Herr Richter, das Polizeigesetz soll geändert werden, um private Immobilien für Flüchtlinge beschlagnahmen zu können. Der Eigentümerverband Haus & Grund lehnt den Gesetzesvorstoß der rot-grünen Landesregierung rundheraus ab. Warum?
Bernd Richter: Ich halte diesen Vorstoß für verantwortungslos. Er kann schlimmstenfalls dazu führen, dass die Stimmung in Bremen kippt. Was ist das für ein Signal an die Bevölkerung? Wir drohen euch, gegen eure Grundrechte zu verstoßen, und wenn ihr nicht freiwillig Platz macht, werden wir euch zwingen. Auf diese Weise bringt man die Bürger doch nur gegen sich, aber auch gegen Flüchtlinge auf. Außerdem ärgert mich, dass Rot-Grün nur nach und nach mit der Sprache herausrückt. Erst war nur von Gewerbeimmobilien die Rede, jetzt geht es um Immobilien insgesamt, also auch um Wohnungen. Ich glaube zwar nicht, dass es der Senat in erster Linie auf private Wohngebäude abgesehen hat.
Aber sie sind – zumindest im Hamburger Gesetzentwurf, an den sich der Bremer anlehnt – eingeschlossen.
Es sollen aber nur ungenutzte Immobilien mit einer Größe von 300 Quadratmetern oder mehr in Anspruch genommen werden.
300 Quadratmeter – das ist doch nicht viel, das kann ein Wohnhaus sein oder Teile davon. Im Hamburger Gesetz ist nämlich auch von Immobilien die Rede, die nur zum Teil nicht genutzt werden. Es mag sein, dass es nicht in der Absicht des Senats liegt, über das zu verfügen, wofür irgendein Bremer sein Leben lang geschuftet hat, aber so kommt es rüber. Und das macht uns Sorgen. Das Thema muss man sensibler angehen, wenn man die Bevölkerung hinter sich haben will.
Gibt es einen Aufschrei der Entrüstung bei Ihren Mitgliedern?
Nein, noch nicht. Dazu ist das noch zu frisch. Aber ich bin auch auf Bundesebene tätig, und unsere Kollegen in Hamburg und Berlin haben mir davon berichtet. Das wird in Bremen wohl auch nicht anders sein, gerade weil sich schon viele Privatleute aus freien Stücken melden, um zu helfen und Wohnungen anzubieten.
Haben Sie denn kein Verständnis für die schwierige Lage, in der sich Bremen befindet?
Doch, selbstverständlich. Ich kann verstehen, dass man alles versucht, um die Flüchtlinge so gut unterzubringen, wie es eben geht. Niemand will, dass die Zelte den Winter über stehen bleiben müssen. Aber die Grenze meines Verständnisses ist erreicht, wenn in Grundrechte eingegriffen wird. Wir alle sind gefordert, nach unseren Kräften zu helfen. Das tun viele unserer Mitglieder auch. Sie lassen sich von uns beraten, was die Vermietung an Flüchtlinge betrifft. Ich bin mir sicher, dass man noch mehr privaten Wohnraum finden könnte, wenn man sich um die Eigentümer bemühen würde. Viele machen sich Sorgen wegen möglicher Sprachbarrieren oder weil sie nicht wissen, was passiert, falls es doch mal Ärger geben sollte. In Kiel hat Haus & Grund mit der Wohnungswirtschaft und der Kommune ein ,Bündnis für Flüchtlinge’ geschlossen, einen Mietvertrag entwickelt und so innerhalb kurzer Zeit mehr als 1000 Wohnungen akquiriert. Natürlich sind die Stadtstaaten ganz anders betroffen als eine Stadt wie Kiel, aber dennoch kann es nach unserer Ansicht nur freiwillig gehen, wenn man den sozialen Frieden in der Stadt nicht gefährden will.
Dem Sozialressort geht es aber offenbar vor allem um größere Notunterkünfte – deshalb ist der Blick auch auf die verwaisten Baumärkte gefallen.
Aber auch da muss man sich doch einigen können, statt gleich die Keule rauszuholen, weil die Eigentumsverhältnisse kompliziert sind. Und über kurz oder lang geht es natürlich auch um dauerhafte Wohnungen. Das wird doch niemals allein über die Gewoba oder die Stadt zu stemmen sein. Dazu braucht die Bremer Politik die Privaten, die über 70 Prozent aller Wohnungen in dieser Stadt finanzieren. Mit einem solchen Gesetz umwirbt man diese potenziellen Vermieter ganz bestimmt nicht.
Gibt es Ihrer Kenntnis nach überhaupt größere Immobilien in privater Hand, die für eine Beschlagnahme für Flüchtlinge infrage kämen?
Das kann ich nicht beurteilen. In Bremen gibt es kaum Leerstand bei Wohnungen, es gibt leer stehende Büroflächen, beispielsweise um den Hauptbahnhof. Aber ob die sich für eine Unterkunft eignen, das weiß ich nicht. Ich denke, die Politik sollte lieber die teils überzogenen bauordnungsrechtlichen Anforderungen überdenken. Es gibt genug bürokratische Hürden, die man angesichts der Raumnot wohl eine Zeit lang außer Kraft setzen könnte – meinetwegen durch eine Gesetzesänderung.
Das Gespräch führte Silke Hellwig
Zur Person: Bernd Richter (62) ist seit 26 Jahren Geschäftsführer des Eigentümerverbands Haus & Grund Bremen. Außerdem gehört er dem Präsidium von Haus & Grund auf Bundesebene an.
FDP dagegen, Linke dafür
In der sogenannten Frühstücksrunde des Senats wurde am Dienstag auch über die Änderung des Polizeigesetzes gesprochen. Damit soll – wie berichtet – die Stadt in die Lage versetzt werden, auch private Immobilien zu beschlagnahmen, um Flüchtlinge unterzubringen. Der Gesetzesentwurf von Sozialsenatorin Anja Stahmann, so ihr Sprecher Bernd Schneider, sei bei den Senatoren auf Zustimmung gestoßen. Allen Ressorts sei der Entwurf zugegangen. Er gehe davon aus, so Schneider, dass er im November den Senat passieren werde.
Momentan sei das Sozialressort nicht in der Lage, sich gezielt unter privaten Immobilien umzusehen, welche Gebäude überhaupt als Unterkunft infrage kommen. „Wir haben mit der aktuellen Lage alle Hände voll zu tun.“ Zudem, so Bernd Schneider, bekomme das Ressort von Bremern Gebäude gemeldet – zum einen von den Eigentümern selbst, aber auch von Nachbarn oder Passanten, denen Leerstände auffallen. Allen Hinweisen nachzugehen, sei derzeit auch nicht immer möglich, aber die Behörde bemühe sich darum.
Die FDP hat sich – wie bereits die CDU – gegen die Änderung des Polizeigesetzes gestellt. „Die Umsetzung dieses Plans wäre eine eiskalte Enteignung“, erklärte die Fraktionsvorsitzende Lencke Steiner am Dienstag in einer Pressemitteilung. Stattdessen solle die Politik nach einvernehmlichen Lösungen suchen. „Das Grundgesetz schützt Eigentum in Deutschland. Das Land Bremen darf daher nicht einfach hingehen und nach Lust und Laune und Immobilien in Beschlag nehmen“, so Steiner.
Eine andere Oppositionspartei, nämlich die bremischen Linken, hat bereits vor rund drei Wochen eine Große Anfrage mit dem Titel „Möglichkeiten der Zwangsbelegung bei Wohnungsnot“ eingereicht. „Dass der Senat seine bislang ablehnende Haltung zur Beschlagnahme von Immobilien innerhalb kurzer Zeit geändert hat, begrüßen wir natürlich“, so Claudia Bernhard, bau- und stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion. Allerdings, so die Linke, werde ein „,Max-Bahr-Gesetz‘ nicht reichen, das nur große Hallen für die unmittelbare Flüchtlings-Notunterbringung heranzieht“. Deshalb ist die Linke gegen eine Befristung des Gesetzes und gegen die Beschränkung auf Immobilien ab 300 Quadratmetern aufwärts.
Grundsätzlich sei es besser, wenn Gebäude für Flüchtlinge zur Verfügung stehen, als dass sie ungenutzt leer stehen, sagt Oliver Hasemann von der Zwischen-Zeit-Zentrale (ZZZ). Sie bemüht sich darum, leer stehende Immobilien zu vermitteln, damit sie zumindest eine Zeit lang genutzt werden können. „Wir stehen schon seit längerer Zeit mit der Stadt in Kontakt, um leere Gebäude für die mögliche Unterbringung von Flüchtlingen zu vermitteln“, so Hasemann weiter. Überdies starte im Oktober ein neues europaweites Projekt namens „Refill“, in das die ZZZ eingebunden sei. „Dabei wollen wir das Thema Flüchtlinge von Anfang an mitdenken.“
Auch Hasemann tut sich mit einer Einschätzung der privaten Immobilien schwer, in denen Flüchtlinge unterkommen könnten. Oft seien sie baulich dafür vermutlich einfach nicht geeignet.