Bremen. 'Was tun, wenn der Zähler zweimal klingelt?', hieß es 1983 auf Flugblättern gegen die geplante Volkszählung in Deutschland. Hunderte von Initiativen bildeten sich innerhalb von Wochen gegen den umstrittenen Zensus und begehrten auf. Mit Erfolg. Die Zählung ging erst, erheblich verändert, 1987 über die Bühne. Am 9. Mai kommenden Jahres ist es nun wieder soweit. Inzwischen formiert sich in Bremen Widerstand gegen die von Kritikern als äußerst missbrauchsanfällig beurteilte Form der Befragung.
Die Bremer Bürgerschaft soll das Ausführungsgesetz zum Zensus 2011 im Herbst verabschieden. Am 1. November, so die Planung, wird es in Kraft treten. Doch Anja Stahmann (Grüne) ist fest überzeugt: 'Das wird so nicht ohne Probleme über die Bühne gehen.' 'Wir sehen da noch erheblichen Verbesserungsbedarf.' Gerade in Zeiten von Datenmissbrauch müsse die Sensibilität für das Recht auf informelle Selbstbestimmung groß sein.
Auch in anderen Bundesländern rege sich Widerstand. Ihre Fraktion, so kündigte die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Anja Stahmann auf Nachfrage an, beabsichtige daher, nicht über den Entwurf in der Bürgerschaft abzustimmen, sondern ihn zunächst zur Beratung in die Ausschüsse zurückzugeben. Dabei hatte sich die Innendeputation bereits mit der Volkszählung befasst und sich bei einer Enthaltung auch dafür ausgesprochen.
Die Enthaltung ging jedoch nicht auf das Konto eines grünen Bedenkenträgers. Vielmehr war es der parteilose Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner, der für die Partei 'Die Linke' in der Innendeputation sitzt, und der nach eigenen Worten noch erheblichen Klärungsbedarf anmeldete.
Verfassungsbeschwerde gegen die Volkszählung
Das sieht auch Bremens Datenschutzbeauftragte Imke Sommer nicht anders. Gespannt schaut sie nach Karlsruhe, wo sich derzeit das Bundesverfassungsgericht mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Volkszählung auseinandersetzt. Mitautorin der Beschwerdeschrift ist die Bremer Rechtsanwältin Eva Dworschak (wir berichteten). Unterstützt wird der Vorstoß von rund 13000 Bürgerinnen und Bürgern bundesweit.
'Die Richter werden die Verfassungsbeschwerde schon deswegen annehmen', ist sich Imke Sommer sicher und fügt hinzu: 'Das wird spannend'. Die Beschwerde richtet sich gegen die geplante Erfassung und Zusammenführung von persönlichen Daten der gesamten Bevölkerung. Der Zensus 2011 geht auf eine EU-Vorgabe zurück. Allerdings, so die Kritiker, reiche die geplante Befragung in Deutschland noch sehr viel weiter als von der EU verlangt. So sollen hierzulande auch Daten über Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund erhoben werden. Beides gilt Kritikern als 'diskriminierungsträchtige Daten'.
Doch ihre Bedenken gehen noch weit über diesen Punkt hinaus. Anders als bei früheren Volkszählungen sollen mit dem Zensus 2011 personenbezogene Informationen aus zahlreichen Quellen zusammengeführt werden - ohne Einwilligung der Betroffenen. So ist geplant, Daten von Meldebehörden, Liegenschaftskatastern, der Bundesagentur für Arbeit und anderen 'allgemein zugänglichen Quellen'abzufragen. Ein Teil der Bevölkerung ist außerdem verpflichtet, zusätzlich Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich zu beantworten.
Schwer kontrollierbare Sammlung Rolf Gössner gibt die Zahl der Betroffenen in Bremen mit bis zu 60 000 an. Sie sind verpflichtet, persönlich Auskunft zu geben. In der Hansestadt sollen bis zu 400 Erhebungsbeauftragte ausschwärmen. Wer dieses Ehrenamt nicht als ein solches empfindet, kann notfalls dazu verpflichtet werden.
Hauptkritik ist also die Zusammenführung von Informationen aus staatlichen Datenbanken, die, angereichert mit Daten der Befragung 'hoch problematische Personenprofile' entstehen ließen. Diese Daten, kritisiert Gössner, würden zentral gespeichert, über eindeutige Ordnungsnummern verknüpft und könnten zugeordnet werden. Damit entstünde eine schwer kontrollierbare Datensammlung.
Zudem habe das Bundesverfassungsgericht eine solche Identifikationsziffer bereits im Volkszählungsurteil 1983 untersagt. Zwar sollen Adresse und Namen von den Daten rasch getrennt, aber nicht vernichtet werden. Imke Sommer: 'Die Daten sollen spätestens nach vier Jahren erst gelöscht werden. Das ist bedenklich und nicht plausibel.'