Philine Schubert hat es geahnt. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir den Hauptpreis bekommen“, sagte die Leiterin der Kinderschule Bremen in Hastedt, als die ersten Platzierungen im Finale des Deutschen Schulpreises verkündet wurden. „Aber vielleicht reicht es ja für einen der zweiten Plätze.“
Inmitten von Dritt- und Viertklässlern saß sie an diesem Mittwochvormittag im Essraum der Schule auf einem viel zu kleinen Stuhl und verfolgte auf einer großen Leinwand die Live-Übertragung aus Berlin. Am Ende musste sich die Kinderschule mit einem Anerkennungspreis begnügen, erhielt aber viel Beifall. Auch von Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD), die bei der Übertragung in der Schule kräftig mitgefiebert hatte. „Allein schon die Nominierung ist eine Anerkennung für die tolle pädagogische Arbeit, die hier geleistet wird.“
Im Februar hatte sich die Kinderschule um den mit insgesamt 270.000 Euro dotierten Schulpreis 2020 beworben. Jedes Jahr vergeben die Robert-Bosch-Stiftung und die Heidehof-Stiftung die Auszeichnung an die 15 besten Schulen in Deutschland. Es gibt einen Hauptpreis in Höhe von 100.000 Euro, jeweils 25.000 Euro für die fünf zweitplatzierten Schulen sowie je 5000 Euro für die neun verbleibenden Finalteilnehmer. Doch um überhaupt nur in die Top-Auswahl zu gelangen, musste die Kinderschule einen langen und steinigen Weg bewältigen.
Mehr als 80 Schulen waren ins Rennen gegangen, nach einer ersten Vorauswahl blieben noch 50 übrig. Von diesen 50 kamen zunächst 20 in die engere Wahl, in einem letzten Durchgang wurde deren Zahl dann auf 15 reduziert. In dieser Phase nahm eine Auswahlkommission die kleine Reformschule mit ihren 100 Schülerinnen und Schülern, sieben Lehrkräften sowie je fünf pädagogischen Mitarbeitern und Assistenzkräften ausgiebig unter die Lupe.
Der Hauptpreis ging nach Hannover
Den positiven Eindruck bekräftigte Vorjurorin Silvia-Iris Beutel, Professorin für Schulpädagogik an der TU Dortmund. Sie könne nur wiederholen, was ein Elternteil ihr gesagt habe. „An dieser Schule werden die Kinder nicht in eine Zeitpresse gesteckt.“
Der Hauptpreis ging diesmal an eine Grundschule in Hannover, die Otfried-Preußler-Schule – Philine Schubert hatte schon damit gerechnet. „Die machen einfach hervorragende Arbeit.“ Doch es hätte auch anders kommen können. „Die Entscheidung war super-knapp“, sagte Silvia-Iris Beutel. Die Kinderschule sei in sämtlichen Bereichen „sehr hoch bewertet“ worden. „Ihr seid unsere Gewinner der Herzen“, lautete ihr Trost an die Adresse der Schülerschaft. Ein weiterer Wermutstropfen ist die abgesagte Berlin-Reise. Wegen der Corona-Pandemie war die für Ende Mai angesetzte Preisverleihung ausgefallen, das jetzt nachgeholte Online-Format war so eigentlich nicht vorgesehen.
In der Bremer Schullandschaft nimmt die Kinderschule eine Sonderstellung ein. Ihre Anfänge reichen zurück bis 1980, als eine Elterninitiative die Freie Ganztagsgrundschule ins Leben rief. Seit 1993 hat die Kinderschule den Status einer staatlichen Modellschule im bremischen Schulsystem, inzwischen läuft an der Schule auch ein Modellprojekt für Assistenz. Ihr reformpädagogisches Konzept basiert auf altersgemischten Lerngruppen, Inklusion, geschlechtsspezifische Angebote und einen durchmischten Tagesablauf. Ein wichtiger Bestandteil der Schulphilosophie ist der angebotsorientierte Unterricht. „In der Kinderschule wird Lernen nicht erzwungen, sondern angeboten“, heißt es dazu auf der Website der Schule.
Für Sona Terlohr war der Nominierungserfolg ein Motivationsschub. Als Mitglied der Gründungsinitiative Jugendschule will sie die schon angelaufenen Pläne für eine inklusive Oberschule jetzt noch einmal intensivieren. „Mit der Jugendschule möchten wir die inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung in Bremen voranbringen“, sagt Terlohr. Es gibt aber auch noch andere Gründe. „Den Übergang von der vierten in die fünfte Klasse erleben wir als Bruch“, sagt Schulleiterin Schubert, die sich lieber als Teil eines „multiprofessionellen Teams“ sieht. Der Standort der neuen Schule ist allerdings noch ungewiss, ebenso die Zeitschiene für die Schulgründung.
Der Lohn für die Nominierung
Obschon die Kinderschule höchste Weihen nicht erreicht hat, geht sie nicht leer aus. Als Lohn für die Nominierung erhält die Schule eine zweijährige Fachbegleitung, um Ideen weiterzuentwickeln. Mit dem Trostpreis – oder besser: Anerkennungspreis, wie die offizielle Sprachregelung lautet – will Schubert den Außenbereich umgestalten. Von den 5000 Euro sollen Nutzgärten angelegt werden, damit die Kinder säen und ernten können, zusätzlich ist ein Parcours geplant.
Was mit den beiden überreichten Infotafeln geschieht, ist noch nicht geklärt. Für die größere hält man Ausschau nach einem Ehrenplatz. Wenn der gefunden ist, würde Senatorin Bogedan sogar mithelfen, die Löcher zu bohren.
Hauptpreis nach Hannover
Den Hauptpreis des Deutschen Schulpreises 2020 hat die Otfried-Preußler-Schule aus Hannover erhalten. Als Preisträger landeten fünf Schulen auf dem zweiten Platz: die Berufsbildenden Schulen Einbeck (Niedersachsen), die Grundschule Schuttertal, die Hardtschule Durmersheim (beide Baden-Württemberg) sowie das Gymnasium Essen Nord-Ost und die Marie-Kahle-Gesamtschule der Stadt Bonn (beide Nordrhein-Westfalen).
Seit der ersten Preisverleihung 2006 wurden insgesamt 85 Schulen ausgezeichnet, darunter als Preisträger auch sechs Schulen aus dem Bundesland Bremen, zuletzt die Gesamtschule Bremen-Ost (2018) und die Grundschule Borchshöhe (2017).