
Herr Feiger, die Große Koalition wollte bis 2021 1,5 Millionen neue Wohnungen schaffen. Nun naht das Ende der Legislaturperiode: Wird das Ziel erreicht?
Robert Feiger: Ganz und gar nicht. Die Regierung ist mit großen Ankündigungen gestartet und liefert ein schwaches Ergebnis ab. Wir gehen davon aus, dass bis Ende des Jahres nur 1,2 Millionen Wohnungen dazugekommen sein werden.
Warum ist es so schwierig, neuen Wohnraum zu schaffen?
Die Bauwirtschaft hat seit Jahren ihre Kapazitäten erhöht. Ihr fehlt es aber an Planungssicherheit durch die Politik. Die denkt häufig in Legislaturperioden und Haushaltsjahren. Für die Bauwirtschaft sind das zu kurze Zeitspannen. Sie braucht Verlässlichkeit, was die Investitionsbereitschaft von Bund und Ländern angeht.
Defizite gibt es beim sozialen Wohnungsbau.
Der soziale Wohnungsbau ist das große Sorgenkind. Seit Jahrzehnten sinkt der Bestand: Der Wohnungsmarkt ist bundesweit in den vergangenen fünf Jahren um 43.000 Sozialwohnungen geschrumpft – und zwar Jahr für Jahr. Rein rechnerisch gab es damit alle zwölf Minuten eine Sozialwohnung weniger. Ende 2020 werden wir wohl die Marke von 1,1 Millionen Sozialwohnungen unterschreiten. Zur Erinnerung: Ende der 1980er-Jahre gab es noch vier Millionen.
Problematisch ist nicht nur, dass zu wenig neue Sozialwohnungen entstehen. Es fallen auch bestehende weg, wenn die Belegungsbindung nach 15 oder 20 Jahren erlischt.
Die aktuellen gesetzlichen Voraussetzungen machen eine längere Bindung nicht möglich. Bund und Länder haben aber die Möglichkeiten, diese Fristen zu verlängern. Als IG Bau vertreten wir die Forderung: einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung.
Welche Anreize kann die Politik für mehr sozialen Wohnungsbau schaffen?
Im Bewusstsein der Politiker muss verankert werden, dass der soziale Wohnungsbau ein notwendiger Ausgleich ist. Der Markt regelt es nämlich nicht, wenn ein Teil der Bevölkerung sich Mieten von zehn, zwölf oder 15 Euro kalt nicht leisten kann. Aber für Investoren ist es nun mal interessanter, in den Luxusbereich zu investieren – mit der Folge, dass Sozialwohnungen durch das Raster fallen. Der Staat muss daher dringend Geld in die Hand nehmen: Uns droht eine massive Sozialwohnungsnot. Insbesondere dann, wenn im Zuge der Corona-Pandemie durch andauernde Kurzarbeit und Entlassungen sowie durch das Auslaufen von befristeten Arbeitsverhältnissen und durch den Wegfall von Minijobs die Zahl einkommensschwacher Haushalte in 2021 zunehmen wird.
Wie groß ist der Bedarf?
Als gemeinsames Ziel sollten wir uns die Marke von zwei Millionen Wohnungen bis 2030 setzen. Dafür müssen wir jährlich 80.000 Sozialwohnungen neu bauen und 75.000 im Bestand sichern. Das kann etwa durch den Ankauf durch Kommunen oder Länder passieren. Das geht nicht ohne Geld. Bund und Länder müssen daher ihre Förderung für den sozialen Wohnungsbau auf mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr aufstocken. Plus mindestens drei Milliarden Euro jährlich für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen. Bremen hat 2019 500 Sozialwohnungen im Bau direkt gefördert. Das ist ein positives Signal, reicht aber bei Weitem noch nicht aus. Denn unterm Strich gab es Ende des Jahres im Bestand trotzdem 300 Sozialwohnungen weniger. In Niedersachsen lag das Minus bei 7500 Wohnungen.
Nicht nur beim sozialen Wohnungsbau muss nachgebessert werden. Wie gut ist der Immobilienbestand für die steigende Zahl von Senioren geeignet?
In den kommenden Jahren wird diese sogenannte graue Wohnungsnot zu Problemen führen, denn bald gehen die Babyboomer in Rente. Ab 2035 werden im Land Bremen knapp 102.000 Menschen zur Altersgruppe 65 plus gehören – 20.300 mehr als heute; in Niedersachsen wird es sogar mehr als 2,3 Millionen ältere Menschen geben. Das ist ein Plus von 563.000.
Und die haben andere Ansprüche an das Wohnen?
Viele brauchen altersgerechte Wohnungen, die barrierearm sind. Aktuell sind das gerade einmal zwei Prozent aller Wohnungen. Konkret heißt das: In Bremen wird es bis 2035 gut 26.100 Seniorenwohnungen zusätzlich geben müssen – 22.200 in der Stadt Bremen und mehr als 3900 in Bremerhaven. Und Niedersachsen wird 322.600 barrierearme Wohnungen zusätzlich für seine älteren Menschen benötigen.
Was schlagen Sie vor?
Die 2020er-Jahre müssen das Sanierungsjahrzehnt fürs Seniorenwohnen werden. Dabei hilft es schon, wenn die großen Wohnungsbaugesellschaften sich dazu verpflichten, ein Fünftel ihrer Wohnungen seniorengerecht umzubauen. Außerdem sollte die Förderbank KfW mehr unterstützen. Das für 2021 bereitstehende Fördervolumen von rund 130 Millionen Euro reicht bei Weitem nicht aus. Im Schnitt kostet die seniorengerechte Sanierung einer Wohnung etwa 21.000 Euro. Ein Heimplatz kommt auf Dauer wesentlich teurer.
Das Gespräch führte Stefan Lakeband.
Robert Feiger ist seit 2013 Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau). Der 58-Jährige wurde in Augsburg geboren und ist gelernter Industriekaufmann.
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