Überseestadt. Die Geschichte der Zuwanderung ist ein wesentlicher Teil der Bremer Historie. Das ist eine Tatsache, die das Focke-Museum, Bremens Museum für Landesgeschichte, nun in einem offiziellen Vertragsdokument fixiert hat. In den kommenden Jahren soll die Migrationsgeschichte aufgearbeitet und für die Museumsbesucher anschaulich aufbereitet werden. Vertragspartner der Museumshistoriker ist das Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien (Zis) in der Überseestadt. Schon seit 36 Jahren baut der gemeinnützige Verein Brücken für Menschen aus anderen Ländern, damit sie in Bremen Wurzeln schlagen und einheimisch werden können. In guten wie in schlechten Zeiten, von der Kindheit bis ins hohe Alter. Und vor allem Letzteres ist ein Schwerpunkt, der dem Vereinsvorsitzenden Ali Elis besonders am Herzen liegt.
Der 1981 gegründete Verein etablierte sich zunächst in Gröpelingen: Dort, wo die meisten Gastarbeiter zu Hause waren, wo die Werften und die Stahlwerke reichlich Arbeit boten, wurde ein Kulturladen eröffnet, es wurden Deutschkurse und Lehrerfortbildungen organisiert, Angebote für Jugendliche geschaffen und ein Netzwerk mit engagierten Menschen, Vereinen und Institutionen geknüpft. Später dann, als die Werften geschlossen und ihre Mitarbeiter entlassen hatten, vermittelte das Zis Ausbildungsmaßnahmen und Fortbildungen und half bei Bewerbungen und Jobsuche. Im Rückblick sei er noch immer begeistert von der Art, wie Gröpelingen mit der Krise und den besonderen Problemstellungen umging und umgeht, sagt Ali Elis. „In Gröpelingen gibt es eine aktive Bewältigungsstruktur. Die Leute sind kreativ, packen an, haben gelernt, multikulturell zu agieren. In anderen Stadtteilen wäre das Geschrei viel größer.“
Begegnungen ermöglichen
Die wissenschaftliche Forschung zum Thema ist der eine Schwerpunkt des Sozialpädagogen und seiner Kolleginnen und Kollegen – die ganz praktische Lebenshilfe vor Ort der andere: „Wir wollen Begegnungen ermöglichen, durch Bildungsarbeit in den Stadtteilen Türen und Tore öffnen für Zukunftsperspektiven“, erklärt Elis. Über Kurse, Workshops, Vorträge und Gesprächskreise schafft der staatlich anerkannte Kinder-, Jugendhilfe- und Integrationskurs-Träger Begegnungsorte in diversen Quartieren der Stadt. Ein Beispiel: Die Kreativwerkstatt, in der ältere türkische und deutsche Frauen gemeinsam Adventskränze basteln. „Wenn ich sehe, wie die Musliminnen nicht nur mit Begeisterung mitmachen, sondern ihre Kränze auch ganz stolz mit nach Hause nehmen: Das ist so toll!“
Im Jahr 2014 zog das Zis von der Waller Heerstraße in die Alte Stauerei an der Cuxhavener Straße 7. Mittlerweile beansprucht der Verein zwei Etagen des Hauses: Hier laufen täglich mehr als ein Dutzend Integrationskurse, insgesamt 7000 Deutschstunden pro Jahr für rund 500 Menschen aus 36 Nationen, mit ganz unterschiedlichen Biografien und Bildungsvoraussetzungen. „Hier gab es noch nie eine Auseinandersetzung, noch nicht einmal einen bösen Blick“, berichtet der Vereinsvorsitzende stolz. Dies, und die hohe Erfolgsquote bei den Zertifikaten begründet er mit der freundschaftlichen Atmosphäre und dem „lächelnden“ Klima des Hauses. „Wir können beweisen: Wenn man einen wohlwollenden Ort anbietet, und vorurteilslose Unterstützung, kann Integration gelingen.“ Die Geschichte der Migration: Das sind vor allem die persönlichen Lebenswege der Menschen, die vor vierzig, fünfzig Jahren nach Deutschland kamen. Aus den Erinnerungen und Erfahrungen von fünfzig Männern und Frauen, die beispielhaft für Tausende stehen, entstand die kleine Ausstellung „Mit den Händen in Bremen, mit den Füßen im Bosporus“, die im Mai dieses Jahres im Hafenmuseum Speicher XI eröffnet wurde. Durch die Partnerschaft mit dem Focke-Museum erhoffe er sich eine Weiterentwicklung des Bremer „Erinnerungsorts Migration“, erklärt Elis: „Die Lebensleistungen dieser Menschen wurden nie gewürdigt – auch nicht von ihnen selbst und in ihren Familien. Sie sollen endlich mit Stolz darauf zurückblicken, was sie alles geschafft haben.“
Die erste Generation der Gastarbeiter ist nun alt geworden und mit denselben Problemen konfrontiert wie alle anderen älteren Menschen auch. Für sie richtete das Zis vor acht Jahren die Kontaktstelle für ältere Migrantinnen und Migranten ein. Sie bietet im Stiftungsdorf Gröpelingen muttersprachliche Beratung bei Fragen zu Pflege und Demenz, zu Hilfen im Alter, vor allem aber auch Angebote gegen die Einsamkeit und Isolation. „Köprü“ – „Brücke“ – nennt sich das Angebot, das das Zis in Kooperation mit dem Sozialressort vorhält. Das Stiftungsdorf ist für Elis ein Idealfall einer solchen Brücke: In der Einrichtung der Bremer Heimstiftung leben Seniorinnen und Senioren mit und ohne Migrationshintergrund, mitten im Leben, in guter Nachbarschaft mit Kindern, Künstlern und behinderten Menschen. An bezahlbaren Einrichtungen für ältere Migrantinnen und Migranten, die häufig mit einer kleinen Rente auskommen müssen, fehle es in allen Stadtteilen, weiß der Zis-Geschäftsführer. Auch der Bedarf an Tagespflegeplätzen sei allenthalben groß – und besonders selten seien darunter „kultursensible“ Angebote, in denen auf die besonderen Bedürfnisse von Senioren mit Migrationshintergrund eingegangen werden kann. Gerne würde sich das Zis bei engagierten Trägern einbringen, sagt Elis: „Wir wollen nicht nur Forderungen stellen, sondern können aktiv bei der Umsetzung unterstützen.“
Bei ihm begann das Interesse an dieser menschlichen Materie lange, bevor der Begriff Integration in den allgemeinen Sprachschatz gelangte. Anfang der 1970er-Jahre war er aus der Türkei nach Bremen gekommen, um an der Hochschule für Künste Grafikdesign zu studieren. Für ein Forschungsvorhaben begleitete er einen Tag lang eine türkische Gastarbeiterfamilie, erzählt er. „Ich wollte wissen: Wie leben die hier, wie bewältigen die das?“ Der Film und die begleitende Ausstellung, die aus diesem Studienprojekt entstanden, sind ein Zeitdokument, das zurzeit im Rahmen der Ausstellung „Bremen nach ´68“ im Focke-Museum zu sehen ist. Seine forschende Neugier an den Menschen hatte für Elis berufliche Konsequenzen: Er sattelte vom Design auf die Sozialpädagogik um und arbeitete anschließend 36 Jahre lang als „Case Manager“ für das Amt für Soziale Dienste. Doch auch im Ruhestand sind die Arbeitstage des 66-jährigen Brückenbauers gut gefüllt. „Ich liebe diese Stadt und bin dankbar, dass diese Gesellschaft so viele Hilfestellungen bietet“, betont er. „Darum will ich meinen Beitrag leisten.“