
Das Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere in der Türkei besiegelte Latife Akyüz selbst, mit einer einfachen Unterschrift. Die Forscherin unterzeichnete im Januar 2016 eine Petition und forderte darin den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan dazu auf, mit den Kurden im Land Frieden zu schließen.
Unmittelbar darauf habe eine wahre Rufmord- und Lynchkampagne gegen sie begonnen, erzählt sie. „Es war beängstigend.“ Die Lokalzeitung ihrer Stadt Düzce, nahe Istanbul, berichtete über sie als „Terroristin“, die an der örtlichen Universität arbeite, TV-Sender schlossen sich an, in den sozialen Medien ergoss sich Hass über die heute 42-Jährige.
Akyüz wurde suspendiert, festgenommen, mit einem Reiseverbot belegt und schließlich wieder freigelassen – „alles innerhalb von drei Tagen nach meiner Unterschrift“, sagt Akyüz. Sie verließ erst die Stadt, dann das Land. Jetzt forscht die Sozialwissenschaftlerin in Frankfurt, wo sie eine Art wissenschaftliches Asyl bekommen hat.
Türkei ist nicht das einzige Beispiel
Die Türkei, wo nach dem gescheiterten Militärputsch im Sommer vergangenen Jahres massenhaft Akademiker entlassen wurden, ist aber längst nicht das einzige Beispiel dafür, dass das Klima für Forscher rauer wird. Dagegen wollen an diesem Sonnabend in aller Welt Wissenschaftler beim „March for Science“ auf die Straße gehen.
Die Liste ihrer Sorgen ist lang: In Ungarn muss die angesehene Central European University womöglich schließen, nachdem die Regierung das Hochschulgesetz geändert hat. US-Präsident Donald Trump hat als eine seiner ersten Amtshandlungen Fördergelder für aus seiner Sicht unliebsame Wissenschaftsbereiche gestrichen. Infoseiten zum Klimawandel verschwanden vom Webportal des Weißen Hauses.
In Deutschland positionieren sich Impfgegner, „alternative Fakten“ finden im Internet zahlreiche Abnehmer. Und ein gutes Drittel der Deutschen findet, die Menschen vertrauten zu stark der Wissenschaft und zu wenig ihren Gefühlen. Das ergab das „Wissenschaftsbarometer 2016“, eine repräsentative Umfrage der Initiative „Wissenschaft im Dialog“.
Wieso nur schlägt der Wissenschaft so viel Abneigung und Misstrauen entgegen? Schließlich ist sie es, die ein komfortables Leben mit Smartphones, moderner Medizin und anderen Wohltaten ermöglicht hat. „Die Wissenschaft stellt für den Mann, für die Frau auf der Straße oft etwas zutiefst Beunruhigendes dar, einfach weil Wissenschaftler alles infrage stellen“, erklärt der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz.
Hauptbedrohung des Staates
„Hieraus hat sich ein grundsätzliches Problem entwickelt, das so offen vorher nicht vorhanden war.“ Auf autoritär agierende Regierungen wirkten Wissenschaftler noch aus anderen Gründen unheimlich: „Freies Denken zu fordern und für eine offene Gesellschaft zu plädieren, das sind Kategorien, die von manchen Politikern als eine Hauptbedrohung des Staates angesehen werden.“
Die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung ermöglicht bedrohten Wissenschaftler aus aller Welt, in Deutschland ihrer Arbeit weiter nachzugehen. Auch die Sozialwissenschaftlerin Latife Akyüz ist mithilfe der Initiative nach Frankfurt gekommen.
Derzeit stammten 28 von 68 Geförderten aus der Türkei, teilte die Stiftung mit. Damit bildeten türkische Forschende die zweitgrößte Gruppe hinter Wissenschaftlern aus Syrien. Die Gründe, warum Akademiker mit Hilfe der Initiative ihr Land verlassen, sind vielfältig: In ihrer Heimat herrscht Krieg, ihre Forschungsfreiheit wird eingeschränkt oder sie werden verfolgt.
Der "March of Science" als Weckruf
So wie Latife Akyüz. „Es war nie einfach, in der Türkei Wissenschaftler zu sein“, betont sie. „Aber es war nie so schlimm wie jetzt.“ Sie würde gerne irgendwann zurück in ihre Heimat. Besonders viel Hoffnung hat sie jedoch nicht, dass das klappt.
Damit sich die Situation nicht noch weiter verschlimmert, müssten die Wissenschaftler selbst aktiv werden, fordert der Journalist und Physiker Ranga Yogeshwar. Zu lang hätten sie zu gesellschaftlichen Fragen geschwiegen. Der „March for Science“ könne ein Weckruf sein, hofft er.
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