Ein wenig abgelegen ist das Gelände schon, auf dem „Die komplette Palette“ ihr Bergfest feiert – nur ein paar abgestellte Fahrräder an den Rändern und vereinzelte Fußgänger weisen den Weg im ansonsten verwaisten Hemelinger Hafen. Am Ende des Arberger Hafendamms, direkt an der Weser, befindet sich das Gelände „Baywatch“, auf dem der Bremer Musiker Immo Wischhusen eine temporäre Bühne aus über 100 Europaletten gebaut hat.
An diesem Tag wird das inoffizielle Bergfest gefeiert – eine bunte Mischung aus Konzerten, die von House über Reggae und Hip-Hop zu Techno reicht. Mindestens ebenso bunt ist das Publikum, das es sich am Nachmittag bei hochsommerlichen Temperaturen auf Möbeln aus Paletten, auf Decken und alten Turnmatten gemütlich macht. Kinder spielen im Sand oder erkunden das Gelände, Babys mit Kopfhörern werden gewiegt, Heranwachsende treffen ihre Freunde, und Erwachsene wippen zu den Beats der Reggae-Band Lion Fullah.
Fantasievoll sehen auch die weiteren Bauten neben der Bühne aus: ein wild gezimmerter Mini-Aussichtsturm, ein kleines Bretterhäuschen mit einer ausgedienten gelben Rutsche. Dazwischen selbst angelegte Beete, in denen Stockrosen blühen, vereinzelt öffnen sich die Sonnenblumen. Eine Idylle, die man in dem von Gewerbe geprägten Gebiet gar nicht vermuten würde.

Aussichtsplattform und Schattenspender zugleich.
So wild und anarchisch das Ganze aussehen mag: Auch hier mussten zahlreiche Auflagen erfüllt und Anlagen technisch abgenommen werden. Eine Auflage der Feuerwehr: Es dürfen nur 199 Personen das Gelände direkt an der Weser betreten, und natürlich müssen ausreichend Toiletten vorhanden sein. Zusätzlich musste aus Sicherheitsgründen ein Zaun zur Weser errichtet werden – in Hemelingen ein Sicherheitsproblem, auf der Breminale offensichtlich nicht.
Aber dies alles ficht Immo Wischhusen nicht mehr an, er ist glücklich und zieht zur Halbzeit seines Projekts ein positives Zwischenfazit. „Ich bin glücklich, dass aus einer Idee mit Hilfe vieler Freiwilliger Realität geworden ist.“ Der Mai sei zwar noch geprägt gewesen vom Zuständigkeitswirrwarr der Behörden. „Aber wir haben Unterstützung vom Ortsamtsleiter, von der Baubehörde und von der Zwischenzeitzentrale (ZZZ) bekommen – ohne die wäre das Ganze nicht möglich gewesen“, sagt Immo Wischhusen. Das Feedback der Besucher sei überaus positiv. „Das Publikum ist bunt gemixt, und die Gäste sind begeistert von dem verträumten, märchenhaften Ort. Dass es so was gibt, glaubt man ja nicht, wenn man erst mal kilometerlang den Hafendamm langschleicht“, sagt Immo Wischhusen.
„Das belebt die Stadt“
Unter den Besuchern sind an diesem Tag Marina Kondraschewa und ihre einjährige Tochter Klara. „Ich finde solche temporären Projekte super“, sagt die Diplom-Klavierpädagogin und Pianistin. „Das belebt die Stadt.“ Und: „Ich war vorher noch nie hier in der Gegend, ich wollte schon fast umdrehen, als der Weg kein Ende nahm, aber so lernt man auch mal andere Stadtteile kennen.“ Außerdem sei es doch mal was Außergewöhnliches für die Kinder. „Man muss ja nicht immer auf den Spielplatz gehen“, sagt die junge Frau aus dem Viertel.

Lion Fullah boten mitreißenden Reggae-Sound im sonst eher stillen Hafengelände.
Eine finanzielle Unterstützung von der Kulturbehörde gab es für das Projekt übrigens noch nicht. Immo Wischhusen musste ins Risiko gehen und in Vorleistung treten. Er taxiert die Kosten des gesamten Projekts auf knapp 10000 Euro. „Ein Förderantrag, den ich im Oktober vergangenen Jahres gestellt habe, ist jetzt im Juni abgelehnt worden“, berichtet er. In der Zeit habe er sich hingehalten gefühlt. „Aber darauf konnte ich nicht warten.“ Nun ist er auf Spenden angewiesen, um die Kosten wieder reinzubekommen, denn der Eintritt ist kostenlos.
Und ohne die Freiwilligen am Einlass, an den Tresen und auf der Bühne würde es nicht gehen. Unter den Freiwilligen ist Michel Söhnlein aus Woltmershausen, der an diesem Tag zusammen mit seinem Bruder und einer Freundin Essen vorbereitet hat und gegen Spende an das Publikum verteilt. „Ich bin hier abends einmal vorbeigefahren, weil ich Immo aus alten Viertelzeiten kenne und da waren die hier noch wild am bauen“, sagt der gelernte Koch. „Und nun werde ich das Projekt den Sommer begleiten“, sagt Michel Söhnlein. Er plane derzeit eine mobile Suppenküche, mit der er auf Festivals gehen wolle. „Da ist das hier ein schöner Start für mich.“ Er habe eben Lust, dort zu sein, wo Leute sind, wo was los ist. „Für mich ist das ein guter Ausgleich.“
Nach den anfänglichen Problemen mit rechtlichen Auflagen, die den Start des Projekts verzögert hatten, gibt es nun also kaum noch Probleme. Und auch dem Ortsamt sind nur sehr vereinzelt Beschwerden zu Ohren gekommen, wie Jörn Hermening auf Nachfrage mitteilte. Überhaupt verursachen die inzwischen genehmigungsfähigen Freiluftpartys in Hemelingen, zum Beispiel am Hemelinger See, offensichtlich keinen oder nur sehr geringen Ärger. „Bisher ist alles gut gelaufen und es gab keine großen negativen Rückmeldungen“, sagt Jörn Hermening. Ansonsten würde man einschreiten. Auch Beiratssprecher Uwe Jahn (SPD) und Beiratsmitglied Gerhard Scherer (CDU) hatten sich auf einer Party angeschaut, was die jungen Menschen im Stadtteil so treiben – und waren zufrieden. „Das war gut organisiert und nicht übermäßig besucht“, sagt Beiratssprecher Uwe Jahn. Am nächsten Tag sei er noch mal vorbei gefahren. „Da deutete nichts darauf hin, dass da eine Party war.“ Bisher habe es keine Beschwerden gegeben.

Marina Kondraschewa und Tochter Klara genießen den sommerlichen Trubel an der Weser.
Für Immo Wischhusen steht fest, dass die „Palette“ auch im kommenden Jahr wieder aufgebaut wird. Vorzugsweise an einem Standort, an dem er ein wöchentliches Programm anbieten kann – das ist auf dem Gelände in Hemelingen nicht möglich. „Ich möchte zum Beispiel gerne Kino- und Theaterabende machen – nicht nur Konzerte“, sagt der Musiker, der in Osterholz aufgewachsen ist. „Stadtteile mit Weserzugang können sich schon mal bewerben“, lacht er.
Für die zweite Hälfte der „Palette“ steht im August ein Rap-Workshop gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Wilhelm-Olbers-Schule an. „Wir werden hier im Studio vor Ort die Beats und die Texte produzieren und dann hier auf dem Sommerfest Ende August aufführen“, sagt Immo Wischhusen über das Rap-Projekt, das er gerne im kommenden Jahr im größeren Umfang fortsetzen möchte. Im September ist dann endgültig Schluss – die „komplette Palette“ wird abgebaut, eingelagert und 2017 an anderer Stelle neu eröffnet.
Das nächste Konzert am Arberger Hafendamm gibt es am Sonnabend, 13. August. Ab 14 Uhr spielt unter anderem die Reggae-Band „Dub Rockers“ auf der „Kompletten Palette“.