Steffensweg. Noch keine zwei Monate ist es her, dass an der Gustav-Adolf-Straße die Möbeldesign-Werkstatt „Weserholz“ gestartet ist – und schon war nun nach mehreren Senatoren auch Bürgerschaftspräsident Christian Weber in der kleinen unscheinbaren Straße zu Besuch, um dieses ungewöhnliche Unternehmen näher kennenzulernen. Ende November hat Weserholz im bayrischen Landtag den mit 25 000 Euro dotierten „Hidden Movers Award 2017“ bekommen. Ausgelobt wird diese Auszeichnung von der Deloitte-Stiftung, die Bildungsinitiativen in Deutschland bekannter machen möchte. „In Bremen ist Weserholz nicht mehr ganz unbekannt“, freut sich Paula Eickmann, die das Unternehmen gemeinsam mit Tanja Engel führt. „Dass wir jetzt in Süddeutschland einen Preis bekommen haben, ist toll. Es freut uns natürlich, dass wir über Bremen hinaus Aufmerksamkeit erreichen.“
Weserholz will eine eigene Designsprache mit afrikanischen, arabischen und europäischen Nuancen entwickeln und ein Denkraum sein, in dem sich Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund auf Augenhöhe begegnen. Sechs Trainees – junge Erwachsene ohne langfristig gesicherte Aufenthaltsperspektive – können dort jeweils ein Jahr lang gemeinsam mit Tischlern und Designern handwerkliche Grundkenntnisse lernen, Deutschkenntnisse erwerben und für sich Lebensperspektiven entwickeln. Gerade hat Designer und Tischler Anselm Stählin mit den Trainees Figuren aus Draht gebogen, mit denen dann auf lichtempfindlichem Papier Bildergeschichten entstehen.
Mit dem Jobcenter und der Arbeitsagentur habe Weserholz bewusst nichts zu tun, erklärte Paula Eickmann bei seinem Besuch nun dem Bürgerschaftspräsidenten. Ihre sechs Trainees haben sie und ihre Mitstreiter über einen gambischen Verein und den Verein Fluchtraum gefunden. „Wir wollten bewusst eine Maßnahme schaffen, die anders ist als die der Arbeitsagentur.“ Denn für Menschen mit unsicherer Bleibeperspektive sei es schwierig, dort in eine Maßnahme hineinzukommen.
Ein ungewöhnliches Möbelstück
In den Räumlichkeiten an der Gustav-Adolf-Straße war schon früher eine Tischlerei ansässig, zuletzt eine Drechslerei. Deshalb gab es dort schon einige Geräte, die Weserholz übernehmen konnte. Jeweils einen halben Tag lang wird gemeinsam in der Werkstatt gearbeitet. „Wir versuchen dabei, von der traditionellen in die maschinelle Fertigung zu gehen“, erklärt Anselm Stählin. So hat die Gruppe gemeinsam einen Stuhl hergestellt. Das Möbel sieht ungewöhnlich aus. Es hat ein klobiges „Elefantenbein“ und ein dürres „Ameisenbein“, die Stuhllehne ist zur Hälfte rund und zur Hälfte eckig. Christian Webers Bewertung nach der Sitzprobe auf dem Massivholzmöbel: „Sehr gut. Aber schwer.“ Bei dem Entwurf hat jeder eine Anregung mit eingebracht, erklärt Trainee Kebba Mboge: „So kamen alle unsere Ideen zusammen.“ Der 19-Jährige spielt beim Blumenthaler SV und hat in der Bremen-Liga bereits für Aufsehen gesorgt. Für den Fall, dass es mit der Karriere als Profifußballer nicht klappt, will er einen „Plan B“ haben. An dem arbeitet er jetzt bei Weserholz. Denn nach der zwölfmonatigen Berufsvorbereitung können die Trainees eine Ausbildung zum Beispiel als Tischler oder Zimmermänner machen. Schon frühzeitig sollen dafür Kontakte zu Ausbildungsbetrieben geknüpft und zum Beispiel über Tandems deren Azubis gepflegt werden. „Wenn sie dort eine Ausbildung machen, begleiten wir die Jugendlichen weiter und unterstützen die Betriebe, um ihnen zu zeigen, dass sie mit Fragen oder Problemen nicht alleine sind“, sagt Tanja Engel.
Gerne würde Weserholz auch weibliche Trainees aufnehmen. „Das ist bisher allerdings an der Kinderbetreuung gescheitert“, erzählt Paula Eickmann, „denn eine 40-Stunden-Woche ist mit Kind schwierig.“ Neben der praktischen Arbeit haben die Trainees täglich Deutschstunden. Im Unterrichtsraum gleich neben der Werkstatt hängt unter der Decke ein Mobile, an dem verschiedene Körper aus Papier schweben: „Zylinder“, „Quader“, „Pyramide“, „Kegel“ ist darauf zu lesen. Bei der täglichen Arbeit in der Werkstatt ist Fachvokabular gefragt, erklärt Lehrerin Gesa Thießen. „Da ist es praktisch, dass wir auch direkt in die Werkstatt rübergehen können, wenn es zum Beispiel um die Bezeichnung bestimmter Werkzeuge geht.“ Für das Vokabellernen haben die Trainees außerdem Karten mit Fotos von ihnen selbst angefertigt. Ein Foto zeigt einen jungen Mann mit Hobel; auf der Rückseite wird das Verb „hobeln“ durchkonjugiert. Bewusst orientiere sich der Unterricht außerdem an den jeweiligen Interessen ihrer Schüler, so Thießen weiter.
Noch ist Weserholz in der Pilotphase; zwei Jahre lang wird das Projekt über die Aktion Mensch finanziert und stützt sich auf Preise und Auszeichnungen wie jetzt den Hidden Movers Award. Gleichzeitig will das Unternehmen mit dem Verkauf der selbst entworfenen Designmöbel finanziell unabhängiger werden. „Es soll aber nach zwei Jahren nicht den Bach runtergehen, sondern ein Sozialunternehmen sein“, sagt Tanja Engel. Auf dem Weg dorthin kann die junge Möbeldesign-Werkstatt mit Sicherheit Unterstützer brauchen. Christian Weber jedenfalls, der von 1984 bis Mitte der 90er Jahre Geschäftsführer der Jugendwerkstätten Bremen war, wirkte ziemlich angetan.
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