Überseestadt/Woltmershausen. Die Italiener, die wohl mit am schwersten von der Corona-Pandemie betroffen sind, haben es nicht nur mit ihren Balkon-Konzerten vorgemacht. Auch in virtuellen Chören wurde sich gegenseitig Mut zugesungen. Ein besonders berührendes Beispiel war der virtuelle, internationale Opernchor in Rom, dessen Mitglieder, jeder für sich allein zu Hause via Smartphone, „Va pensiero“, den Gefangenenchor aus der Verdi-Oper „Nabucco“ sangen, die heimliche Nationalhymne Italiens. Der Chor wurde dann per Video-Schalte zusammengefügt.
Nach dem gleichen Prinzip funktioniert der Corona-Quarantäne-Chor des „Golden City“, geleitet von den Protagonisten Ramona Ariola alias Frauke Wilhelm und Ramon Locker alias Nomena Struß. Gemeinsam gesungen wird ein Song, der den Titel der Stunde trägt: „SOS“ von den schwedischen Fab four Abba. „Dieser Song eignet sich natürlich ganz fantastisch. Außerdem vermittelt das gemeinsame Singen ein Gemeinschaftsgefühl, das viele doch gerade jetzt so sehr vermissen“, betont Wilhelm.
Die Endfassung des virtuellen Konzertes soll bis Ende dieser Woche online gehen und kann auf der Website des „Golden City“ mitverfolgt werden. Noch ist Wilhelm fleißig dabei, das Material zu schneiden. Mit dabei sind Profi-Musiker und -Theatermacher aus Berlin, Wien und sogar aus New York sowie lokale Größen wie der singende Seemann Dirk Langer alias Nagelritz. „Wir haben aber auf den Aufruf auf unserer Website hin unglaublich viele Video-Einsendungen erhalten, nicht nur von unseren Fans, sondern auch von Leuten, die wir bisher noch gar nicht kannten“, erzählt Frauke Wilhelm. Vielleicht ist das Projekt ja zusätzlich noch einmal durch die Trauer beflügelt worden, dass es in diesem Sommer keine temporäre Hafenbar geben wird. Und um den Trennungsschmerz innerhalb der Fan-Gemeinde zu überbrücken, wird eben gemeinsam gesungen. Und das funktioniert erstaunlich gut.
Auf die ersten beiden Aufrufe hin trudelten beim „Golden-City“-Team Videos von 57 Mitwirkenden ein. Die Auswahl der Instrumente war dabei ebenso bunt wie die der Singenden: Der Abba-Song wurde auf Saxofonen, Geigen, Melodicas, Celli, Glockenspielen, Gitarren, Klavieren, Akkordeons, auf Schlagzeug, Bass, aber auch auf so exotischen Musikinstrumenten wie Nasenflöten, Kalimba und Kazoo gespielt. „Diese Resonanz war für uns schon überwältigend, damit hätten wir nicht gerechnet“, sagt die Chefin des „Golden City“. Den Bläsersatz steuerte die Bremer Band „Brennholzverleih“ bei. „Die Bass- und Schlagzeug-Spuren hat für uns der New Yorker Musiker Patrick Grant eingespielt“, erzählt Frauke Wilhelm.
Dadurch hat das „Golden-City“-Team einen direkten Draht zu der Stadt, von der es heißt, dass sie niemals schläft. „Die Situation ist dort furchtbar. Das Fenster von Patricks Apartment liegt direkt gegenüber dem Eingang eines Krankenhauses und er muss täglich mitansehen, wie Kühlwagen vorfahren, um Leichen abzutransportieren“, so Wilhelm. Die Musik habe ihm dabei geholfen, nicht depressiv zu werden.
Das „Golden City“-Team war noch im letzten Sommer am Lankenauer Höft extrem erfolgreich, davor an einem Hafenbecken in der Überseestadt. Nun wollten sie von Juni bis August ihre Zelte in der Big-Pack-Halle auf dem Kellogg-Gelände, wiederum direkt am Wasser aufschlagen. Die Sponsorenverträge waren bereits unter Dach und Fach. „Wir hoffen, dass wir das um ein Jahr verschieben können“, sagt Wilhelm. Aber sie hofften natürlich auch auf finanzielle Hilfe durch das Kulturressort.
Sehr froh ist sie um die Förderzusage der Karin und Uwe Hollweg-Stiftung für das aktuelle Projekt des Corona-Quarantäne-Orchesters und -Chores. „Damit können wir jetzt überleben“, sagt sie und stellt eine weitere Folge, die mit noch mehr Interaktivität funktionieren soll, in Aussicht. Wilhelm weiß aber auch um die dramatische Lage vieler freischaffender Künstler, die gerade durch alle Maschen des Fördernetzes fallen. Denn die funken gerade SOS. Jetzt geht es darum, dass sie auch in Zukunft weiterarbeiten können.
Bei aller gebotenen europäischen Solidarität mit von der Pandemie schwer getroffenen Ländern wie Italien und Spanien gelte es aber auch und gerade, die Kulturlandschaft Deutschlands zu stützen und zu bewahren, betont sie. Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins ist nicht der einzige, der befürchtet, dass die Kultur momentan aus dem Blickfeld der Politik gerät. Khuon hat jüngst auf die essenzielle Bedeutung des Grundnahrungsmittels Kultur als Kitt der Gesellschaft hingewiesen. Stellvertretend für viele ihrer freischaffenden Kollegen bekräftigt Frauke Wilhelm noch einmal die Systemrelevanz der Kultur: „Gerade Musik vermittelt in dieser schwierigen Situation viel positive Lebenskraft“.
Weitere Informationen
Weitere Informationen gibt es auf www.goldencity-bremen.de.
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