
Herr Biestmann, 2020 gab es über Deutschland 56 Prozent weniger Flugbewegungen. Aber das heißt ja nun nicht, dass ihre Kollegen im letzten Jahr 56 Prozent mehr Zeit hatten, oder?
Andre Biestmann: So ist es, der Tower und die Luftraumsektoren sind ja auch dann geöffnet, wenn nur wenig geflogen wird. Die Infrastruktur muss ja vorhanden bleiben. 2020 startete im Januar und Februar ganz gut. Wir bekamen aber schnell die Mitteilungen aus China und Japan und haben schnell mit entsprechenden Hygienekonzepten reagiert, damit sich kein Mitarbeiter infiziert. Unter anderem werden auch die Mikrofone und die Telefone der Fluglotsen extra desinfiziert. Das haben wir auch geschafft. Denn wenn ein Tower oder eine Kontrollzentrale schließen muss, dann können wir den Dienst nicht anbieten. Frachtflüge müssten dann zum Beispiel zu anderen Flughäfen ausweichen.
Welche besonderen Herausforderungen bringt der Beruf mit sich?
Wir wissen ja oft erst mit 20 Minuten Vorlauf, was in den Luftraumsektor einfliegt. Dann müssen wir schauen, was ad hoc die beste Lösung ist, damit zwei oder drei Flugzeuge mit den vorgeschriebenen Abständen sicher aneinander vorbeikommen. Dafür hat der Lotse seinen Handwerkskasten: Entweder über Kurskorrekturen oder Staffelung der Höhen. Da geht es dann darum, die Aufmerksamkeit unter höheren Lastszenarien zu behalten, aber genauso die gleiche Anspannung und Konzentration zu haben, wenn die Last zurückgeht – und alles dabei dann sicher und flüssig. Es geht dabei ja auch darum, keinen Luftraum zu verschenken.
Da erkennt man erst, was Luftraum für ein teures Gut sein muss.
Luftraum ist endlich, und alle wollen zur gleichen Zeit oft dieselben Strecken fliegen. Jeder will am schnellsten von Punkt A nach Punkt B, und da ist es Aufgabe der Flugsicherung, den richtigen Mix zu finden. Wir haben ja die Großluftfahrt, die Privatluftfahrt, die Militärluftfahrt und gerade jetzt verstärkt die Geschäftsluftfahrt – auch in Bremen haben wir viele Businessjets. Neu hinzu kommt jetzt die unbemannte Luftfahrt mit den Drohnen.
Für Sie heißt es ab jetzt wieder Grünkohl statt Äppelwoi – und keinen Jumbo-Jet mehr, der landen will. Wie viel Umstellung bedeutet das für Sie?
Ich war ja in Langen im Management tätig und war vorher für die Luftraumplanung und die Vorschriften für die Lotsen zuständig. Nun gehe ich in eine operative Einheit zurück. Hier hat man nun rund um die Uhr gemeinsam mit dem Führungsteam und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die tägliche Verantwortung. Allerdings bin ich auch weiterhin der Pandemiebeauftragte der DFS. Da steuere ich nun von Bremen aus weiterhin das Kernteam der DFS und ihre Tochtergesellschaften mit über 5000 Beschäftigten.
Was hat sich hier verändert in all den Jahren, in denen Sie in der großen weiten Welt unterwegs waren?
Wir haben hier längst andere Flugsicherungssysteme, die unseren Fluglotsen den Flugverkehr anzeigen und mit den Flugplandaten verknüpfen. Auch im Lotsenberuf ist die Digitalisierung vorangeschritten. Auch bei den Fluggeräten hat sich einiges verändert, vor allem im militärischen Bereich. Als ich wegging, waren das noch überwiegend Tornados und Phantom. Jetzt ist es fast ausschließlich der Eurofighter. Der hat sein großes Übungsgebiet in Laage bei Rostock. Nicht zuletzt hat die Anzahl der Flugzeuge in der Luft wesentlich zugenommen. Und seit 2007 hat sich der Zuständigkeitsbereich der Bremer DFS-Niederlassung auch bis zur polnischen Grenze erweitert, sodass wir seither auch für die An- und Abflüge des Hauptstadtflughafens BER verantwortlich sind.
Wie ist Bremen ansonsten aufgestellt, und welche Besonderheiten gibt es?
Was die tägliche Arbeit angeht, fällt auch die Kontrolle der Test- und Abnahmeflüge des Airbus-Werkes in Hamburg-Finkenwerder in unseren Bereich. Diese werden von einem Lotsen exklusiv betreut, damit die Airbus-Besatzung nur einen Ansprechpartner hat. Die Lotsen der Kontrollzentrale werden ab 2024/2025 hier im Gebäude einen neuen Kontrollraum mit neuem Flugsicherungssystem beziehen.
Wie steht es um die Technik der Flugsicherung am Standort Bremen?
Mit dem neuen Kontrollraum wird es ein mit diversen Funktionen erweitertes Flugsicherungssystem geben. Die Flugtrajektorie und die Kreuzungspunkte mit anderen Flugzeugen werden zum Beispiel in die Zukunft vorausberechnet. Da wird also die nächste System-Generation zum Einsatz kommen. Die DFS-Niederlassung München erhält zuerst dieses System, und danach ist Bremen dran.
Der Bereich der künstlichen Intelligenz wächst – wie lässt sich die Technik auch in der Flugsicherung nutzen?
Wir nutzen bereits für die Anflüge am Frachtflughafen Leipzig künstliche Intelligenz: Hier unterstützt uns die Software zur Optimierung der Anflugreihenfolge in der Nacht. Es ist ja ein großer Frachtflughafen, und da schlägt uns das System eine bessere Anflugreihenfolge vor. Damit haben wir im vorletzten Jahr begonnen.
In Frankfurt waren Sie Vorsitzender der Expertengruppe Aktiver Schallschutz. Inwiefern hat Bremen da Nachholbedarf?
In Frankfurt waren ja mit der neuen Start- und Landebahn mehr Flüge zu erwarten. Vor der neuen Landebahn Nordwest gab es am Flughafen 84 Flüge pro Stunde. Inzwischen ist man da bei 104 Bewegungen pro Stunde. Die Optimierung der Verfahren in Frankfurt haben wir später auch in Bremen genutzt. Hier gab es einen Probebetrieb für gekurvte Anflüge. So werden die Kurven im Anflug heutzutage anders geflogen. Auf der anderen Seite ist die Anzahl der Flugbewegungen in Bremen auch nicht mit Frankfurt vergleichbar, und nicht alle Verfahrensoptimierungen aus Frankfurt wirken hier in gleicher Weise. Um die Bremer Bevölkerung vor Fluglärm zu schützen, treffen wir uns regelmäßig mit der Fluglärmkommission wie auch in Frankfurt. Eine solche Kommission gibt es an vielen Flughäfen und ist gesetzlich vorgeschrieben.
Ein immer größeres Problem für die Flugsicherung werden Drohnen in der Nähe von Flughäfen. Wie kann die Flugsicherung dieses Problem in Zukunft angehen?
Die DFS ist vom Bundesverkehrsministerium mit einem Konzept zur Drohnendetektion an internationalen Flughäfen beauftragt worden: Im vergangenen Jahr haben wir mit den Tests in Frankfurt und München begonnen, wie man Drohnen, die nicht kooperativ sind, also kein Transpondersignal zurückschicken, identifizieren kann. Da schauen wir mit verschiedenen Herstellern, inwiefern man die früh erkennen kann, damit der Lotse entsprechend reagieren kann. Außerdem haben wir Gefährdungsstufen eingeführt – auch nach dem Vorfall in London-Gatwick, als damals die eine Drohne den Flughafen zwei Tage lang lahmgelegt hatte.
Welche unbekannten Flugobjekte sind Ihnen in Ihrem Berufsleben bisher begegnet?
Bisher keine.
Und bei immer wiederkehrenden Flugverbindungen – kennt man da irgendwann auch die Stimmen der Piloten?
Ja, unsere Bremer Towerlotsen können das ganz bestimmt. Insbesondere bei den Airlines oder Geschäftsfliegern, die hier ihre Homebase haben. Da erkennt man dann an den Stimmen, wer dort fliegt. Das ist auch der Vorteil bei der Homebase: Da stößt man schneller auf gegenseitiges Verständnis.
Hat man da irgendwann den Flugplan im Kopf?
Auch das hat man grob im Kopf, sodass man weiß, wie es am Montagmorgen losgeht und wann zum Beispiel am Freitag die Hochphase ist. Das lernt man so mit der Zeit. In Frankfurt fliegt zum Beispiel jeden Morgen zwischen zehn und elf Uhr die Nordatlantikflotte und abends die Asienflotte.
Wie tauglich sind Fluglotsen als Innenausstatter – das räumliche Vorstellungsvermögen sollten sie ja eigentlich haben?
Räumliches Vorstellungsvermögen ist natürlich eine Grundvoraussetzung für Fluglotsen, die auch im Einstellungstest abgefragt wird. Es geht ja darum, welche Flugzeuge ich wo in welcher Höhe aneinander vorbeibringe. Von daher kann sich ein Lotse auch bestimmt sehr gut vorstellen, wo in einer Wohnung was stehen könnte.
Werden Fluglotsen auch weiterhin dringend gesucht?
Wir versuchen, unsere Kurse an der Akademie in Langen bei Frankfurt zu füllen, um die Abgänge von Lotsen in den nächsten Jahren auszugleichen. Denn der Fluglotse geht mit 55 Jahren in Ruhestand. Und nun haben wir starke Jahrgänge, die in den Ruhestand wechseln. In Bremen bekommen wir dieses Jahr daher viele Trainees. Aber Ausbildung ist schon eine Herausforderung in Zeiten des geringen Flugverkehrs. Momentan trainieren sie viel im Simulator. Dafür haben wir auch in Bremen einen eigenen Radarsimulator.
Warum lohnt es sich, diesen Beruf zu ergreifen?
Es ist zum einen die Begeisterung für die Luftfahrt, dazu das Ziel, die unterschiedlichen Kunden in der Luftfahrt, mit dem bestmöglichen Service sicher durch den Luftraum zu bringen. Dazu kommt die Flexibilität, die man zeigen muss, und die Anspannung, die man auf den Punkt bringen muss – und wenn ich Feierabend habe, nehme ich auch keine Arbeit mit nach Hause.
Das Gespräch führte F. Schwiegershausen.
Andre Biestmann (54) verdiente sich schon zu Schulzeiten Geld in der Flugzeugwerkstatt in seinem Geburtsort Damme. 1990 begann er bei der DFS Deutschen Flugsicherung in Bremen, wechselte 2007 in die Zentrale bei Frankfurt am Main und nun als neuer Leiter der Flugsicherung wieder nach Bremen.
Die Kontrollzentrale der DFS in Bremen ist mit ihren 500 Beschäftigten zuständig für den Luftraum im Norden: Der geht von Wittmund und Schleswig bis in den Süden für die Anflüge nach Kassel und Paderborn, und von der niederländischen Grenze bis zu den An- und Abflügen des Großstadtflughafens BER. Die Flüge des Werksflughafens von Airbus in Finkenwerder gehörent auch ebenso dazu wie die Übungsflüge des mit seiner An- und Abflug. Mit dazu gehört auch das Eurofighter-Trainingszentrums in Rostock-Laage wie der übrigen Militärflugplätze. Vor Corona gab es in diesem Luftraum täglich 1800 Flugbewegungen. Momentan sind es 70 Prozent weniger.
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