Nach rund 75 Minuten Fußweg hat Robert Dadanski noch einmal Stress. Es gilt dafür zu sorgen, dass sich die Teilnehmer des Umzugs zum diesjährigen Christopher Street Day (CSD) möglichst schnell zerstreuen. Mit rund 4000 Demonstranten ist die am Sonnabend maßgeblich von Dadanski organisierte Veranstaltung zwar deutlich kleiner ausgefallen als im Vorjahr, in dem sich rund 10.000 Menschen zusammengefunden hatten, um gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Lesben, Schwulen, queeren, bi-, trans- und intersexuellen Menschen zu demonstrieren. Aber 2019 war ja auch noch keine Corona-Pandemie, sodass der CSD auch 2020 die größte politische Demonstration in Bremen bleibt.
Dadanski und seine Mitstreiter gehen mit Megafonen über die große Kreuzung am Altenwall vor der Kunsthalle und fordern die Menschen auf, einfach weiter zu gehen, damit es nicht zu einer zu großen und zu dichten Menschenansammlung kommt. Es gibt keine Abschlusskundgebung, keine Reden, keine Musikwagen und keine anschließende Party. Die Coronaregeln reduzieren den CSD in diesem Jahr auf den auch am Altenwall gestarteten Demonstrationszug. Über den Wall ging es von dort zum Hauptbahnhof und danach über die Bürgermeister-Smidt-Straße und den Brill durch die Obernstraße zum Marktplatz und wieder zur Kunsthalle. Lediglich eine Sambagruppe sorgt für rhythmische Akzente an der Spitze des Umzugs, an der auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte mitmarschiert, vor ihm das diesjährige Motto auf einem breiten Banner "Liebe siegt gegen Hass".
Ein sehr langer Demonstrationszug
Abstand halten und wenn das nicht möglich ist, Maske aufsetzen, so lautete die Vorgabe der Veranstalter. "Ich bin wirklich baff, aber das hat funktioniert, die tragen tatsächlich alle einen Mund-Nasenschutz", zieht Dadanski am Ende sein Fazit. Die Sache mit dem Abstand klappt dagegen nur so mittel, dennoch kommt der Zug insgesamt auf eine imposante Länge. Wer sich zum richtigen Zeitpunkt auf der Kreuzung Breitenweg und Bahnhofstraße stellte, konnte den CSD in drei Richtungen gleichzeitig sehen: vor sich am Bahnhof vorbei, den Beginn des Zuges schon auf der Bürgermeister-Smidt-Straße, das Ende noch auf dem Herdentorsteinweg.
Neben den häufig regenbogenfarbenen Masken tragen die Demonstranten auch noch andere bunte bis freizügige Kostüme. Ohne einen Schuss Karneval ist der CSD nicht denkbar. Aber das ist nicht nur spaßiger Selbstzweck. Die öffentliche Inszenierung der sexuellen Identität ist zugleich die politische Forderung nach Anerkennung gleicher Rechte für Schwule und Lesben. Die mitgeführten Transparente und Plakate formulieren dabei unterschiedliche Schwerpunkte. "Elternschaft für alle" heißt es etwa auf einem Schild. Ein anderes Plakat erinnert daran, dass die gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung in über 70 Ländern der Welt auch heute noch als Straftatbestand gilt. Und wo dies rechtlich nicht der Fall ist, gibt es weiterhin eine gesellschaftliche Ausgrenzung, wie beispielsweise in Polen. Dort rühmen sich einzelne Städte und Gemeinden, sogenannte LGBT-freie Zonen zu sein. Die Abkürzung steht für die englischen Bezeichnungen lesbian (lesbisch) und gay (schwul) sowie bi- und transsexuell.
In Bremen haben laut Dadanski homofeindliche Äußerungen aus evangelikalen Gemeinden und Berichte über Diskriminierungen eines transsexuellen Schülers an einer Bremer Schule in jüngster Zeit deutlich gemacht, dass die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebe noch längst nicht gesellschaftlicher Konsens ist. "Kein CSD wegen Corona, war darum keine Option", sagt er. "Niemand soll sich verstecken müssen", fordert ein Schild des Demonstrationszuges. Es klingt wie der Kommentar zu dieser Situation.
+++ Dieser Text wurde um 19:12 Uhr aktualisiert+++
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