wochen zu uns und rufen an: Was sollen wir jetzt tun?“ Die sogenannte Musterfeststellungsklage soll nun Klarheit schaffen. Hat VW vorsätzlich die Verbraucher getäuscht? Darauf soll es eine juristische Antwort geben, um eine Grundlage für Schadensersatzansprüche gegenüber Volkswagen zu schaffen.
An diesem Donnerstag hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen zusammen mit dem ADAC beim Oberlandesgericht Braunschweig die erste Musterfeststellungsklage eingereicht – gegen die Volkswagen AG. Die Große Koalition hat die neue Verbraucherklage eingeführt. Das Instrument macht es ab sofort möglich, dass ein Verband stellvertretend für viele Menschen vor Gericht zieht nach dem „Einer-für-alle-Prinzip“.
In etwa zwei Wochen können sich Betroffene nun in das Klageregister beim Bundesamt für Justiz eintragen. Es geht dabei ausschließlich um Modelle von VW sowie der Töchter Seat, Audi und Škoda, in denen der Dieselmotor EA 189 verbaut ist und die nach dem 1. November 2008 gekauft wurden. „Im Moment ist es sicherlich noch so, dass keiner genau weiß, wohin die Reise mit diesem Verfahren geht“, sagt ADAC-Sprecher Linge.
Betroffene könnten aber mit der Registrierung „den Fuß in der Tür“ haben, wenn doch Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollen. „Es tut nicht weh, das zu tun.“ Derzeit hörten er und seine Kollegen oft, dass Verbraucher ihr Auto derzeit nicht zurückgeben wollen. Das kann sich aber ändern. Die Teilnahme ist dann ein Schutz. „Das wirklich alles Entscheidende ist, dass bei einer Musterfeststellungsklage verhindert wird, dass die Ansprüche verjähren“, sagt Linge.
So sieht es auch Nicole Mertgen, Referentin der Verbraucherzentrale Bremen. Voraussetzung sei die Beteiligung an der Klage. Wer sich anschließen will, kann das voraussichtlich bis einen Tag vor der mündlichen Verhandlung tun. „Ich gehe davon aus, dass es diese schon im nächsten Jahr gibt“, sagt Mertgen. Wer auf dem aktuellen Stand bleiben wolle, könne sich für den Newsletter auf www.musterfeststellungsklagen.de anmelden.
Mertgen ist vom Verfahren, das für Verbraucher kostenlos ist, überzeugt: „Wir halten dieses Instrument für einen wesentlichen Fortschritt. Das Musterfeststellungsverfahren entfaltet für jeden, der daran teilnimmt, eine Bindungswirkung. Das ist ein Mehrwert.“ Ein eigenes Gerichtsverfahren bringe dagegen immer ein gewisses Kostenrisiko – gerade ohne Rechtsschutzversicherung.
„Wird eine Individualklage erhoben und jemand macht 10 000 Euro Schaden geltend, dann ist das der Streitwert, nach dem die Anwalts- und Gerichtskosten bemessen werden.“ Geht der Prozess zugunsten von VW aus, trägt der Kläger die Kosten. Mit der Musterfeststellungsklage werde die Grundsatzfrage schon geklärt. Einen anderen Blick hat der Bremer Rechtsanwalt André Ehlers auf die Einer-für-alle-Klage.
Für den Juristen ist der Dieselstreit natürlich auch ein Geschäft. Derzeit vertritt er in mehr als hundert Fällen betroffene Verbraucher gegenüber VW, Mercedes oder auch Porsche. „Der Großteil richtet sich gegen Volkswagen wegen des unrühmlichen Dieselmotors EA 189.“ Ursprünglich waren auch Händler im Fokus. Seit die Gewährleistung ausgelaufen ist, geht es nur noch um Hersteller und ihre Banken. Denn über einen Widerruf der Finanzierung können Kunden ebenfalls versuchen, ihr Auto wieder loszuwerden und den Kauf rückgängig zu machen.
Vergangene Woche lud Ehlers in Horn-Lehe zu einer Veranstaltung ein – mehr als hundert Besucher kamen mit ihren Fragen: Lohnt es sich für mich wirtschaftlich, aktiv zu werden? Was kommt dabei rum? Die nun eingereichte Musterfeststellungsklage hält der Rechtsanwalt im Prinzip für richtig. „Ich finde es grundsätzlich gut, dass ein Verband diese Möglichkeit hat.“
Doch es sei ein handwerklicher Fehler, dass nicht gleichzeitig festgestellt werde, wie hoch der Schadensersatz für den einzelnen Kläger ausfällt. Das Verfahren zwinge den Verbraucher dazu, am Ende sehr wahrscheinlich selbst einen Anwalt einzuschalten. Derzeit reagiere Volkswagen sonst nicht auf Schadensersatzansprüche.
Kritisch sei der Zeitfaktor. Ehlers schätzt, dass die Grundsatzfrage erst in „fünf bis sieben Jahren“ geklärt ist. Es könne schneller gehen, aber auch länger dauern. „Das Musterfeststellungsverfahren im Telekom-Prozess läuft immer noch.“ Sicher ist für Ehlers, dass der Verlierer in die nächste Instanz, den Bundesgerichtshof, zieht. „Das erwarte ich. Und gerade Verfahren, die bis zum BGH geführt werden, nehmen regelmäßig viel Zeit in Anspruch.“
Schwierig sei es angesichts dieser Dauer, die Höhe des Schadensersatzes noch zu berechnen. Außerdem werde sich die Nutzung des Fahrzeugs bis dahin negativ auf die Ansprüche auswirken. Tausende Dieselfahrer sind bereits vor Gericht gezogen. Wie oft VW die Prozesse gewinnt, verliert oder einen Vergleich sucht, ist unklar. Vergleiche sind mit einer Verschwiegenheitsklausel verbunden, Anwälte dürfen darüber keine Auskunft geben.
Der ADAC verfolgt mit der neuen Klage ein weiteres Ziel. Es gehe auch darum, „Druck auf die Rolle zu bringen“, wie Sprecher Linge sagt. Der Verkehrsklub habe schon in der Vergangenheit auf problematische Testergebnisse hingewiesen. „Die Politik hat sich dafür nicht besonders interessiert. Wir haben immer wieder gesagt, die Werte stimmen nicht.“ Doch Hersteller und Politik hätten Autofahrern zum sparsamen, umweltfreundlicheren Diesel geraten. „Jetzt ist diese Geschichte gekippt, und plötzlich ist der Diesel im Fokus.“
Doch die Kehrtwende bringe keine Hilfe für den Verbraucher. „Die Politik eiert rum und die Industrie duckt sich weg.“ Das ist für Linge nicht nachvollziehbar. Dieselfahrer seien gleich mehrfach benachteiligt: Das Fahrzeug verbrauche mehr Sprit als behauptet, es habe rapide an Wert verloren, zugleich drohten Fahrverbote. Die Musterfeststellungsklage solle dem Verbraucher etwas in die Hand geben, „um sich zu wehren“. Gemeinsam lasse sich zudem besser etwas gegen den Konzern erreichen. „Das ist nicht nur symbolisch.“
Anwalt Ehlers plädiert dafür, selbst aktiv zu werden. „Gerade weil die Preise für gebrauchte Dieselfahrzeuge stark gesunken sind, lohnt sich regelmäßig ein Vorgehen gegen VW." Es werde der Kaufpreis abzüglich eines Werts für gefahrene Kilometer im Tausch gegen das Auto angesetzt. "Und das Ergebnis liegt meist weit oberhalb des aktuellen Marktwertes."
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die seute deern wurde schon lange vorher 'abgewrackt'.
was jetzt kommt, ist leichenfledderei.