
Im Schritttempo fährt Anja Forchini weiter. „Hier muss es sein“, nuschelt sie und hält vor einem Rohbau in einem Wohngebiet. Sie steigt aus, schlendert mit den Händen in den Hosentaschen an zwei Bauarbeitern vorbei und bleibt am Hauseingang stehen. Eigentlich hätte sie hier die Marmorplatten von ihrem Lastwagen entladen sollen. Doch weil es auf der Baustelle keine Hebebühne gibt, muss sie die Ladung wieder mitnehmen. Sie setzt sich hinter das Steuer des 40-Tonners, nur um 50 Meter später wieder stehen zu bleiben. Ein Autokran kommt ihr auf der schmalen Straße entgegen. „Das wird eng“, sagt sie. Behutsam steuert sie ihren fast 17 Meter langen und zweieinhalb Meter breiten Lkw um das Hindernis herum, immer unter der skeptischen Beobachtung einiger umstehender Bauarbeiter. Doch das Manöver glückt. Mit einem Lkw in das Garlstedter Wohngebiet zu fahren, sagt sie, das hätte sich wohl nicht jeder Kollege getraut.
Fonchini arbeitet in einer Männerdomäne: Gerade einmal 1,8 Prozent aller Berufskraftfahrer sind weiblich. Bei Fonchinis Arbeitgeber Bassen Logistic sind von 42 Fahrern zwei Frauen. Inhaber Peter Bassen würde gerne mehr einstellen, doch es sei schwierig, überhaupt Fahrerinnen zu finden. Das habe mehrere Ursachen. „Familienplanung spielt eine Rolle“, sagt er. Wenn die Kinderbetreuung schon bei einem Bürojob Probleme bereitet, wird es noch schwieriger, wenn ein Elternteil unregelmäßige Arbeitszeiten hat und oft unterwegs ist. Forchini hat keine Kinder, aber sie kennt Fahrerinnen, die sich aus diesem Grund einen anderen Beruf gesucht haben. Auch die körperlichen Herausforderungen werden unterschätzt, sagt sie. Einladen, ausladen, lange hinter dem Steuer sitzen. „Viele fangen an, hören aber schnell wieder auf.“
Die 36-Jährige arbeitet seit 2011 für das Speditionsunternehmen. Aufgewachsen in der Oberlausitz, machte sie nach der Schule eine Ausbildung zur kaufmännischen Assistentin. „Das war aber nichts für mich“, erzählt sie. Sie wollte raus aus dem Büro und ging 2001 als eine der ersten Frauen zur Bundeswehr. Mit der Marine befuhr sie die Weltmeere. Bevor sie ausschied, machte sie bei der Bundeswehr noch ihren Lkw-Führerschein. Dabei hatte sie ihre theoretische Pkw-Prüfung erst im zweiten Anlauf bestanden. „Wegen einer Anhänger-Frage“, sagt die heutige Bremerin. Inzwischen kann sie darüber lachen.
"Mit Puppen habe ich nie gespielt"
Dass es sie auf den Bock zog, merkte sie schon als Kind. „Mit Puppen habe ich nie gespielt“, sagt sie. Stattdessen habe sie Trabbis und Wartburgs bewundert. Wie es ist, beruflich unterwegs zu sein, kennt sie aus ihrer Familie. Mehrere ihrer Verwandten verdienen ihr Geld als Berufskraftfahrer. „Ich wollte immer auf die Straße“, sagt sie. Ihrem Mann geht es ähnlich, sie haben sich bei der Arbeit kennengelernt. Auch er ist Berufskraftfahrer bei Bassen Logistic.
Nachdem sie die Marmorplatten in ein Zwischenlager gebracht hat, fährt sie weiter zu einer Molkerei nach Leer. Ostfriesland steuert sie häufig an. Durch Hamburg könne sie teilweise blind fahren, sagt sie. Manche Touren führen sie weiter weg, nach Belgien oder in die Schweiz. Rauszukommen sei einer der Vorteile ihres Jobs, aber auch ein Nachteil, wie sie sagt: „Man hat keinen geregelten Tagesablauf.“
Ihren Renault-Lkw fährt sie seit mittlerweile drei Jahren; die Einrichtung trägt ihre Handschrift: Hinter den Sitzen hängt eine Werder-Bremen-Fahne, von der Decke baumeln Plüschtiere und das Seitenfenster auf der Fahrerseite ziert ein Aufkleber mit der Aufschrift „Keep Fighting Michael“, ein Genesungswunsch an den ehemaligen Formel-1-Fahrer Michael Schumacher. An der Frontscheibe kleben Saugnäpfe, auf die Eidechsen montiert sind. Sie sollen Risse verdecken, die vom Zusammenprall mit Vögeln stammen. Auf einem Kennzeichen, das an der Scheibe lehnt, stehen ihr Vorname und der ihres Mannes.
Bei einem ihrer Kollegen hängt in der Fahrerkabine ein anderes Schild. „Echte Männer fahren Lkw“, steht darauf. Eine Haltung, die ihr immer wieder begegnet. Gerade zu Beginn ihres Jobs haben viele männliche Kollegen ihr nur wenig zugetraut. Sie war noch schüchtern und setzte sich nicht zur Wehr, wenn jemand sich mit einem „Lass mich das mal machen!“ hinter ihr Steuer setzte und ihren Lastwagen rangierte. „Ich musste mich beweisen, dann funktionierte es“, sagt sie.
"So lange die Knochen das aushalten"
Den Respekt habe sie sich erarbeitet, indem sie auch verbal Kontra gab. Sprüche wie „Frauen gehören nicht hinters Steuer, sondern höchstens hinter einen Bürostuhl“ bekäme sie immer noch von Kunden und Autofahrern zu hören. TV-Sendungen wie „Trucker Babes“, in der Kraftfahrerinnen Einblicke in ihren Berufsalltag geben, unterstützen solche Vorurteile, sagt sie. Dort werden teilweise Fahrerinnen gezeigt, die mit Stöckelschuhen und Hot-Pants hinterm Steuer sitzen – was nur selten der Wahrheit entspreche.
Wer Forchini kennt, kennt ihre Fähigkeiten: Ein Kunde gibt Bestellungen nur mit ihr als Fahrerin aus; ihr Chef lässt sie alle möglichen Arbeiten übernehmen, egal ob der Lastwagen Überlänge oder Überbreite hat oder ohne Plane fährt; ihre Kollegen rufen sie an, wenn ihr Navi nicht mehr weiter weiß. Eine Rolle liegt ihr aber gar nicht: „Ich bin alles andere als eine gute Beifahrerin“, sagt sie.
Gegen späten Nachmittag kehrt sie aus Leer zurück. Bevor sie Feierabend hat, wird der Auflieger gewechselt. Ihren fast 500 PS starken Lkw nimmt sie mit nach Hause, da es am nächsten Morgen um fünf Uhr gen Oldenburg geht, wo sie Betonteile umherfahren wird. Beim Umladen wird sie mit anpacken müssen. „So lange die Knochen das aushalten“, sagt sie, „werde ich den Job machen“.
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