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Der bei der Wahl des Bremer AfD-Spitzenkandidaten unterlegene TV-Journalist Hinrich Lührssen geht die Parteiführung scharf an. Er spricht von Tricks und Lügen und kündigt seinen Rückzug aus dem AfD-Landesvorstand an. Seinen Entschluss habe er der Parteispitze bereits schriftlich mitgeteilt.
Landeschef Frank Magnitz, nunmehr auch AfD-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl im Mai, habe Parteifreunde bewusst angelogen, sagte Lührssen am Montag. Mehrfach sei Magnitz von ihnen gefragt worden, ob er kandidiere, und bis zuletzt habe er dies verneint. Gemeinsam mit seinem Vize Thomas Jürgewitz beherrsche Magnitz die Bremer AfD „mit allen Tricks“, so Lührssen. Das Duo dulde keine abweichenden Meinungen, dies zeige auch der „Rekord bei den Parteiausschlussverfahren“. Ein demokratischer Neuanfang der AfD Bremen sei gescheitert, hatte der freiberufliche Journalist bereits nach der Abstimmung dem WESER-KURIER gesagt. Ob er weitermacht in der Partei, ist noch offen. Er müsse die frischen Ereignisse erst verarbeiten, erklärte Lührssen.
Die Bremer AfD-Spitze informierte am Montag über ihre Landesliste zur Bürgerschaftswahl; bei der Aufstellungsversammlung am Wochenende hatte sie die Presse ausgeschlossen. Da blieb man lieber unter sich. Magnitz, zugleich Bundestagsabgeordneter, behauptete, auch andere Parteien in Bremen seien schon mal ähnlich vorgegangen, hielt sich auf Nachfrage aber mit konkreten Angaben zurück. Ohnehin sind der AfD nicht alle Medien genehm, sie behält sich eine Auswahl vor: So musste die Bremer Taz beim Pressetermin am Montag vor der Tür bleiben. Aus AfD-Sicht engagiert sich die Zeitung allzu sehr im Kampf gegen rechts. Die Landespressekonferenz und Verdi reagierten umgehend: Wer missliebige Berichterstattung zurückweise, missachte das Grundrecht der Pressefreiheit, kritisierte die Gewerkschaft.
Zur Personalie Lührssen sagte Spitzenkandididat Magnitz auf Nachfrage, er habe noch nicht mit ihm über dessen Zukunft in der Partei gesprochen. Er wolle sich jetzt auf die Bürgerschaftswahl konzentrieren und hoffe auf ein zweistelliges Ergebnis für seine Partei.
Alexander Tassis, der einzige AfD-Abgeordnete in der Bürgerschaft, ist nicht auf der Landesliste, dafür aber eine Magnitz-Tochter. Tassis gilt als isoliert, gegen ihn laufen Parteiausschlussverfahren. Auf Platz 2 der Liste (Wahlbereich Bremen) steht Uwe Felgenträger, gefolgt von Peter Beck. Platz 4 erhält Mark Runge, und Platz 5 geht an Ann-Kathrin Magnitz. Auch für Bremerhaven hat die AfD am Wochenende eine Landesliste erstellt: Auf Platz 1 kandidiert Thomas Jürgewitz.
Der 66-jährige Magnitz will sein Bundestagsmandat auch bei einem Einzug in die Bremische Bürgerschaft behalten. Beide Mandate seien bis in den Herbst problemlos zu erfüllen, sagte er. Mehr Zeit gibt er der Großen Koalition in Berlin nicht. „Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst Neuwahlen haben werden.“ Man habe die Kalender „übereinander gelegt“, Termine intensiv geprüft und festgestellt, dass es so lange machbar sei. Doppelmandate seien nicht ungewöhnlich, versicherte Magnitz, es gehe ihm auch keinesfalls um Geld. Laut Jürgewitz würden die beiden Diäten miteinander verrechnet werden, sodass nicht mehr gezahlt würde als jetzt.
Ob Magnitz' Pläne aufgehen, muss sich noch zeigen. Möglicherweise wird die Gültigkeit der Listenaufstellung einer juristischen Überprüfung unterzogen. Das hat am Montag einer der wenigen noch aktiven Gegner des Parteichefs im Gespräch mit dem WESER-KURIER angekündigt. Peter Scharlau, der vom Vorstand mit mehreren Parteiordnungsverfahren überzogen wurde, ist überzeugt, dass auf der Teilnehmerliste der Versammlung auch Namen von Personen stehen, die nicht wahlberechtigt waren. Sollte sich dies nachweisen lassen, so Scharlau, „dann wäre das Abstimmungsergebnis nichtig und obendrein fraglich, ob die AfD bei der Bürgerschaftswahl überhaupt antreten kann“. Er werde die Sache dem Landesschiedsgericht Niedersachsen-Bremen unterbreiten.
Unterdessen ist Frank Magnitz von seiner Darstellung abgerückt, nach dem Überfall auf ihn vor zwei Wochen habe ein ihm zu Hilfe geeilter Handwerker vom Einsatz eines Kantholzes erzählt. Vielleicht habe er dies auch von der Besatzung im Krankenwagen gehört, räumte er am Montag ein. „Ich hatte massive Wahrnehmungsprobleme in dem Moment. Ich kann es heute nicht mehr sagen. Die Beeinträchtigung zu dem Zeitpunkt war doch etwas größer.“
Am Wochenende war bekannt geworden, dass einer der beiden Handwerker bestreitet, von einer Holzlatte gesprochen haben. Der „Ems-Zeitung“ sagte der deutsch-libanesische Mann: „Eine Holzlatte oder eine andere Waffe habe ich definitiv nicht gesehen.“ Das habe er auch nicht behauptet.
Die AfD hatte nach dem Überfall mitgeteilt, Magnitz sei mit einem Kantholz geschlagen und gegen den Kopf getreten worden. Ein Überwachungsvideo zeigt aber, dass ihn ein Mann von hinten schlägt und Magnitz stürzt. Er sei kein Spezialist, betonte der Landeschef. Aber die Auswertung des Videos hätte seines Erachtens „besser sein“ können. Die Einschaltung eines unabhängigen Gutachters sei wünschenswert.
Vor eineinhalb Jahren wurde Frank Magnitz als Nummer eins der AfD-Landesliste Bremen in den Bundestag gewählt. Im Mai wird er nun auch für die Bürgerschaft antreten. Zieht die AfD in die Bürgerschaft ein, hätte Magnitz damit ein Doppelmandat.
Zeitgleich ein Mandat im Bundestag und in einem Landtag wahrzunehmen, ist – das haben Beispiele aus der Vergangenheit gezeigt – gesetzlich zulässig, aber selten. Abgeordnete in Bundes- und Landtagen müssen viele Termine wahrnehmen. Neben den Sitzungen haben sie Verpflichtungen in Ausschüssen und Deputationen. Auf Anfrage bei der Bürgerschaft wurden dem WESER-KURIER die voraussichtlichen Termine für die Bürgerschaftssitzungen ab August bis Dezember mitgeteilt. Neun der 15 Termine überschneiden sich demnach mit Sitzungsterminen im Bundestag. Magnitz müsste sich dann jeweils für Bürgerschaft oder Bundestag entscheiden. Hinzu kämen noch die Termine in Ausschüssen und Deputationen, sagt Bürgerschaftssprecherin Dorothee Krumpipe. Die seien aber derzeit noch nicht absehbar.
Im Jahr 2018 hat Magnitz an 16 von 68 namentlichen Abstimmungen im Bundestag nicht teilgenommen. Seine Fehlquote liegt damit bei etwa 23 Prozent. Die ARD hatte im Oktober die Fehlzeiten der Fraktionen ausgerechnet. Hier lag die AfD mit etwa neun Prozent hinter der Fraktion von Die Linke mit etwa 14 Prozent Abwesenheit.
Der letzte Abgeordnete, der in Bremen ein Doppelmandat wahrnahm, war Michael Teiser (CDU). Er war laut Bundestag Mitte der 1990er-Jahre für acht Monate zeitgleich Mitglied der Bürgerschaft und im Bundestag. Auch die CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann gewann 2014 ein Mandat in der Bürgerschaft, obwohl sie bereits Mitglied des Bundestages war – trat dieses aber nie an. Derzeit nimmt nur eine Abgeordnete im Bundestag ein Doppelmandat wahr: Die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry ist zusätzlich Mitglied im sächsischen Landtag.
Eine doppelte Vergütung wird Magnitz mit zwei Mandaten nicht erhalten. Bekommt ein Abgeordneter bereits eine Vergütung für ein anderes Mandat, fällt sie in der Hansestadt weg – das sieht das Bremer Abgeordnetengesetz vor. Trotzdem könnte er von einer Altersentschädigung profitieren: Laut Krumpipe bezuschusst die Bürgerschaft alle Abgeordneten, die eine private Altersversorgung nachweisen können – unabhängig davon, ob sie vom Bundestag Altersbezüge erhalten. (kit)
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Unabhängig von ihren wichtigen Beiträgen, wünsche ich dieser „AfD“ auch deutlich unter 5%. Mir wäre es lieber, wenn eine SPD oder CDU ihre Beiträge aufnehmen und „vernünftiger“ (als eine „AfD“) berücksichtigen würde.
Dies dürfte für Lührssen schnell zum Liebensentzug und zum X-ten Parteiausschlussverfahren der AfD führen.
Die AfD Bremen steht sicher nicht beispielhaft für die AfD bundesweit.
Und so, wie sie sich mit Magnitz in Bremen präsentiert, gebe ich der AfD keine 3% der Stimmen bei der Bürgerschaftswahl.
Die bringen wenigstens nicht so Nummern wie Martin "ruft doch mal Martin" Schulz.
Dass derart offen und dreist herumgelogen wird, hat schon Seltenheitswert.
Nicht wesentlich sind aber in der Tat die Unterschiede zu den Rechtsaußenparteien, die früher mal in der Bürgerschaft vertreten waren, wie etwa der DVU. Da flogen die Fraktionen auch jeweils nach kürzester Zeit auseinander und es kam auch schon mal zu Handgreiflichkeiten.
So hat die AfD Zeit, sich geeignetes Personal zu suchen, um eine echte Opposition zu werden. In 2023 dürften die Chancen gut stehen, sofern es den Parteimitgliedern gelingt, sich von Glücksrittern & Co zu trennen.
Ich denke, ja hoffe dass es diesesmal nichts wird, mit dem Einzug in die Bürgerschaft.
Selbstgemachte Leiden kann ich da nur sagen.
Mit der überraschenden Degradierung des Herrn Lührssen dürfte auf unabsehbare Zeit jede Chance dahin sein, dass "Naziimage" abzulegen.
Schade! Denn Bremen hätte eine echte Alternative zu den jetzigen Politikern dringend nötig.
Da wird mir wirklich schlecht...
Das Hauptproblem der AFD scheint derzeit noch zu sein, dass sie die Chaoten und Extremisten in ihren Reihen nicht unter Kontrolle bringt und dass sie kaum vorzeigbares Personal für Parteiämter hat. Das ist natürlich die beabsichtigte Folge der sozialen Ausgrenzung ihrer Mitglieder.
Zwischen der CDU und der AFD klafft zur Zeit noch eine große Lücke. Hier stehen viele Wählerstimmen bereit und warten auf ein Angebot.
Die Protestwähler werden das wohl nicht mehr so lange mitmachen und zu Nichtwählern werden, denn zu den sogenannten Volksparteien werden sie wohl nicht mehr zurück kehren, von denen haben sie sich ja enttäuscht abgewendet.
Man wird sich in Bremen also nach einer alternativen Oppositionspartei umsehen müssen.