Seit dem 10. März können sich schwer kranke Patienten in Deutschland von ihrem Arzt Cannabis auf Rezept verschreiben lassen – die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten dafür, wenn der Antrag durch den Medizinischen Dienst genehmigt wurde. Vor allem bei Schmerzen durch Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Rheuma oder eine Nervenschädigung, bei Krebs, Appetitlosigkeit durch HIV/Aids, Übelkeit durch Chemotherapien oder beim Tourettesyndrom soll Cannabis den Patienten helfen. So die Hoffnung.
„Das Problem ist die Datenlage. Es gibt keine umfassenden Studien zu Wirksamkeit und Verträglichkeit. Die öffentliche Euphorie ist derzeit größer als die Studienlage“, sagt Joachim Ulma, Chefarzt der Schmerzklinik und des Schmerzzentrums im Rotes Krankenhaus (RKK) Bremen. „Das ist auch der Grund dafür, dass in dem neuen Gesetz ausdrücklich darauf verzichtet wurde, einzelne Indikationen für die medizinische Anwendung von Cannabis aufzulisten.“
Unsicherheit bei den Ärzten
Mit der Freigabe kann nun jeder Arzt unabhängig von Fachrichtung und Qualifikation Cannabis verordnen, wenn der Antrag des Patienten genehmigt wurde. Viele Ärzte seien deshalb verunsichert, sagt Ulma. Weil sie in der Regel keine Erfahrung damit hätten, in welcher Form Cannabis für welche Indikation am wirksamsten sei, wie es sich mit Nebenwirkungen verhalte und ob Cannabis überhaupt bei einem bestimmten Patienten die nächste Therapieoption sei.
Auch in der RKK-Schmerzklinik gebe es seit Inkrafttreten des Gesetzes deutlich mehr Anfragen von Patienten. „Das ist absolut verständlich“, betont Ulma. „Aber es ist ganz wichtig, dass immer erst alle anderen Möglichkeiten von schmerzmedizinischer Seite voll umfänglich abgeklärt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Cannabis ist derzeit aufgrund der schwachen Studienlage die Therapie der dritten Wahl.“
Die Schmerzklinik am RKK biete niedergelassenen Ärzten an, in einer Fallkonferenz Patienten vorzustellen, bei denen die Idee einer Cannabis-Therapie im Raum stehe. „Es geht um solche Fälle, wo ein Hausarzt an seine therapeutischen Grenzen kommt oder darum, eine Entscheidung auf breitere Füße zu stellen“, so Ulma.
Forschung in Gang setzen
Früher konnte Cannabis nur mit Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verordnet werden, 1100 solcher Genehmigungen gab es vor dem Gesetz. „Der Hauptanteil lag bei neuropathischen Schmerzen und in der Palliativmedizin“, so Ulma. Der Schmerzmediziner verbindet mit der Freigabe für Cannabis auf Rezept, dass dadurch die Forschung in Gang gesetzt werde – zu Wirksamkeit, aber auch Verträglichkeit.
Teilweise gebe es je nach Wirkstoffgehalt gravierende Nebenwirkungen wie psychische Veränderungen, Antriebsstörungen, Herzprobleme. „Problematisch sind zum Beispiel Cannabisblüten, weil die Wirkstoffkonzentration sehr schwanken kann“, so Ulma. Grundsätzlich sei es in jedem Fall richtig gewesen, dass vor allem auch aus diesem Grund mit dem Gesetz der genehmigte Eigenanbau fortgefallen sei.
Ein anderes Problem, das durch das Gesetz entstanden sei und nun juristisch geklärt werden müsse, sei das Thema Fahrtüchtigkeit: „Bei einer Kontrolle wird nicht zwischen medizinischer Notwendigkeit und Drogenmissbrauch unterschieden. Es gibt Grenzwerte, da muss man sich noch etwas überlegen.“
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