"Ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass unser Traum nun Wirklichkeit wird", sagt Uta Bohls von der Initiative "Ab geht die Lucie" beim Anblick der aufgewühlten Erde, die der große, gelbe Bagger Stück für Stück auf dem Lucie-Flechtmann-Platz freilegt. Seit einigen Tagen entfernen Bauarbeiter auf dem stattlichen Platz etwa zwei Drittel der Pflastersteine. Genau das war das Ziel des Urban-Gardening-Projekts "Ab geht die Lucie". Fünf Jahre haben sich die freiwilligen Stadtgärtner dort soziokulturell engagiert und gemeinschaftlich provisorische Hochbeete auf dem Beton angelegt. Immer in der Hoffnung, eines Tages an der Stelle in Mutterboden pflanzen, säen und ernten zu können.
Im Frühsommer soll es nun tatsächlich soweit sein, gibt Käthe Protze vom Planungsbüro "p+t Protze und Theiling" bekannt, das im Auftrag der Stadt die Umgestaltung koordiniert. "Wir wollten früher anfangen, konnten es aber wegen des kalten Frühlings nicht", so die Landschaftsarchitektin. Daher verzögere sich die Übergabe an die Initiative. Zunächst müssten die Bauarbeiter auch noch eine dicke Betonschicht im Untergrund entfernen und entsorgen. "Sonst wächst da keine Möhre", kommentiert Landschaftsplaner Christoph Theiling.
Einen Strom- und Wasseranschluss bekommen die Stadtgärtner auch noch gelegt. "Darauf freue ich mich besonders, dass wir das Gießwasser nicht mehr mühsam vom Hydranten holen müssen", sagt Bohls. Die Bausumme beträgt etwa 100 000 Euro und wird vom Bauressort finanziert.
Das, was an Betonsteinen jetzt noch an der Oberfläche zu sehen ist, darf nun bleiben und wird künftig eingerahmt von Beeten, Rasenfläche und Wegen, in denen das Regenwasser versickern kann. Nur vereinzelt liegen noch lose Pflastersteine auf dem Platz, die noch abtransportiert werden müssen. Uta Bohls hat einen davon weggeschleppt – als Andenken an den erfolgreichen Kampf für eine grüne Oase inmitten einer Betonwüste.
Verantwortung wiegt schwer
Doch so gut sich dieser Sieg anfühlt, so schwer wiegt offenbar auch die Verantwortung, die mit der Umgestaltung einhergeht. "Die Stadt hat in einem Nutzervertrag festgelegt, dass wir nach den groben Arbeiten für alles Weitere selbst verantwortlich sind: Reinigung, Aufbau, Instandhaltung – das ist viel für einen kleinen Verein wie uns, aber anders ging es leider nicht", erklärt Rebecka Schlecht aus dem "Kulturpflanzen"-Vorstand. Nun suchen die Ehrenamtlichen nach weiteren Mitmachern, die das Projekt mit Muskelkraft und Spenden unterstützen wollen. Und Schlecht verspricht: "Es bleibt ein öffentlicher Platz, den wir nicht einzäunen werden, denn das war schon immer unser Markenzeichen."
Trotz aller Hoffnung in diesen Tagen, bleibt auf dem Platz unübersehbar, dass das Projekt auch weiterhin mit Problemen zu kämpfen haben wird. Zahllose grüne Schnapsfläschchen liegen rings um die Baustelle – Hinterlassenschaften der Trinkerszene, die sich wie berichtet in Gruppen täglich auf dem Platz versammelt. "Der Uringestank hätte mich fast umgehauen als wir hier begonnen haben", berichtet der Polier der Baustelle, Thomas Umlauf. Ein Umstand, der das urbane Gärtnern besonders mit Kindern erheblich erschwert. Aufgrund vermehrter Beschwerden wegen Problemen mit der Szene hatte der Neustädter Beirat bereits 2017 interveniert. Das Gremium bezahlte eine Sozialarbeiterin, die sich ein halbes Jahr lang acht Stunden in der Woche um die alkoholkranken Menschen gekümmert hat. Mit Erfolg – die Stadtgärtner hatten in diesem Zeitraum bescheinigt, dass es durch die Betreuung friedvoller zugegangen ist als zuvor.
Als langfristige Lösung ist nun ein betreuter Unterstand für die Trinker auf dem Platz in der Diskussion. "Das wäre wichtig, bevor der Platz wieder bespielt wird", meint der Neustädter Sozialausschusssprecher Rainer Müller (SPD).
Die Verabredung zwischen Polizei, Beirat, Stadtgärtnern und Sozialressort ist jedoch, dass erst wieder ein professioneller Ansprechpartner für die Suchtkranken eingestellt und finanziert werden muss. "Erst in einem zweiten Schritt müssen wir dann besprechen, wo und ob ein Unterstand Sinn macht", erklärt Bertold Reetz von der Inneren Mission auf Nachfrage. 20 000 Euro für einen Sozialarbeiter sei bereits beim Projekt der Wirtschaftsbehörde "Lokale Arbeit für soziale Zwecke" (LOS) beantragt. Die Sozialbehörde habe zugesagt, den Restbetrag für eine halbe Stelle zu finanzieren, sollte der Antrag für ein Jahr bewilligt werden. "Insgesamt stehen die Chancen also sehr gut, dass wir im Frühsommer starten können, damit sich wieder jemand um die alkoholkranken Menschen kümmern und deeskalierend dort eingreifen kann", zeigt sich Reetz zuversichtlich.