Sie sollen Pausenaufsicht führen, die Einhaltung der Maskenpflicht kontrollieren, Schülern im Homeschooling helfen oder auch beim Nachverfolgen von Corona-Kontakten helfen: Niedersachsens Schulen können ab Dezember für sechs Monate bis zu 5000 pädagogische Mitarbeiter auf 450-Euro-Basis einstellen. „Für jede unserer rund 3000 Schulen steht damit mindestens eine zusätzliche Hilfskraft zur Verfügung“, erklärte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) am Dienstag in Hannover. 25 Millionen Euro macht das Land für die neuen Helfer locker. Weitere 20 Millionen Euro fließen in die Schutzausstattung von Schulen, etwa in Plexiglaswände in den Klassenräumen, CO2-Ampeln, FFP2-Masken für Lehrkräfte und in Ausnahmefällen auch Luftfilter.
Das neue Schutzpaket soll nicht nur die Schulen in diesen Krisenzeiten entlasten, sondern vor allem einen möglichst weitgehenden Präsenzunterricht für die Kinder und Jugendlichen sicherstellen. „Wir müssen unserem Bildungsauftrag nachkommen und gleichzeitig den Gesundheitsschutz gewährleisten, betonte Tonne. „Ein landesweiter Wechsel ins Szenario B ist nicht das, wovon wir ausgehen“, meinte der Minister. Und erteilte damit einem halbierten Unterricht in geteilten Klassen abwechselnd in der Schule und zu Hause als Regelfall eine Absage. Bei der Runde der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Merkel (CDU) hatte der Bund sich für dieses Modell stark gemacht.
Verden kreisweit im Wechselunterricht
Allerdings hat die Realität Tonne noch am selben Tag überholt. Der Landkreis Verden kündigte an, ab kommenden Montag alle allgemein- und berufsbildenden Schulen für zunächst zwei Wochen ins Szenario B wechseln zu lassen. Gleichzeitig gilt für den Berufsschulunterricht in der dualen Ausbildung in Verden für zwei Wochen sogar das Szenario C. Danach lernen Schülerinnen und Schüler unter Anleitung der Lehrkräfte ausnahmslos von zu Hause.
Mehr als die Hälfte aller Schulen des Landkreises befinde sich ohnehin bereits jetzt im Wechselmodus, sagte Landrat Peter Bohlmann (SPD). Allein am vergangenen Wochenende sei für rund 300 Schülerinnen und Schüler die Quarantäne angeordnet worden. Zusammen mit den im Wechselmodell befindlichen Grundschulen würden aktuell schon jetzt rund 75 Prozent aller Schüler im Szenario B beschult, ergänzte Bohlmann.
Die Regelung in Verden ist die Blaupause der niedersächsischen Hotspot-Strategie. Um eine Schule ins Szenario B zu schicken, sind zwei Voraussetzung erforderlich: Zum einen muss der Inzidenzwert bei mehr als 100 Fällen liegen, was aktuell in gut zwei Dritteln aller Landkreise und kreisfreien Städte der Fall ist. Zum anderen muss das örtliche Gesundheitsamt eine Quarantäne-Maßnahme gegen Schüler oder Lehrer dieser Schule angeordnet haben.
Auch eine von der Bundesregierung ins Spiel gebrachte allgemeine Maskenpflicht, die explizit Grundschüler einschließt, bewertete Tonne aus pädagogischen Gründen bei kleineren Kindern skeptisch. Zwar gehe die derzeit hohe Ansteckungsdynamik nicht spurlos an den Schulen vorbei. Diese seien dafür aber nicht verantwortlich.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte zwar das Schutzpaket als richtigen Schritt. Aber die zusätzlichen Mittel reichten bei weitem nicht aus. „Wie kann es sein, dass man für die Schulen um jede müde Mark einzeln betteln muss?“, fragte GEW-Landeschefin Laura Pooth mit Blick auf die „enorme Bedeutung des Präsenzunterrichts“ für Schüler und berufstätige Eltern. Andrea Kunkel, Vorsitzende des Schulleitungsverbandes Niedersachsen, forderte wie Pooth eine deutliche Aufstockung des Personals an den Schulen. Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL) meinte, dass die Maßnahmen schon viel eher hätten ergriffen werden müssen. VNL-Chef Torsten Neumann bezweifelte, dass sich schnell und ausreichend Hilfskräfte finden ließen. „Der Arbeitsmarkt ist leergefegt.“
Die Ausschreibung für die 450-Euro-Stellen soll an diesem Mittwoch starten. Eine spezielle pädagogische Qualifizierung ist nach Angaben des Ministeriums nicht erforderlich. Hauptzielgruppen sind laut Tonne Eltern. Aber auch Studenten, die durch den Teil-Lockdown ihre Nebenjobs in Kneipen oder Restaurants verloren hätten, seien angesprochen. Die Schulen selbst könnten und sollten auf aus ihrer Sicht geeignete Interessenten auch direkt zugehen.
FDP-Bildungsexperte Björn Försterling kritisierte die Mittel als „entschieden zu wenig, um über den Winter zu kommen“. Die Grünen im Landtag bemängelten, dass Tonne kein schlüssiges Konzept vorgelegt habe. „Der Kultusminister muss den Schulen Handlungs- und Planungssicherheit geben“, sagte Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. Lehrer, Schüler und Eltern forderten zurecht, dass der Infektionsschutz deutlich größer geschrieben werde. „Das Hinterherrennen und die akute Löschpolitik bewirken jedoch das Gegenteil.“
Wegen der Corona-Krise kann sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger ein zusätzliches Schuljahr vorstellen. Es zeichne sich ab, dass auch dieses Schuljahr kein normales werde und es nicht gelinge, die Lehrpläne zu erfüllen, sagte Meidinger dem Nachrichtenportal „Watson“. „Für viele Eltern und Schüler würde die Möglichkeit eines Zusatzjahres enormen Druck aus der jetzigen Situation herausnehmen, übrigens auch das Problem des Notendrucks, den manche Elternverbände beklagen, entschärfen.“
Vorstellbar sei etwa das freiwillige Wiederholen eines Schuljahres ohne Wertung als Sitzenbleiben oder das Angebot eines Zusatzjahres beispielsweise vor den Abschlussprüfungen, sagte Meidinger. Er forderte zudem einen „langfristigen Masterplan“, damit Eltern, Lehrer und Schüler nicht tagtäglich durch neue Maßnahmen verunsichert würden.
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