Altstadt. „Meere bedecken den größten Teil der Erde, sie sind aber gleichzeitig eine sehr unbekannte Domäne. Wir haben hier einen Lebensraum, einen großen Bereich der Erde, der uns in weiten Teilen noch völlig unbekannt ist“, sagt Andree Kirchner, der Direktor des Institutes für Seevölkerrecht und Internationales Meeresumweltrecht (ISRIM). In seinem Vortrag „Vom Entdecken unbekannter Meeresgebiete zur wissenschaftlichen Meeresforschung“ in der Reihe „Wissen um 11“ im Haus der Wissenschaft an der Sandstraße sprach er über diese Regionen und ihre Bedeutung im internationalen Seerecht.
Konkret geht es Kirchner dabei um „Das Gebiet“, ein Bereich, in dem Küstenstaaten keine Hoheitsbefugnisse mehr haben und der sich jenseits juristischer Jurisdiktion befindet. Das Gebiet macht ungefähr 60 Prozent des gesamten Meeresbodens aus. Nicht nur juristisch, auch für die Naturwissenschaften ist das Gebiet weitgehend unbekannt: „Zwar ist schon einiges versucht worden, um Licht ins äußerste Dunkel zu bringen, es ist aber auch eine große Herausforderung, weil es schwer zugänglich ist“, sagt Kirchner.
Zwei Aspekte gebe es, warum sich die internationale Gemeinschaft dennoch sehr für das Gebiet interessiert: „Es geht nicht nur um das Gebiet selbst, sondern auch um die Ressourcen, es sind also wirtschaftliche Gründe. Es ist aber auch so, dass das Gebiet und seine Ressourcen nach Artikel 136 des UN-Seerechtsübereinkommens ,Das gemeinsame Erbe der Menschheit' genannt wird“, sagte Kirchner. Dieses Prinzip des „Erbes der Menschheit“ wurde von Arvid Pardo, dem Ständigen Vertreter Maltas bei den Vereinten Nationen, im Jahr 1967 eingeführt – vor einem halben Jahrhundert.
Hugo Grotius entwickelte 1609 mit „Mare Liberum“ das Prinzip der Freiheit der Meere. Arvid Pardo wollte das gemeinsame Erbe der Menschheit auf den gesamten Meeresbereich jenseits nationaler Jurisdiktion beziehen. „Das heißt, nicht nur auf den Meeresgrund, sondern auch in Bezug auf die Wassersäule, also den Wasserkörper als solchen“, sagt Andree Kirchner. Darauf hat sich die internationale Gemeinschaft nicht verständigen können, und so ist die Freiheit der Meere nach Grotius auf die Freiheit der hohen See fortgesetzt worden. Nach Andree Kirchner ist somit die Kontinuität gewahrt worden: „Das gemeinsame Erbe der Menschheit ist für den Bereich des Tiefseebodens und den Bereich des Meeresuntergrundes entsprechend angenommen worden.“
UN-Seerecht
Der Rechtsstatus des Gebietes findet sich in Artikel 137 Absatz 1 des UN-Seerechtsübereinkommens. Darin heißt es: „Kein Staat darf über einen Teil des Gebiets oder seiner Ressourcen Souveränität oder souveräne Rechte beanspruchen oder ausüben; ebenso wenig darf sich ein Staat oder eine natürliche oder juristische Person einen Teil des Gebiets oder seiner Ressourcen aneignen. Weder eine solche Beanspruchung oder Ausübung von Souveränität oder souveränen Rechten noch eine solche Aneignung wird anerkannt.“ Demnach gibt es für das Gebiet keinen Eigner, so wie es beim Küstenmeer oder der „Ausschließlichen Wirtschaftszone“ (AWZ) der betreffende Küstenstaat ist, der dort Hoheitsbefugnisse ausüben kann. „Im Bereich der Hohen See, des Tiefseebodens und des Meeresuntergrundes haben wir jedoch die Situation, dass nur die internationale Gemeinschaft als Ganzes zu befinden hat“, sagt Andree Kirchner. Er sieht hier nicht nur ein Eigentumsrecht im Sinne von „Ich darf hier die Ressourcen ausbeuten“, sondern gleichzeitig die Verantwortung, die auf die internationale Gemeinschaft übertragen worden ist, sich über die Frage des „Wie“ Gedanken zu machen, „das heißt, eine verantwortungsvolle, eine nachhaltige Form des Tiefseebergbaus“.
Das Prinzip „Nutzen für die Menschheit“ ist durch Arvid Pardo vorgestellt worden und mündete in einer UN-Generalversammlungsresolution. „Dabei ist die Idee, dass die Staaten, die wir als Entwicklungsländer oder Länder in Transformation bezeichnen, einen besonderen Stellenwert erhalten“, berichtet Kirchner. Der Hintergrund ist dabei, dass durch die schwere Zugänglichkeit des Tiefseebodens und des Meeresuntergrundes es insbesondere den Industriestaaten gelingen wird, dort Zugang zu erhalten. Hier sind verschiedene Regeln in das UN-Seerechtsübereinkommen eingeflossen, um den Schwellenländern diesen Zugang zu ermöglichen. Dazu gehört zum Beispiel der Bereich des Technologietransfers und ein sogenanntes „Royalty System“, wo erwirtschaftete Gewinne aus der Tiefsee über einen Verteilungsschlüssel an Entwicklungs- und Schwellenländer, die nicht unmittelbar am Abbau beteiligt sind, fließen sollen.
Die Trennlinie zwischen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, juristischen und sozioökonomischen Aspekten ist schwer zu ziehen. „Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass es nicht nur isoliert um einzelne Aspekte geht, vielmehr gibt es eine starke Verwobenheit, die auch notwendig ist, um in der Gesamtschau zu zukunftsfähigen Schlüssen zu kommen“, sagt Kirchner. Wissenschaftliche Meeresforschung ist im Gebiet nur zu friedlichen Zwecken und zum Nutzen der gesamten Menschheit erlaubt. Für Andree Kirchner ist dies ein hoher Anspruch, der nicht immer ganz einfach durchzusetzen ist, wobei es bereits viele Kooperationen im Bereich der Forschung in der Tiefsee gibt: „Dennoch haben wir schon alleine wegen der wirtschaftlichen Interessen, die dahinter stehen, auch eine ganze Reihe von Konkurrenzsituationen zwischen verschiedenen Teilen dieser Welt.“
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