
Es war immer das gleiche Ergebnis: In Bremen hat bei jeder Bürgerschaftswahl dieselbe Partei gewonnen, stets bekamen die Sozialdemokraten im kleinsten Bundesland die meisten Stimmen. Und es gab bislang so gut wie keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass sich daran etwas ändern würde. Seit dem Jahr 1945 regiert die SPD den Zwei-Städte-Staat durchgehend, nur unterbrochen durch die Bürgerschaftswahlen.
Mit Wilhelm Kaisen, Willy Dehnkamp, Hans Koschnick, Klaus Wedemeier, Henning Scherf, Jens Böhrnsen und nun Carsten Sieling hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Bremen in direkter Folge sechs Regierungschefs gestellt. In keinem anderen Bundesland ist eine – bundesweit wählbare – Partei so lange ununterbrochen am Drücker wie hier an der Weser. Nein, das kann nicht einmal die CSU in Bayern vorweisen.
„Das kleine Bremen ist ein sozialdemokratischer Riese“, sagte der damalige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel bei der Feier zum 150-jährigen Bestehen der Bremer Sozialdemokraten. Damals, im April 2014, im Hanse-Saal des Congress-Centrums, war die Stimmung und die Lage noch so. Die SPD war groß, die Stimmenmehrheit unangefochten und die Vormachtstellung stand nicht infrage.
Das sollte – zumindest aus Sicht der SPD-Anhänger – natürlich am liebsten so bleiben. Doch mittlerweile ist aus der Partei ein schrumpfender Riese geworden. Es ist bekannt, dass Menschen mit dem Alter an Körpergröße verlieren. Wenn man bei dem Bild bleibt, passiert dies gerade mit der SPD. Laut den Zahlen startete dieser Prozess bei den Bremer Sozialdemokraten schon vor dem 150. Geburtstag.
Seit der Bürgerschaftswahl 2011 rutschten die Werte nach unten: Erreichten die Genossen 2011 noch 38,6 Prozent der Stimmen, ging es 2015 runter auf 32,8 Prozent. Bei den folgenden Umfragen fiel die SPD dann sogar unter die 30-Prozent-Grenze: Im Mai 2016 waren es noch 29 Prozent, mittlerweile sind es laut den aktuellen Infratest-Dimap-Werten nur noch 26 Prozent.
Das kennen die einst so selbstbewussten Sozialdemokraten aus ihrer Geschichte ganz anders. Die SPD, die 1946 in Bremen bei der ersten Bürgerschaftswahl nach dem Krieg gleich 47,6 Prozent der Stimmen einheimste, brachte es unter Wilhelm Kaisen noch auf 54,9 (1959) und unter Hans Koschnick sogar auf 55,3 Prozent (1971).
Es waren Zeiten, in denen die Bremer SPD als Schrittmacher für die Genossen im ganzen Land galt. Nicht erst 1959 probierten die Bremer Sozialdemokraten einen neuen Wahlkampfstil aus. Gewaltige Plakatformate und überdimensionale Fotomontagen hatten bereits 1955 zum Repertoire gehört.
Die Wahlkampfmethoden von der Weser waren vorbildhaft, sogar der damalige Bundestagsabgeordnete Helmut Schmidt reiste extra an, um sich über das Erfolgskonzept ein Bild zu machen, wie aus den Akten des Bremer Staatsarchivs hervorgeht. In ihrer stärksten Phase in den 1960er-Jahren arbeitete die SPD bis Anfang der 1970er-Jahre eng mit der FDP zusammen. Es folgte eine Zeit der Alleinherrschaft zwischen 1971 und 1991, in der die Opposition stets auf Distanz blieb.
Erst der Niedergang der SPD Anfang der 1990er-Jahre, als die Sozialdemokraten unter Bürgermeister Klaus Wedemeier bei der Bürgerschaftswahl 1991 mit 38,8 Prozent um zwölf Prozentpunkte stark einbrachen, eröffnete den Oppositionsparteien die Chance, an der Vormachtstellung der SPD zu kratzen. Die Oppositionsparteien waren aber untereinander nicht koalitionsfähig, sodass es zur Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen kam und die SPD ihre Führungsrolle behauptete.
Der Ausgang der Wahl 1995, in der SPD und CDU nahezu gleichauf lagen und beide die gleiche Anzahl von Sitzen in der Bürgerschaft erhielten, war ein Schock für die SPD. Dass das Prinzip Opposition dennoch nicht richtig zum Tragen kam, gehört zu den Kuriositäten der Politik in Bremen. Henning Scherf, eigentlich Befürworter von Rot-Grün, wurde von seiner Partei in einer Mitgliederbefragung eine Koalition mit der CDU aufgezwungen.
Scherf fand so viel Gefallen daran, dass dieses Bündnis zwischen 1995 und 2007 mit einer Dauer von zwölf Jahren zur längsten Großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik wurde. Mit den Grünen zusammen ging es noch einmal kurz ein paar Prozentpunkte hoch, dann folgte der Absturz. Die SPD als geschrumpfter Riese, der bei der Wahl 2019 zum ersten Mal nicht mehr der Größte sein könnte.