
In Deutschland wird immer wieder über die Höhe der Rüstungsausgaben diskutiert. Wie sicher sind Sie, dass sich die Bündnistreue der Bundesregierung durchsetzt gegen die Haushaltsdisziplin?
Dirk Hoke: Diese Frage müssen Sie der Regierung in Berlin stellen. Aber ganz generell: Deutschland hat sich im Rahmen der Nato verpflichtet, einen angemessenen Beitrag zu leisten. Und diese Sichtweise setzt sich zunehmend durch – übrigens auch in der deutschen Bevölkerung. Noch stehen wir als stärkste Wirtschaftskraft Europas mit weit unterdurchschnittlichen Beiträgen in der Nato da. Die Rüstungsausgaben machen knapp 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Das muss und wird sich in den kommenden Jahren ändern.
Welcher Beitrag zur Nato ist notwendig?
Alle Nato-Staaten haben sich vor einigen Jahren verpflichtet, bis Mitte des nächsten Jahrzehnts zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufzuwenden.
Wünschen Sie sich, dass Deutschland diesem Beispiel folgt?
Wenn wir ein glaubwürdiger Partner in der Nato sein möchten, dann sollten wir uns an unsere Zusagen halten. Alles andere wäre gegenüber unseren Bündnispartnern schwer vermittelbar. Aber es geht vorrangig gar nicht um Prozentzahlen. Es geht vielmehr um Souveränität, Investitionen in technologische Zukunftsthemen wie unbemanntes Fliegen oder künstliche Intelligenz. Typischerweise kommen viele dieser Technologien aus Entwicklungen der Rüstung und Raumfahrt.
Ist die Ungewissheit über die Höhe der Rüstungsausgaben nicht ein ziemlicher Unsicherheitsfaktor für Ihr Geschäft?
Wir planen ja nicht Geschäft ein, das heute nicht absehbar ist. Unsere Geschäftsprognosen basieren nicht auf der Annahme, dass die Rüstungsausgaben vielleicht bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen könnten. Unser Geschäft basiert auf konkreten Projekten. Und Projektvergaben erfolgen selten kurzfristig. Selbst wenn es morgen eine Etaterhöhung gäbe, hätten wir nicht übermorgen mehr Aufträge. Vieles der zwei Prozent wäre zudem gar nicht relevant für uns. Ein Großteil flösse in den Aufbau der Truppe oder in Lohnerhöhungen. Wichtig für den Technologiestandort Deutschland ist auch der Forschungsanteil, der innerhalb des Etats bei 20 Prozent liegen soll, was aber bisher nicht erreicht wird.
Erwarten Sie in diesem Jahr noch eine Entscheidung über ein Nachfolgemodell des Kampfjets Eurofighter?
Deutschland und Frankreich haben ja bereits vereinbart, dass sie beim sogenannten Future Combat Air System – dem Kampfflugzeug der nächsten Generation – zusammenarbeiten möchten. Nach der Grundsatzerklärung im Juli 2017 haben die Verteidigungsminister beider Nationen dies im April auf der ILA in Berlin bekräftigt. Jetzt geht es darum, dass beide Nationen und die beteiligte Industrie sich auf die Prioritäten verständigen und bald in eine Studien- und Entwicklungsphase eintreten. Das ist wichtig, da wir keine Zeit zu verschenken haben. Wenn dieses System der sechsten Generation in der übernächsten Dekade Wirklichkeit werden soll, müssen wir jetzt Vollgas geben.
Wann könnte es erste Studien geben?
Wir erwarten, dass wir noch in diesem oder spätestens im kommenden Jahr mit den ersten Studien beginnen können. Entscheidend ist, dass die Nationen für die Industrie Klarheit schaffen, welche Eigenschaften dieses Flugzeugsystem haben soll. Daraus können wir dann auch eine erste Grundlage für eine grobe Kostenschätzung entwickeln.
Was sagen Sie als Hersteller dazu, dass bei der Bundeswehr vermehrt Flugzeuge und Hubschrauber am Boden stehen bleiben müssen, weil sie nicht flugtauglich sind?
Die Frage ist ja, warum diese Geräte nicht im Einsatz sind. Die Gemengelage ist sehr komplex, weil die Einsatzfähigkeit ein Zusammenspiel von rechtzeitigem Bestellen von Ersatzteilen, entsprechenden Wartungsverträgen und der Performance des Herstellers ist. Wenn dann der Beschaffungsprozess zu lange dauert, nicht genügend Ersatzteile vorgehalten werden können und Wartungsaufträge nicht alle relevanten Themen umfassen, dann kommt es zur Situation, dass Fluggeräte am Boden bleiben müssen.
Trägt also der Kunde die Verantwortung?
Wie gesagt, so einfach ist das nicht. Aber Optimierungspotenzial gibt es bestimmt. Was wir sehen, ist, dass in anderen Ländern unsere Produkte mit einer viel höheren Verfügbarkeit im Einsatz befindlich sind. Und wir müssen uns schon fragen, warum das so ist.
Was müsste sich ändern?
Es ist ja bereits eine Reform des Beschaffungswesens in Gang gesetzt worden. Das ist eine wesentliche Komponente. Denn wenn es im Beschaffungswesen an Personal mangelt, zieht sich das durch die gesamte Kette. Da soll es Abhilfe geben.
Läuft die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Verteidigungsministerium optimal?
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg für künftige Projekte. Es geht vor allem darum, ein ausgewogenes Vertragswerk zu entwickeln. Eines, das Kundenwünsche berücksichtigt, aber auch den Anbietern genügend Luft zum Überleben bietet. Da wurden in der Vergangenheit – etwa beim Militärtransporter A400M – Fehler gemacht.
Sind die Anforderungen an die Industrie zu hoch?
Beim A400M wurde erwartet, dass Unternehmen in Deutschland oder in Europa das gesamte Entwicklungsrisiko tragen und gleichzeitig bei geringen Stückzahlen Serienpreise abliefern, die vergleichbar sind mit amerikanischen Produkten, bei denen aber die zehnfache Menge bestellt wird. Das kann nicht funktionieren.
Welche Fehler wurden beim A400M gemacht? Und haben Sie die Baustellen im Griff?
Kurz gesagt: Wir haben 2003 einen Vertrag zu unmöglichen Konditionen unterschrieben. Das war ein Fehler. Damals wurde ein Wünsch-dir-was-Katalog zusammengestellt, dessen Umsetzung bisweilen an die Grenzen des technologisch Machbaren stößt. Dafür haben wir einen hohen Preis bezahlt. Die gute Nachricht ist: Wir machen seit Jahren große Schritte in die richtige Richtung. Was für taktische Missionen notwendig ist, haben wir heute zum größten Teil erfüllt. Und von den Spezifikationen mit allen 2200 Anforderungen, die vor Jahren einmal in den Vertrag aufgenommen wurden, ist ebenfalls ein Großteil bereits abgedeckt.
Wo gibt es denn noch Probleme?
Um ein praktisches Beispiel zu nennen: Uns fehlt die Qualifizierung fürs gleichzeitige Springen der Fallschirmjäger aus beiden Seitentüren. Dürften wir das noch zu den Modalitäten vornehmen, die bei Vertragsschluss galten, dann wären wir damit schon durch. Inzwischen haben sich die Zulassungsbedingungen geändert und sind wesentlich aufwendiger.
Wie groß ist der Imageschaden durch den A400M?
Mittelfristig werden wir sehen, wie wertvoll dieses Flugzeug für die europäischen Streitkräfte ist. Die Bundeswehr hat in diesem Jahr den ersten geschützten Truppentransport nach Afghanistan absolviert. Jedes Besatzungsmitglied, das den A400M geflogen ist, ist voll des Lobes für das Flugzeug. Frankreich und Großbritannien haben den Flieger schon länger erfolgreich im Einsatz. Kurzum: Die A400M ist ein Imagegewinn und ein Kompetenzzuwachs für unsere Streitkräfte – und damit auch für uns.
Es gab aber schwerwiegende Probleme – etwa bei den Triebwerken.
Ja, das war so. Der Getriebeschaden an einer Maschine 2016 war sicherlich eine Krisensituation. Verursacht wurde der Fehler bei einem Lieferanten eines unserer Zulieferer. Es hat Zeit gekostet, diesen Fehler zu finden und nachhaltig zu korrigieren. Aber wir haben es hinbekommen.
Glauben Sie, dass Airbus irgendwann mit dem A400M noch Geld verdienen kann?
Bisher war die A400M ein Verlustgeschäft für uns, keine Frage. Aber wir geben nicht auf. Wir arbeiten hart an Exportaufträgen und sind auch zuversichtlich, bald erste Erfolge aufzuweisen.
Welche Perspektiven hat der Standort Bremen? Hier wird ja nicht nur der Rumpf des A400M gefertigt und ausgestattet. Es sind ja auch einige Raumfahrtprojekte in Arbeit.
Insgesamt sehe ich die Perspektiven sehr positiv. Das hängt aber auch davon ab, wie sich Europa in den kommenden Jahren beim Thema Space aufstellt. Denn die jetzige Strategie der europäischen Raumfahrtbehörde Esa ist wesentlich weniger ambitioniert als die der Nasa. Die Frage ist also, ob man es akzeptiert, gegenüber den USA oder auch China zurückzufallen, oder ob man künftig auf Augenhöhe sein will, um nicht mittelfristig Talente und eine Hightech-Industrie zu verlieren. Und gerade um das Thema Space entwickelt sich ein sehr qualifiziertes Ökosystem mit leistungsfähigen Zulieferern. Ein solches Umfeld müssen wir erhalten. Verliert Europa da den Anschluss, hat das negative Auswirkungen auf alle Raumfahrtstandorte.
Haben Sie Wunschprojekte?
Es gibt Großprojekte wie etwa die Besiedelung des Monds, die von den USA oder China ernsthaft verfolgt werden. Die Esa muss definieren, ob sie selber solche oder andere Großvorhaben realisieren möchte. Sonst würde Europa im besten Fall die Rolle des Juniorpartners bleiben. Letzteres bedeutet Verlust von Talenten, und wir würden selber keine neuen Technologien entwickeln.
Könnte Europa das überhaupt finanzieren? In den USA sind es gerade die milliardenschweren Privatleute, die das Weltraumgeschäft für sich entdeckt haben.
Eines darf man nicht vergessen: Wenn etwa ein Elon Musk eine neue Rakete entwickelt, dann kommt die Grundfinanzierung dafür von der Nasa. Ähnliche Modelle kann ich mir auch für Europa vorstellen. Davon abgesehen ist Wettbewerb nie verkehrt, er treibt Innovationen voran. Da machen wir gerne mit.
Das Interview führten Moritz Döbler, Peter Hanuschke und Philipp Jaklin.
Dirk Hoke wurde 1969 in Kassel geboren. Er studierte Maschinenbau in Braunschweig, begann seine Karriere als Ingenieur bei Renault in Paris. Danach bekleidete Hoke verschiedene Positionen bei Siemens, unter anderem als Chef der Division Industrial Solutions. Seit 2016 leitet er Airbus Defence and Space.
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