Mit seinen 163 Metern ist es das wohl längste Kunstwerk Bremens. Gemeint ist die surreale Pop-Art Collage, die nun offiziell den Tunnel am Osterdeich hinter der Kunsthalle schmückt. Es ist ein Ort, an dem Spider-Man im Wohnzimmer Gymnastik macht, Ferkel über Palmen fliegen und ein Wels an Rumpelstilzchen vorbeischwimmt.
Gute acht Monate hat Künstler Johann Büsen an der Bilderwelt im Tunnel gearbeitet. In einem großen Archiv sammelt der 32-jährige Bremer, der die Ausschreibung zur Neugestaltung des Tunnels gewann, alles, was er interessant findet. Fotos sind darin, genauso wie eigene Zeichnungen, Standbilder aus Filmen, Bilder aus der Biologie, Comics oder Zitate. Digital bearbeitet, auf Linien und Flächen reduziert, hat eine Auswahl dessen an den Wänden unter dem Osterdeich einen Platz gefunden.
Alles zusammen erzählt eine Geschichte
„Es war eine Herausforderung“, stellt Büsen in Anbetracht des fertigen Kunstwerks fest. „Die letzten zwei Wochen waren richtige Knochenarbeit. Jeden Tag war ich im Tunnel, immer die Leiter rauf und runter, habe von oben bis unten alles lackiert.“ Dass die Wände nicht direkt bemalt, sondern mit der Collage auf Spezialpapier beklebt sind, sieht man ihnen nicht an. Der Lack schützt nicht nur vor Nässe, sondern lässt sich auch gut reinigen. Allein einzelne Motive beeindrucken das Auge, alles zusammen erzählt eine Geschichte.
Blicke zieht das bunte Kunstwerk schon vor der feierlichen Eröffnung auf sich. Passanten schlendern vorbei, Radler werden langsamer. Einige halten an, zücken ihr Smartphone für ein Foto. Einer von ihnen ist Hans-Hermann Cordes, der auf dem Weg in die Stadt ist. „Das sind ja tolle Bilder! Der Tunnel ist dadurch richtig angenehm geworden“, lobt er.
Neben ihm stehen Conny Himme und Angelika Elsner, die als Gäste zur Eröffnung gekommen sind. „Die Vielfalt der Elemente ist fantastisch“, findet Himme. „Da gibt es keinen Bruch, alles geht ineinander über.“ Welches Motiv sie am liebsten mag? „Oh, da kann ich gar nicht so schnell gucken“, lacht sie. Doch Elsner hat etwas gefunden. Ein gehörntes Kind, das eine Tafel mit Portraits betrachtete. Neben ihm eine Mutterfigur, Gesichter oder Masken, die auf dem Boden verstreut liegen und eine Gestalt, hockend, in Grün-Braun, die Gesichtszüge unkenntlich. „Das spricht mich an“, entscheidet Elsner, der die Szene Gänsehaut beschert. Fragen über Fragen tauchen auf. „Kennt das Kind die Leute auf den Bildern? Dieses Wesen, das da hockt – ist das der Vater?“
Für jeden Betrachter etwas dabei
Büsen hat seine Arbeit bewusst offen gehalten, damit jeder Betrachter für sich etwas darin finden kann. Da gibt es eindeutige Tiere, die der Künstler mag: Riesenmarienkäfer, Kaninchen, Dinos, Windhunde. Aber auch jede Menge Surreales, das zum Denken anregt. Ein Haus steht dort, der Vorgarten – brennt er? Ist es vielleicht Wasser, das in die Höhe schießt, oder Nebelschwaden? Büsen liebt es, mysteriöse Situationen darzustellen. „Für den Tunnel hätte ich mir nichts Besseres vorstellen können“, meint Himme. Elsner und Hans-Hermann Cordes freuen sich schon darauf, ab jetzt nicht nur eine Passage zu nutzen, sondern auch etwas Besonderes dabei zu sehen.
Auch die Politik freut sich. „Es gibt nichts Schrecklicheres, als dunkle Ecken, die mies gestaltet sind“, sagt die Staatsrätin für Kultur, Carmen Emigholz, bei ihrer Eröffnungsrede. Der Tunnel sei besonders schön in den Abendstunden, wegen der neuen Beleuchtung – was nicht zuletzt der guten Zusammenarbeit mit dem Amt für Straßen und Verkehr zu verdanken sei. Auch Beirat und Ortsamt sind mehr als angetan. „Das ist eine sehr bremische Lösung“, meint Ortsamtsleiterin Hellena Harttung. „Hier ist ein Loch im Deich und schon haben wir einen sehr schönen Kunsttunnel.“
Formensprache der Sprayer
Alle hoffen auf aufmerksame Betrachter und dass Schmierer fern bleiben. „Das ist urbane Kunst, ja. Aber sie hat auch etwas Narratives an sich. Das bringt eine andere Wertschätzung für das, was hier geleistet ist“, ist sich Rose Pfister, Referentin für Kunst im öffentlichen Raum, sicher. Zudem ähnele die Darstellung der Formensprache der Sprayer – und würde somit akzeptiert. Und ein ganz kleines Tag fällt zwischen all den Elementen vielleicht auch gar nicht auf.