Es klingt so weit entfernt, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Friedensprozess mit den Kurden für beendet erklärt. Und ist für die Bremerin Berna Müküs Kaya doch so nahe. Dann nämlich, wenn sich plötzlich ehemalige Patienten bei der Psychotherapeutin melden, die sie vor Jahren behandelt hat. Und ihr davon berichten, dass sie wieder unruhig werden, dass längst überwunden geglaubte Angstzustände, Schlafstörungen und sogar Depressionen zurück sind. „Alle Hoffnungen sind mit einem Schlag weg, die Menschen haben wieder Angst vor dem Krieg.“
Berna Müküs Kaya ist selbst Kurdin. Sie lebt seit vielen Jahren in Bremen, hat als Psychotherapeutin viel mit traumatisierten Menschen aus ihrer ehemaligen Heimat gearbeitet. Zu ihren Patienten haben ehemalige türkische Soldaten genauso gehört wie Guerillas der kurdischen Arbeiterpartei PKK sowie zivile Opfer des Krieges, hier vor allem Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden waren, erzählt sie.
Seit 2013 der Friedensprozess begonnen habe, hätte sich die Situation spürbar beruhigt. „Nicht nur bei mir in der Behandlung, sondern auch ganz allgemein. Die Verhandlungen zwischen der Türkei und der PKK haben Hoffnung erweckt. Menschen haben davon geträumt, nach über 20 Jahren ihre Heimat wiedersehen zu können.“
Doch diese Hoffnungen seien angesichts des massiven Vorgehens der türkischen Regierung gegen die Kurden nach einem Selbstmordanschlag des Islamischen Staates (IS) mit 34 Toten in der Stadt Suruc im Juli jäh zunichte gemacht worden.
Auch sie selbst habe die erneute Eskalation sehr beschäftigt, erzählt die 44-jährige Bremerin. Ein Schlüsselerlebnis sei dabei für sie der Tod von Kevser Eltürk in diesem Monat gewesen. Die Kurdin sei von türkischen Sicherheitskräften getötet worden, die anschließend zur Abschreckung Bilder ihres nackten Leichnams in den sozialen Medien zur Schau gestellt hätten. Als sie diese Bilder gesehen habe, sei ihr klar geworden: „Ich muss etwas machen, nicht nur reden. Ich muss aktiver werden.“
Berna Müküs Kaya ist deshalb dem Frauenfreiheitsrat (KÖM) beigetreten, der am 10. Mai von 180 Frauen in Istanbul gegründet wurde. „KÖM ist eine Gruppe unabhängiger Frauen, parteiübergreifend und unabhängig von ethnischer Herkunft oder Religion“, erklärt die 44-Jährige. Ziel der Gruppe sei es, an den Friedensverhandlungen zwischen der Türkei und der PKK als unabhängige Seite teilzunehmen und dabei insbesondere die Forderungen der Frauen zu vertreten.
Dafür habe KÖM mehrere Kommissionen gegründet, so unter anderem eine Verfassungskommission, die sich für eine Gleichberechtigung der Geschlechter bei der beabsichtigten Verfassungsänderung in der Türkei einsetzen wird. Auch eine Wahrheitskommission gebe es, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Berichte über die Zustände in den Krisengebieten zu veröffentlichen. Oder auch darauf hinzuweisen, wie die türkische Regierung Kommunikation zum Beispiel via Facebook oder Twitter behindert.
Dabei hoffen die türkischen und kurdischen Frauen auf internationale Unterstützung durch andere Frauenorganisationen, Nicht-Regierungsorganisationen sowie Politikerinnen und Politiker, die sich wie KÖM dafür einsetzen, dass der Krieg in der Türkei sofort beendet wird.
„Man darf das nicht unterschätzen, dieser Krieg hat großen Einfluss auch auf Menschen, die fern ihrer Heimat leben“, ist sich Barna Müküs Kaya sicher. „Man spürt das sofort, auch hier in Bremen.“ Beim Krieg in den 1980/90er-Jahren habe sie dies alles schon einmal erlebt. Das Aggressionspotenzial zwischen den verfeindeten Türken und Kurden steigere sich, und „die Spaltung der Gesellschaft kommt sehr schnell auch in Deutschland an“.
Ein weiterer Aspekt der kriegerischen Auseinandersetzungen sei die Flüchtlingsproblematik. „Auch davon sind wir hier direkt betroffen“, sagt Barna Müküs Kaya und hofft auf Unterstützung aus Bremen für den Frauenfreiheitsrat. „Der Rat ist für alle offen, auch für deutsche Frauen. Jede kann sich beteiligen“, betont sie. „Wir dürfen nicht nur zuschauen, sondern müssen überlegen, was wir hier tun können, damit die Friedensverhandlungen schnell wieder aufgenommen werden.“
Kontakt zu KÖM kann via E-Mail über die Adresse kom.basin@gmail.com aufgenommen werden.