100 Stunden Arbeit, kaum eine Nacht mehr als vier Stunden Schlaf - die Woche als Jugenddelegierte bei der Weltklimakonferenz war für Anna Braam eine harte Zeit.
Anna Braam hat letzte Nacht nur drei Stunden geschlafen. Sie hat noch den Termin mit Umweltministerin Barbara Hendricks vorbereitet. Hat den Ablauf koordiniert, Fragen entworfen, eine Presseerklärung geschrieben. Sie und die anderen vom Jugendbündnis Zukunftsenergie haben zwar nur eine Viertelstunde Zeit mit der Ministerin, aber gerade deshalb muss jede einzelne Minute gut vorbereitet, das Treffen genau durchgetaktet sein. Und dann das: Der Termin mit der Umweltministerin wurde abgesagt. Mit Glück ist er nur verschoben, auf Dienstag oder Mittwoch.
Anna Braam klingt müde, als sie das am Montag am Telefon erzählt. Etwa 100 Stunden, schätzt sie, hat sie vergangene Woche gearbeitet. Und keine Nacht hatte sie mehr als vier Stunden Schlaf. Seit etwas mehr als einer Woche ist die 27-Jährige aus Bremen in Paris, sie ist Jugenddelegierte auf der UN-Weltklimakonferenz. Gemeinsam mit den anderen Jugenddelegierten bringt sie die Perspektive von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die Weltklimakonferenz ein und informiert Jugendliche in Deutschland darüber, was in Paris passiert. Das Ziel der Jugenddelegierten ist ein ambitioniertes, rechtlich verbindliches Klimaabkommen, mit der Vorgabe einer maximalen Erderwärmung von 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter.
Seit vier Jahren lebt Anna Braam in Bremen, an der Universität hat sie Entscheidungsmanagement studiert, im Sommer ihren Master gemacht. Vorher hatte sie in Duisburg-Essen und in Finnland Politikwissenschaften studiert. Noch ist sie auf der Suche nach einem Job. Einem bezahlten, denn Arbeit hat sie genug, als Ehrenamtliche. Sie ist im Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, engagiert sich seit einiger Zeit für eine Politikstrategie zum nachhaltigen Konsum, ist Mitglied im Jugendbündnis Zukunftsenergie. Was sie für die Umwelt tut? Fahrrad fahren, sagt sie. Sie hat kein Auto und auch kein Monatsticket für die Straßenbahn. Sie isst wenig Fleisch und versucht, noch weniger davon zu essen. Und sie benutzt keine Plastiktüten, sondern einen Jutebeutel.
Lobbyarbeit für zukünftige Generationen
Es ist ihre erste große Klimakonferenz, Anna Braam hat ihre Akkreditierung als Vorstandsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen bekommen. Ihr Job vor Ort ist es, Lobbyarbeit zu machen und zu informieren: Sie will, dass der Aspekt Generationengerechtigkeit – auf Englisch intergenerational equality – in das Klimaschutzabkommen aufgenommen wird. Was das mit Klima zu tun hat? „Auch nach uns werden Menschen leben. Wir finden, wir sollten den Planeten in einem ordentlichen Zustand übergeben.“ Wenn man sich in Paris nicht auf ein starkes, rechtlich verbindliches Abkommen einige, dann bekämen die zukünftig Geborenen erhebliche Probleme mit Armut, klimabedingter Migration, dem gestiegenen Meeresspiegel, Dürre und Ernteausfällen. Beim Thema Klimawandel brauche es einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, sagt Anna Braam.
Die Arbeit ist mühsam, es geht um Details, um einzelne Worte und sogar um Satzzeichen. In diesem Fall um eckige Klammern. Der Entwurf für das internationale Klimaschutzabkommen ändert sich ständig, am Freitag gab es einen Entwurf, am Sonnabend den nächsten. Seit Montag sind die Minister in Paris und verhandeln weiter über den Text. Im Laufe dieses Prozesses fallen Ziele und Forderungen aus dem Entwurf: Zu Beginn der Weltklimakonferenz stand der Begriff der Generationengerechtigkeit zum Beispiel sowohl in der Präambel als Leitmotiv als auch in Artikel 2 des Abkommens. In den vergangenen Tagen wurde der Begriff aus Artikel 2 herausgestrichen, nun steht er nur noch in der Präambel. Allerdings steht dort „intergenerational equality concerns“. Und dieses Wort concerns, also Anliegen oder Bedenken auf Deutsch, stört Anna Braam. „Der Begriff ist so schwammig, den wollen wir raushaben.“

Braam bei der Veranstaltung „Gerechtigkeit und zukünftige Generationen“.
glich in dem Abkommen erwähnt hätte – die 27-Jährige würde sich freuen, wenn er zumindest in der Präambel stehen bliebe. Doch noch ist es zu früh, um sich zu freuen. Es kann immer noch passieren, dass der Begriff gestrichen oder in Klammern gesetzt wird, wie viele andere Aspekte. Wer sich die Entwürfe für Artikel 2 und 2b ansieht, der sieht fast nur eckige Klammern. Deshalb haben die Jugenddelegierten gemeinsam mit den Vertretern der indigenen Völker für Dienstag eine Protestaktion geplant. Don’t put our future in brackets, heißt das Motto – klammert unsere Zukunft nicht aus. Sie wollen auf Themen aufmerksam machen, die bisher nur in eckigen Klammern in den Abkommensentwurf aufgenommen wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die im endgültigen Text stehen werden, ist gering.
Anna Braam und die anderen haben für die Protestaktion große eckige Klammern gebastelt, dazwischen sollen Vertreter von indigenen Völkern sitzen. Und sie sind noch auf der Suche nach einem Baby, als Symbol für die zukünftigen Generationen. Oder zumindest nach Babykostümen. Die Nicht-Delegierten haben mit solchen Aktionen die Gelegenheit, die Delegierten auf ihre Interessen aufmerksam zu machen. Denn viele Verhandlungsrunden stehen nur Delegierten offen. Aber die Wege zwischen den Veranstaltungssälen sind weit – und eine Gelegenheit für Interessensvertreter, die Verhandler anzusprechen.
Am Dienstag war Anna Braam aber bei einer Verhandlungsrunde zur Präambel und zum Artikel 2 dabei. Eher zufällig: „Ich habe es versucht, bin aber davon ausgegangen, dass die Verhandlungsrunde nur für Delegierte offen ist. “Dann durfte sie doch rein, vier Stunden dauerten die Verhandlungen, sie wollte nicht vorher gehen, um ja nichts zu verpassen, wo sie jetzt schon mal dabei war. „Ich hab den ganzen Tag viel zu wenig gegessen, und dann hat mein Magen angefangen zu knurren“, erzählt sie. So laut, dass der Delegierte aus Angola, der neben ihr saß, schließlich eine Tafel Schokolade aus der Tasche zog. Die haben die beiden sich dann mit dem Delegierten vom Inselstaat Palau im Pazifischen Ozean geteilt, der auf der anderen Seite neben Anna Braam saß. Fazit: „Völkerverständigung mit Schokolade funktioniert.“
Zwei Wochen lang ist die junge Frau in Paris, gemeinsam mit fünf anderen jungen Leuten hat sie für diese Zeit ein kleines Appartement in Paris gemietet. Nach einer Woche kennen die meisten inzwischen die Anliegen der Jugenddelegierten. „Die erste Woche war die Aufwärmphase, jetzt geht‘s ans Eingemachte.“ Am Freitag hat sie die deutsche Delegation getroffen, die haben ihr gesagt, es werde am Ende auf jeden Fall ein Abkommen geben. Die Frage sei nur noch, wie ambitioniert dieses Abkommen ausfallen werde. Eventuell könnten einige Länder, darunter auch Deutschland, eine Vorreiterrolle übernehmen.
Anna Braam hat das Gefühl, es geht etwas voran in Paris. „Wir können hier Geschichte schreiben. Das ist die Chance, die Welt für die kommenden 100 Jahre zu formen.“ Sie findet: Da machen ein paar Stunden Schlaf zu wenig nichts aus.
Wer alles dabei ist
Es ist zurzeit ein wenig unübersichtlich in Le Bourget bei Paris: Rund 30 000 Menschen nehmen an der UN-Weltklimakonferenz in Paris teil. 15 000 Verhandler von 196 Verhandlungspartnern, 5500 sogenannte Observer, 2500 Journalisten, außerdem UN-Mitarbeiter und Techniker. Die deutsche Verhandlungsdelegation umfasst etwa 100 Personen. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius ist Präsident der UN-Konferenz. Am Montag setzte Fabius 14 Moderatoren ein, die Kompromisse in den verschiedenen Verhandlungsfeldern ausloten sollen. Bis Freitag soll ein fertiges Abkommen stehen.
Anna Braam ist ein Observer, also jemand, der den Gipfel in Paris beobachtet. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO), Wissenschaftler oder Lobbyisten haben diesen Beobachterstatus. Anna Braam erzählt von den Gruppen Youngo, Bingo und Ringo: Youngo ist eine Verbindung der Wörter „Young“ und „NGO“ und steht für die UN-Jugendvertretung, in der Anna Braam Mitglied ist. Bingo steht für Business-friendly international NGO, also geschäftsfreundliche NGO, oder Big International NGO, große internationale NGO, und Ringo für religious international NGO – religiöse internationale Nichtregierungsorganisation. Anna Braam ist Mitglied des Jugendbündnis’ Zukunftsenergie, einem Netzwerk von Jugendorganisationen, das sich für eine Versorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien einsetzt. Die Stiftung für die Rechte künftiger Generationen, in deren Vorstand die 27-Jährige ist, sieht sich als Denkfabrik an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. (kaa/dpa)