Oberneuland. Ein stattlicher, älterer Herr mit weißem Rauschebart in einem roten Gewand, so stellen sich Kinder in Russland Väterchen Frost vor. Er ist sozusagen eine Art russischer Weihnachtsmann und als solcher eine ebenso populäre Figur. In Russland bringt er den Kindern zur Neujahrsnacht die Geschenke. Ihm zu Ehren hat der deutsch-russische Verein Bremja auch in diesem Jahr wieder ein Kinderfest veranstaltet. Im Rahmen des Festes haben fünf- bis 17-jährige Schülerinnen und Schüler jetzt ein klassisches Märchen in russischer Sprache aufgeführt. Die Aufführung, bei der die Kinder ihre selbst gebastelten Kostüme genau wie die eigens einstudierten Musik- und Tanzeinlagen präsentierten, fand in der Aula des Ökumenischen Gymnasiums in Oberneuland statt.
Laura Jagodin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Anatoli Jagodin vor rund 20 Jahren den deutsch-russischen Verein Bremja gegründet hat, sitzt bei der Generalprobe in der ersten Reihe. Auch wenn sie nicht auf der Bühne ist, hält sie das nicht davon ab, theatralisch zu gestikulieren und leidenschaftlich mitzusingen. Sie lebt das Schauspiel der Kinder förmlich mit – und die sieben Engel auf der Bühne beweisen Ausdauer: Auch wenn Jagodin jedes Mal einschreitet, sobald ihr etwas nicht gelungen scheint, bleiben die Mädchen konzentriert und gut gelaunt bei der Sache. Während die Mädchen auf der Bühne öfters ihr Spiel unterbrechen und aufs Lächeln hingewiesen werden, fällt ihnen zwischen den Szenen das Lachen nicht schwer. Offenbar vertrauen sie Jagodin, die auch den Verein Bremja leitet. Das liegt wohl nicht nur an der gemeinsamen russischen Sprache, in der sie sich verständigen, sondern auch an der Erfahrung von Laura Jagodin. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass die Deutschrussin in der Weihnachtszeit Väterchen Frost auf die Bühne bringt.
Und Bremja will nicht nur russische Wintermärchen in Deutschland präsentieren, sondern darüber hinaus auch zwischen der deutschen und der russischen Kultur vermitteln. Der Name, so hat es sich der Verein auf die Fahne geschrieben, soll ein „Ja“ zu Bremen sein und gleichzeitig ein „Ja“ zur russischen Kultur. Laura und Anatoli Jagodin haben den Verein 1998 gegründet. Sie hatten damals selbst kleine Kinder, berichten sie. Die beiden wollten ihnen eine Möglichkeit bieten, sich mit ihrer russischen Muttersprache auseinanderzusetzen. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, davon ist Laura Jagodin überzeugt, können sich besser integrieren und erlangen eine höhere Fremdsprachenkompetenz. „Es geht uns vor allem darum, den Kindern einen hohen Bildungsstand weiterzugeben und ihnen ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen“, sagt sie.
Rund 250 Kinder in den Schulen
Aus diesem Grund betreibt der Verein in Oberneuland, in der Vahr und in der Neustadt jeweils eine Russische Schule. Insgesamt nehmen bremenweit rund 250 Schülerinnen und Schüler dieses Angebot wahr. Auch die Jagodins sind Teil des Lehrerkollegiums. Unterrichtet werden die Kinder und Jugendlichen vor allem in russischer Literatur und russischer Geschichte. Der Unterricht findet fast ausschließlich sonnabends neben dem regulären Schulbetrieb statt.
„Ich kann jetzt gut auf Russisch schreiben und lesen“, sagt Andreas Lindt. Der 17-jährige Schüler ist dankbar, eine der russischen Schulen besucht zu haben. Seine Schwester Elvira sieht es ähnlich. „Wir haben Literatur gelesen, die wir sonst nicht gekannt hätten“, sagt die 14-Jährige. Die Schule helfe dabei, die eigene Herkunft besser zu verstehen. Allerdings, so Elvira weiter, sei der Unterricht am Sonnabend auch eine zusätzliche Belastung: „Ich glaube, in einem gewissen Alter realisiert man, dass die anderen frei haben und man selbst nicht, dass es eben auch extra Arbeit ist.“ Mittlerweile haben beide – trotz des unterschiedlichen Alters - die Schule erfolgreich abgeschlossen.
Bei vielen Schülern, sagt Laura Jagodin, sei nur noch ein Elternteil russisch. Oft sei es dann auch nur noch die Großmutter, die unmittelbar russische Wurzeln habe. „Viele der Kinder, die vor 20 Jahren bei uns angefangen haben und heute sehr erfolgreich sind in ihrem Beruf, bringen jetzt ihre eigenen Kinder zu uns“, berichtet die Vereinsvorsitzende. Selbst aus Delmenhorst, Oldenburg und Bremerhaven kämen Kinder und Jugendliche nach Bremen, um samstags am Russischunterricht der Schulen teilzunehmen.
Neben den russischen Schulen organisiert der Verein aber auch zahlreiche andere Projekte. Dazu zählen Elterngesprächskreise, psychologische Familienberatungen sowie literarische Abende. Der Verein steht zudem in engem Kontakt mit Künstlern und Professoren von Musikhochschulen in St. Petersburg, Moskau und Kiew. Auch Konzertreihen wie „Klassik für Kinder“ werden regelmäßig von Bremja-Mitgliedern organisiert. Für die Zukunft, erzählt Anatoli Jagodin, sei auch noch die Gründung eines bilingualen Kindergartens angedacht
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