Jesus am Kreuz, der Altar, drei Bänke und ein großer Tisch, mehr Mobiliar erinnert nicht an die eigentliche Nutzung der Heilig-Geist-Kirche in der Vahr. Das Gotteshaus an der August-Bebel-Allee ist so gut wie leer geräumt, um neuen Möbeln Platz zu machen: großen schwarzen Regal-Elementen in Quaderform und rollbaren Kleiderständern. In Zukunft wird hier fünf Mal pro Woche ein „Marktplatz der Begegnung“ stattfinden, so die offizielle Bezeichnung für ein Konzept, das in Bremen bislang einzigartig ist.
In den großen Raum wird zum Schlendern und Verweilen eingeladen. Auf 270 Quadratmetern ist Platz für Gespräche und auch für einen anderen Austausch: Die Heilig-Geist-Kirche ist eine neue Adresse für Secondhand-Kleider und Haushaltsgegenstände. Ob Spielzeug, Kinder- und Erwachsenenkleidung, Vasen, Töpfe oder Bücher – für alle diejenigen, die ihren Geldbeutel schonen möchten oder die Haltung haben, gute Sachen weiterzuverwenden, bietet der Marktplatz die Gelegenheit, fündig zu werden. Gegen eine geringe Spende, etwa fünf Kindersachen oder zwei T-Shirts oder eine Bratpfanne für je einen Euro, gehen die Sachen in die zweite Hand.
Der Erlös der Spenden ist ausschließlich für soziale Zwecke gedacht, zum Beispiel für den kostenlosen Mittagstisch „Mahlzeit“ und die Schuldnerberatung der Inneren Mission.
Die Evangelische Kirchengemeinde in der Vahr ist die erste Gemeinde in der Hansestadt mit der Nutzung einer Kirche mit modernen Möbeln in urbanem Stil in dieser besonderen Form. „Wir gehen bundesweit einen ganz neuen Weg“, erklärt Christoph Buße. Dem studierten Diplompädagogen und diakonisch-pädagogischen Mitarbeiter fallen viele Stichwörter ein, warum er sich für diese Ausrichtung entschieden hat, zum Beispiel Klimaschutz, oder im Sinne der Kirche Wahrung der Schöpfung, sowie Nächstenliebe. „Die einen brauchen etwas nicht mehr, die anderen können es gut gebrauchen“, führt er aus.
Der Mitgliederschwund der Evangelischen Kirchengemeinde in der Neuen Vahr, ein Zusammenschluss der Heilig-Geist-Kirche, Christuskirche und Dreifaltigkeitskirche, tat sein Übriges, einen Anstoß zum Umdenken zu geben. Allein im vergangenen Jahr traten 300 der 5600 Mitgliedern aus.
Andachten und Gottesdienste wird es in der Heilig-Geist-Kirche jedoch nach wie vor geben. In dem Drittel der Kirche, wo Bänke in U-Form um einen großen Tisch gestellt sind, findet nicht nur weiterhin der sonntägliche Kindergottesdienst statt. Vierteljährlich sind ein Feierabendmahl-Gottesdienst sowie ein Marktplatz-Gottesdienst geplant, so Buße. Der Plan, wie viele Andachten noch hinzukämen, müsse im Laufe der Zeit entwickelt werden.
Ein Jahr Vorbereitung liegt hinter der Umsetzung der Marktplatz-Idee. Da das Gotteshaus unter Denkmalschutz steht, war die Umgestaltung kein leichtes Unterfangen. Die alten Bänke etwa müssen erhalten bleiben, um für eine eventuelle Rückgestaltung des Gotteshauses zur Verfügung zu stehen. Sie lagern nun im Keller der Christuskirche ein, berichtet Buße, der den Transport der sieben Meter langen Möbel koordiniert hat. Fünf Konzepte wurden durchgespielt, bevor das endgültige feststand, mit Inseln aus gestapelten Regalen im Raum sowie Regalen am Rand, Kleiderständern auf Rollen und drei Lounge-Bereichen auf der Empore zum Schnacken und um das Treiben zu beobachten – ein mobiles Konzept, das sich je nachdem wie und in welcher Form es angenommen wird, verändern lässt. Nicht nur die erwachsenen Besucher sind aufgefordert, mit dem Nachbarn oder Leuten aus anderen Stadtteilen ins Gespräch zu kommen. In einer Spielecke mit Puppenhaus und Spielsteinen haben Kinder die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen.
Die Kosten für die Ausstattung in Höhe von 50 000 Euro hat die Bremische Evangelische Kirche übernommen. Gefüllt werden die Regale ausschließlich von stetig benötigten Spenden aus ganz Bremen, „die für Leute aus ganz Bremen gedacht sind“, betont Buße, der sich wünscht, dass das Angebot nicht nur von Menschen aus der Vahr angenommen wird. Zwei ehrenamtliche Beschäftigte kümmern sich während der Öffnungszeiten um die Annahme der Spenden, sichten die Dinge auf dem Altartisch und sortieren sie ein oder hängen sie auf. 80 Prozent der Spenden seien beschädigt oder verschlissen, jedenfalls leider nicht mehr zu gebrauchen, äußert der Diakon sein Bedauern und zugleich den Wunsch, nur Sachen abzugeben, die noch gut für eine zweite Nutzung sind.
Der Marktplatz ergänzt die Angebote der Sozialdiakonie „Vahr-eint“ mit den praktischen Hilfen, Beratung, Treffpunkten, der Hausaufgabenhilfe und der Fahrradwerkstatt. Diese arbeitet nicht nur eng mit dem Kindergarten der Gemeinde, dem benachbarten Mehrgenerationenhaus und der Inneren Mission zusammen, sondern auch mit dem Projekt „Mahl-Zeit“ als Partner. Die bisherige Kinderkleider- und Spielzeugkammer von „Mahl-Zeit“ schließt mit der Öffnung des Marktplatzes. In dem kleinen Häuschen zwischen Heilig-Geist-Kirche und Familien- und Quartierszentrum am Karl-Kautsky-Kreisel wird künftig die Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt ihr Zuhause haben.
Los geht es mit dem „Marktplatz der Begegnung“ am Freitag, 25. Mai, um 17 Uhr. Zur Eröffnung gibt es selbst gemachtes Essen der Teilnehmer des „Familiendonnerstags“, eine Modenschau der „Rainbow Fashion Ladies“ und einen Auftritt des Tanzprojektes „Wir sind Bruder und Schwester“ mit 60 kleinen Tänzern und Tänzerinnen aus 24 Nationen.
Weitere Informationen
Der Marktplatz für Begegnungen in der Heilig-Geist-Kirche, August-Bebel-Allee, ist montags, dienstags und donnerstags von 10 bis 12 Uhr, mittwochs von 13.30 bis 16 Uhr und sonntags von 11 bis 14 Uhr geöffnet, in den Ferien nur sonntags. Sachspenden können während der Öffnungszeiten abgegeben werden. Weitere Informationen erteilt Christoph Buße unter Telefon 0162/731 34 52 und per E-Mail an busse@kirche-bremen.de.