
Herr Fornahl, eine wirtschaftspolitische Idee des neuen rot-grün-roten Senates ist es, zwei weitere Branchen im Land Bremen zu sogenannten Innovationsclustern zu erklären, die besonders gefördert werden sollen: die Gesundheitswirtschaft und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Ist das nur ein neues Modewort – oder bringt das etwas?
Dirk Fornahl: Das Problem besteht darin, dass man sehr vorschnell den Begriff Cluster nennt. Die Grundidee dabei ist, dass es viele an einem Ort angesiedelte Firmen einer oder verwandter Branchen gibt. Das reicht aber noch nicht. Die Unternehmen müssen von dieser räumlichen Nähe auch profitieren – indem sie Humankapital teilen, spezialisierte Zulieferer oder Infrastruktur gemeinsam nutzen. Aber nicht jede Branche ist für ein Cluster geeignet. Es muss zum Beispiel Wachstumsdynamik geben und meistens auch einen Exportmarkt sowie Vorteile durch Kooperationen. Der Gesundheitssektor ist wichtig, wenn man die Zahl der Beschäftigten zum Maßstab nimmt – wie der Öffentliche Dienst oder das Gastgewerbe. Aber das allein reicht noch nicht für ein Cluster in Bremen. Denn der Markt ist primär regional orientiert. Und selbst Regionen mit starker Medizintechnik oder mit Hochschulklinken sehen sich selbst nicht als Cluster.
Und die Nahrungsmittelbranche?Diese Branche hat das Potenzial, wieder ein starkes Cluster zu werden. Momentan ist das aber noch nicht so. Im Vergleich zu anderen Regionen ist in Bremen die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und die Kooperation mit der Wissenschaft eher schwach ausgeprägt. Das vorhandene Potenzial wurde lange nicht genutzt. In jüngster Zeit hat sich das geändert, hier ist zuletzt ziemlich viel passiert. Die Nahrungsmittelbranche ist – wie der Automobilbau – eine gut etablierte Industrie, die sich jedoch erneuern muss. Cluster können dazu dienen, dass sich Firmen gegenseitig zu Innovationen anregen und so etwas Neues entsteht. Ein gelungenes Clustermanagement zielt darauf ab – und nicht darauf, alte Industriestrukturen zu erhalten.
Aber wer soll das in die Hand nehmen? Wirklich der Bremer Senat – oder nicht doch eher die Unternehmen selber?Am Ende sind es natürlich die Unternehmen, die Produkte auf den Markt bringen und Umsatz generieren müssen. Aber viele Firmen denken zu wenig darüber nach, ob ihr heutiges Geschäft auch in zehn oder zwanzig Jahren so noch funktioniert, ob sie nicht vielleicht andere Wege beschreiten müssen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen haben dafür gar nicht die Kapazitäten, weil ihnen zum Beispiel eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung fehlt. Da können staatliche Anreize wichtige Impulse setzen. Aktive Wirtschaftsförderung und gutes Clustermanagement bringen Akteure für neue Projekte und Themen zusammen, die sich noch nicht kennen. Firmen können so lernen, dass Zusammenarbeit etwas bringt. Es gibt allerdings auch Regionen, in denen das ganz ohne Clustermanagement wunderbar funktioniert, weil einzelne starke Unternehmen das Heft in die Hand nehmen.
Warum sollte der Staat einen besseren Weitblick auf die Märkte der Zukunft haben als Unternehmer?Wenn man sich die großen Innovationen der vergangenen Jahrzehnte anschaut, hat der Staat oft eine wesentliche Rolle gespielt. Zum Beispiel beim iPhone. Da gab es Finanzierung von der CIA oder vom Energieministerium, Universitäten haben die Technik entwickelt und Patente angemeldet. Und Apple hat schließlich alles in einem Produkt zusammengeführt. Firmen denken meist nicht in Zeiträumen von 20 Jahren, an die großen gesellschaftlichen Probleme, die wir lösen müssen. Hier kommt der Staat ins Spiel – er benennt das Ziel, gibt aber nicht vor, wie man es erreicht. Früher war die Mission einmal der Flug zum Mond. Heute ist es zum Beispiel der Kampf gegen den Klimawandel. Der Staat kann die Vorgabe machen, innerhalb von zehn Jahren die CO2-freie Stadt zu erreichen, und gleichzeitig Firmen alle unternehmerischen Freiheiten lassen bei der Wahl der Geschäftsmodelle oder Technologien.
Für wie innovativ halten Sie Bremens Wirtschaft?Es gibt in vielen Bereichen innovative Unternehmen. Also Firmen, die innovative Produkte herstellen, Dienstleistungen anbieten oder innovative Prozesse anwenden. Aber manche innovativen Firmen könnten besser vernetzt sein. Unternehmen wie Thermo Fisher oder Bruker Daltonik sind beide Hidden Champions, Weltmarktführer und in Bremen angesiedelt, arbeiten aber offensichtlich weitgehend isoliert vom bremischen Innovationssystem. Ein innovatives Unternehmen wie Team Neusta könnte eine viel stärkere Rolle spielen im Zusammenspiel mit der Automobil- oder der Nahrungsmittelbranche.
Manches innovative Unternehmen will sich vielleicht lieber nicht von Konkurrenten in die Karten schauen lassen.Sicher, aber es gibt ja viele Ansatzpunkte im vorwettbewerblichen Bereich, in denen man sich gefahrlos austauschen kann, zum Beispiel wenn es um Lagerhaltung geht. Und man muss sich überlegen, wer am Ende der Konkurrent ist: eine Firma aus Bremen oder doch eher eine aus Boston, Singapur oder München? Es macht vielleicht mehr Sinn, auf Augenhöhe mit einem Partner aus Bremen zu kooperieren, als gegen einen Partner aus München zu verlieren. Aber manche Unternehmen wollen lieber getrennt untergehen als gemeinsam überleben. Landwirtschaftliche Betriebe arbeiten seit Hunderten von Jahren erfolgreich in Genossenschaften zusammen. Solche Vorbilder müsste man viel stärker auf die Industrie übertragen – da geht noch viel mehr, unabhängig von Clustermanagern.
Das Gespräch führte Philipp Jaklin.Dirk Fornahl (46)
studierte in Hannover, Dublin und Berkeley. Er ist Professor für Regionalökonomik an der Universität Bremen und leitet das von ihm gegründete Centre for Regional and Innovation Economics.
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