Beim geplanten Bummel durch die Altstadt von Jerusalem waren die Bremer Polizeischüler plötzlich sehr nah dran am Arbeitsalltag ihrer israelischen Kollegen. „Besser nicht“, rieten ihnen ihre Gastgeber in der Gedenkstätte Yad Vashem vor diesem Besuch ab. Es hatte einen Anschlag gegeben. Ein Palästinenser, der auf einen israelischen Polizisten geschossen habe und dann selbst erschossen worden sei. Später am Abend hat der Altstadtbummel dann doch noch stattgefunden. „Die hatten ihr Polizeiaufgebot deutlich erhöht, überall standen Spezialkräfte“, erzählt Lena Hottendorf. Wobei schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten in voller Montur aber ohnehin zum Alltagsbild in Israel gehörten – einer der vielen Eindrücke, die die Delegation aus Bremen von ihrer Studienfahrt nach Israel zurückbrachte.
18 von 130 Polizeischülern konnten nach Israel reisen
Im November 2018 wurde eine Zusammenarbeit zwischen der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und dem Bremer Senat vereinbart. Ursprünglich stand dabei die Förderung des Dialogs zwischen deutschen und israelischen Lehrkräften im Fokus. Jetzt wurde die Kooperation auch auf die Polizeiausbildung an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung ausgeweitet.
Konkret bedeutet dies, dass im Lehrplan für die angehenden Polizisten seit Kurzem das Wahlpflichtmodul „Yad Vashem“ auftaucht. Dabei geht es unter anderem um Rolle und Selbstverständnis der Polizei im historischen Kontext, um Antisemitismus und Extremismus oder auch um interkulturelle Kompetenz. „Wir haben aber auch die jüdische Gemeinde in Bremen besucht, das Konzentrationslager in Bergen-Belsen und das Jüdische Museum in Berlin und uns mit den Stolpersteinen in Bremen beschäftigt“, zählt Hochschuldozentin Gabie Piontkowsky weitere Inhalte des Unterrichtsmoduls auf.
Und dann ist da natürlich die einwöchige Studienfahrt nach Israel, für die sich die Polizeianwärter/innen bewerben konnten. 31 von rund 130 des Jahrgangs taten dies, 18 durften letztlich mitfahren. Zwei von ihnen sind Leonie Kobabe und Lena Hottendorf. Natürlich sei der Holocaust in der Schule ein Thema gewesen, erzählen die beiden jungen Frauen. Aber eben alles doch sehr trocken, weit zurückliegend in der Vergangenheit. „So richtig verstanden hat man Vieles dann doch nicht.“ Von daher ihr Interesse daran, Israel, den jüdischen Glauben, Geschichte, Politik und Kultur des Landes nicht nur aus Lehrbüchern kennenzulernen, sondern durch persönlichen Kontakt und Austausch.
Berührendes Gespräch
Gelegenheit dazu gab es reichlich während der Woche in Israel. Besichtigungen, Seminare, Vorträge, Workshops – das Programm der Bremer Delegation war eng gesteckt. Beeindruckend sei vor allem das Gespräch mit einer Zeitzeugin gewesen, die den Holocaust als kleines Kind überlebt hat, erzählt Lena Hottendorf. „Sie hat eigentlich keine Kindheit gehabt, trotzdem war für sie Hoffnung immer sehr präsent. Das zu hören, war sehr berührend.“
Die Gedenkstätte Yad Vashem hat es sich zur Aufgabe gemacht, jedem der Millionen Opfer einen Namen zu geben. Von deren individuellen Geschichten zu erfahren, nicht nur während der Verfolgung in der NS-Zeit, sondern auch davor und danach, sei ebenfalls sehr eindrucksvoll gewesen, berichtet Leonie Kobabe. Insbesondere, weil das Museum dabei auf den Perspektivwechsel setze, die Geschichte der Opfer auch aus der Perspektive der Täter betrachtet werde.
Nachhaltigen Eindruck hat bei den Bremer Polizeischülern der Besuch der Polizei-Akademie in der Stadt Beit Shemash gemacht, vor allem die Ausstattung des Campus und die dortigen vergleichsweise traumhaften Trainingsbedingungen. „Ich habe anschließend jede Menge Verbesserungsvorschläge für unsere eigene Ausbildung bekommen“, sagt Polizeipräsident Lutz Müller, der die 18 Schüler und ihre vier Dozenten nach Israel begleitet hat.
Da mit der Studienreise ein neues Kapitel der Zusammenarbeit zwischen Bremen und Yad Vashem aufgeschlagen wurde, unterzeichnete Müller in Vertretung von Innensenator Ulrich Mäurer in Israel den Kooperationsvertrag mit der Gedenkstätte. Müller bedankte sich ausdrücklich bei den Gastgebern dafür, „dass Sie uns an diesem Ort empfangen“ und erinnerte an die dunkle Geschichte der Bremer Polizei im Nationalsozialismus, insbesondere an die Verbrechen der Polizeibataillone 105 und 303. „Eine dunkle Zeit, in der Polizeibeamte zu Tätern wurden und sich jüdische Männer, Frauen und Kinder fürchten mussten, wenn Polizeibeamte vor ihrer Wohnungstür standen.“
Extrem sensibilisiert
Die Polizei in einem demokratischen Staat müsse eine absolut klare Haltung gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung einnehmen, schlug Müller den Bogen in die Gegenwart. Er erwarte von seinen Mitarbeitern, dass sie tolerant, emphatisch und weltoffen seien. „Vor allem aber brauchen wir Polizeibeamte, die in der Lage sind, sich und ihr Handeln kritisch zu hinterfragen.“
Lena Hottendorf und Leonie Kobabe greifen dies auf. Sich generell mit Antisemitismus und Rassismus auseinandergesetzt zu haben, sei schon wichtig gewesen. Die Reise nach Yad Vashem habe sie in dieser Hinsicht noch einmal extrem sensibilisiert. Selbstreflexion sei wichtig in der Arbeit von Polizisten: „Wo habe ich vielleicht einen blinden Fleck?“
Austausch und Projekte
Der Kooperationsvertrag zwischen der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und dem Senator für Inneres wurde am 2. Februar in Israel unterzeichnet. Ziel der Absichtserklärung ist es, die Zusammenarbeit der Landespolizei Bremen und Yad Vashem zu stärken. Dafür sollen relevante Lehr- und Studienmaterialien ausgetauscht werden, die das Verständnis der Geschichte, Kultur und Gesellschaft beider Seiten fördern. Angedacht sind Hospitationsaustausche und gemeinsame Fortbildungsprojekte. Die Studierenden und das Lehrpersonal der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen erhalten dafür Zugang zu den Online-Ressourcen von Yad Vashem über jüdisches Leben vor, während und nach dem Holocaust. Außerdem ist vorgesehen, dass die einwöchige Studienfahrt Bremer Polizeischüler regelmäßig einmal im Jahr stattfindet.