
Gesichtslose Köpfe. Ohne Augen, ohne Nasen, ohne Münder. Aufgespießt auf langen Eisenstangen, ausgestellt hinter Glas. Man würde diese profillosen Antlitze wohl kaum eines Blickes würdigen, so unscheinbar wirken sie; das Weiß der Häupter verschwimmt mit dem Hell des Hintergrundes. Trotzdem bleiben die Menschen, die durch das Kontorhaus schlendern, stehen – und staunen, denn: Die Kunststoffköpfe hinter dem langen Schaufenster tragen aufwendig handgefertigten Kopfschmuck, wie man ihn von den Laufstegen dieser Welt kennt. Haute Couture inmitten der Bremer Innenstadt.
Die Frau, die dafür verantwortlich ist, heißt Maja Pohlan. Sie sitzt zwischen all den Köpfen mit Hüten und Spangen an einem aufgebockten Arbeitsplatz in ihrem Geschäft. Vor ihr liegen Sterne aus Haarfilz, die sie mit rosegoldenem Leder ummantelt und anschließend auf eine Kopfform gezogen hat. Gerade beklebt sie die Oberfläche mit Swarovski-Kristallen, die bei jeder Bewegung im Schein der Spotlights funkeln. Stein für Stein, rundherum, 51 Stück insgesamt. Eine Arbeit für Schwarzkopf, für die Pohlan mit der Hamburger Modedesignerin Sibilla Pavenstedt kooperiert: Der Erlös der Sterne kommt der Tribute-to-Bambi-Stiftung zugute, die mit dem Geld gemeinnützige Organisationen unterstützt. Der sternförmige Kopfschmuck war auch bei der gleichnamigen Charity-Gala Mitte Oktober zu sehen.
"Alle machen etwas Schönes - und ich sitze vor Gericht"
Andere Kopfbedeckungen, die im Laden ausgestellt sind: Hüte mit Leopardenmuster. Spangen, an denen handgemachte Blüten aus Leder ranken, in Rot, Weiß und Pastelltönen. Braut-Accessoires mit feinen Formen aus Seide und leichten Schleiern. Manche Hüte sind durchaus alltagsfähig, in klassischen Formen und gedeckten Farben. Andere fallen auf und eignen sich eher für opulente Abendveranstaltungen, Galas und festliche Empfänge.
Wer die Werke sieht, würde schnell eine Exzentrikerin hinter den Schöpfungen vermuten, eine mit auffälliger Kleidung. Maja Pohlan jedoch trägt ein schlichtes schwarzes Kleid. Genau so könnte sie gerade auch in einem Büro sitzen, einer Kanzlei vielleicht. Tatsächlich ist das gar nicht so abwegig: Die 45-Jährige ist Volljuristin, hat zwei Staatsexamen absolviert, anschließend als Anwältin gearbeitet. Bis ihr auffiel: „Alle machen etwas Schönes – und ich sitze vor Gericht“, sagt Pohlan. „Ich wollte lieber etwas Kreatives machen, statt Akten zu wälzen. Etwas, das man in den Händen halten kann.“ Dass es stattdessen etwas wurde, das man auf dem Kopf trägt, konnte sie zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Zu der Hutmacherei gelangte Pohlan eher zufällig. Nachdem sie ihren Job als Juristin aufgab, probierte sie sich in verschiedenen Bereichen. Machte Praktika bei Film und Theater, kam so ans Theater Bremen. Und ließ sich dort zur Modistin ausbilden. „Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Mode“, sagt Pohlan. Sie entwarf Kostüme, Accessoires – am häufigsten aber hatte sie mit Kopfbedeckungen zu tun. Pohlan übernahm schließlich die Hutmacher-Werkstatt am Goethe-Theater und leitete sie sechs Jahre lang. „Eine spannende Zeit“, betont die 45-Jährige. „Ich sah mich immer wieder mit Aufgaben konfrontiert, die ich noch nie gemacht habe. Oft hatte ich wegen des Zeitdrucks nur einen Versuch, der musste sitzen.“ Einmal, für das Stück „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, fertigte sie einen drei Meter großen, mit Straußenfedern verzierten Hut. Ein Satz, den sie im Theater hört, prägt sie für die Zukunft: „Jemand sagte zu mir: Man sieht die Details am Kostüm vielleicht nicht. Aber der Zuschauer fühlt es. Diese Liebe zum Detail macht bis dato meine Arbeit aus.“
Der Wunsch nach einem eigenen Label wurde immer größer
Um sich Inspiration für ihre Arbeit zu holen, blätterte sie durch die namhaften Fashion-Magazine, beobachtet die Trends der Haute Couture und versuchte, sie mit günstigen Materialien nachzubauen. Doch der Wunsch, hochwertige modische Kreationen unter einem eigenen Label zu vertreiben, wurde immer größer. Also begann sie in ihren freien Stunden, ein Corporate Design zu entwickeln, erste Aufträge anzunehmen. Und entschied sich vor zwei Jahren endgültig für die Selbstständigkeit. Zunächst eröffnete sie mit anderen Designern ein Couture-Geschäft im Kontorhaus, das aber kurze Zeit später wieder schloss. Seit Sommer 2016 hat sie im selben Gebäude, nur ein Schaufenster weiter, ihren eigenen Laden.
An der Wand in der Mitte des hellen, minimalistisch eingerichteten Showrooms, prangt eine riesige Schleife, genau wie an den unzähligen Hutschachteln, die überall im Raum verteilt aufgetürmt sind. Die Kopfbedeckungen sind ausgestellt wie Kunstobjekte in einer Galerie. Der puristische Look ist eine bewusste Entscheidung. „Ich möchte das Altmodische aus dem Kopfschmuck rauskriegen. Viele assoziieren immer noch längst Vergangenes mit Hüten, dabei sind sie stilvolle Accessoires, modische Hingucker.“ Das hat anscheinend auch Designer Guido Maria Kretschmer überzeugt: Bei einer seiner Shows im Rahmen der Fashion Week Berlin im vergangenen Jahr trug eines der Models einen weißen, blütenbesetzten Haarreif von Maja Pohlan. Das Bild vom Runway hängt im Schaufenster.
Die meisten der Teile sind Einzelstücke, manche Modelle gibt es als kleine Serie in unterschiedlichen Farben. Die Ideen dazu schweben irgendwo in ihrem Kopf, sagt Pohlan. Eine Summe aus vielen kleinen Eindrücken, die die Gründerin irgendwo visuell aufschnappt und die sie „Essenz“ nennt. Dafür liest sie Fashion-Magazine, setzt sich aber auch gerne mal in eine schicke Cocktail-Bar und beobachtet die Menschen in ihrer Abendkleidung. Aus dieser Essenz bilde sie erste, noch unscharfe Produkte im Kopf. In den seltensten Fällen zeichne sie etwas vor. „Tatsächlich entwerfe ich viel übers Machen“, erklärt Pohlan. Oft habe das erste Bild, was sie von einem Hut im Kopf hatte, nicht mehr viel mit dem zu tun, was am Ende auf dem Kopf sitzt. „Das ist ein Prozess, in dem sich immer wieder Neues ergibt.“ Acht bis zehn Stunden benötigt sie, um einen klassischen Hut herzustellen, bis zu 20 Arbeitsstunden für die aufwendigen Blumengebinde aus Leder und Seide. Ein Aufwand, der sich bei Preisen im niedrigen dreistelligen Bereich kaum widerspiegelt.
Großteil der Kunden ist weiblich
Der Großteil ihrer Kunden ist weiblich, eher etwas älter und gesellschaftlich etabliert, wie Pohlan sagt. Aber auch viele junge Damen kommen zu ihr ins Geschäft – meist, um etwas passend zu ihrem Hochzeitskleid anfertigen zu lassen. Nur ab und zu macht sie auch mal Schiebermützen für Männer. „Die industrielle Hutherstellung ist eine zu starke Konkurrenz“, gibt Pohlan zu. „Um da mithalten zu können, bräuchte ich andere Maschinen.“ Die einzigen Maschinen, die bei ihr im Laden stehen, sind ein Hutdämpfer, um den Filz heiß zu machen, ein Hutweiter aus den 1960er-Jahren, mit dem sie die Größe des Kopfschmucks verändern kann, und eine Nähmaschine.
In den eckigen schwarz-weißen Hutschachteln daneben gehen Maja Pohlans Arbeiten um die ganze Welt. Zum einen, weil viele Reisende auf ihrem Weg in die gegenüberliegende Touristikzentrale den temporären Showroom entdecken und sich Kopfschmuck als Erinnerung an Bremen mitnehmen. Zum anderen, weil Hüte in anderen Ländern deutlich akzeptierter seien, weiß Pohlan. In England und Australien zum Beispiel. „In Deutschland hingegen sind Hüte im Straßenbild eine Seltenheit und werden fälschlicherweise oft mit Elite und Dekadenz assoziiert.“
Manchmal sehe sich Pohlan auch ihre Hüte an und denke sich: „Was mache ich hier eigentlich Verrücktes? Aber wenn ich dann mal wieder in Berlin oder in einer anderen Modestadt gewesen bin, komme ich mir gar nicht mehr so ungewöhnlich vor. In Bremen ist die Modeszene halt sehr klein, sodass man hier schneller auffällt.“ Trotzdem wolle sie vorerst in ihrer Heimatstadt bleiben und ihr Label weiter aufbauen. Leben kann sie allerdings noch nicht allein von der Hutmacherei. Aktuell arbeitet Pohlan noch als Kunstvermittlerin in der Kunsthalle Bremen und im Gerhardt-Marcks-Haus, den Laden öffnet sie an drei Tagen in der Woche. Ihr Traum sei es, wieder ein Geschäft zu haben, in dem Designer verschiedener Gewerke gemeinsam arbeiten, sagt Pohlan. Wie einst im Theater. Nur dass die Kunden selbst entscheiden, welche Bühne sie für sich und ihren Hut suchen.
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