Ostertor. Die Rolle der Kunsthalle und der Kunsthochschule in der NS-Zeit harrt noch der Aufarbeitung. Obwohl im Staatsarchiv und im Archiv der Kunsthalle zu diesem Thema aussagekräftiges Material liegt. In seinem Vortrag in der "Marxistischen Abendschule" (Masch) in der Villa Ichon schlug der in Woltmershausen lebende Journalist Arn Strohmeyer kurz nach der Wiedereröffnung einen Bogen von der Ideengeschichte der alten Worpsweder Schule zur Geschichte der Kunsthalle und der Kunsthochschule.
Die Kunst der ersten Worpsweder Malergeneration hatte demnach schon völkische Substanz. Protest gegen Akademien, Aufbruch in die Natur, Zivilisationskritik und Auflehnung gegen die Moderne - dafür stand auch Julius Langbehns (1851-1907), einer der bedeutendsten Vertreter völkischer Ideologie. Die Kräfte und Werte des Volkes, vor allem auch der Bauern "Niederdeutschlands", sollten wieder erweckt werden. Nicht nur in der Kunstszene, auch im Bürgertum war das Unbehagen an den Zuständen im Kaiserreich am Ende des 19. Jahrhunderts groß. Viele Deutsche hatten Angst vor weiterer Industrialisierung, zerstörten Landschaften, Profitdenken und Materialismus.
Arn Strohmeyer beschrieb die diffuse Stimmung der damaligen Zeit. Da war Langbehns Buch "Rembrandt als Erzieher" richtungweisend. Es stieß bei den Worpsweder Malern auf Interesse. Laut Strohmeyer sind Kunstkritiker weder bei Mackensen noch bei Modersohn auf diese Einflüsse eingegangen. Er zitierte Mackensen, der Langbehns Buch verschlungen habe: "Wir lebten in dem Gedanken, dass Rembrandt auf derselben geographischen Linie geboren ist und gelebt hat, auf der Worpswede liegt." Weiter bekannte der Maler: "Wir waren fest verbunden mit Blut und Boden und daraus erwuchs unsere überragende Leistung."
Auch die niedersächsische Heimatbewegung um 1900 verfolgte eine rückwärtsgewandte Utopie. Durch ihre Traditionslinie und ihre "niederdeutsche" Herkunft wurden die Worpsweder Maler zu Vorzeigekünstlern der NS-Zeit, auch ohne dass sie Blut-und-Boden-Bilder malten. Der Vortrag des langjährigen Politikredakteurs der Bremer Nachrichten verdeutlichte die Beteiligung der Bremer Kunsthalle und ihre Einbindung in die nationalsozialistische Kulturpolitik, die Abhängigkeit von kulturpolitischen Normen und vom allgemeinen Kunstgeschmack. Die Nationalsozialisten machten das Kunstmuseum zum "Kunsttempel des Volkes", in dem vor allem "Heimatkunst" gezeigt wurde. Da abstrakte Kunst keine Wirklichkeitsabbildung leistet, galt sie als entartet. So nutzten die NS-Propagandisten kleinbürgerliche Ressentiments gegen moderne Kunst für sich. Strohmeyer hinterfragte, wie weit die Kunsthalle freiwillig oder gezwungen unter den Einfluss nationalsozialistischer Kulturpolitik geriet. Welcher Druck wurde auf den
Direktor Emil Waldmann ausgeübt? Bekannt war die Kunsthalle für die Sammlungen des Kupferstichkabinetts, für Exponate deutscher und französischer Impressionisten, Werke der Expressionisten.
1933 wollte der "Kampfbund für Deutsche Kultur" die private Kunsthalle verstaatlichen und Waldmann abberufen. Man warf ihm unter anderem vor, die heimatliche Kunst zu vernachlässigen, bei Juden zu kaufen und französische Kunst zu bevorzugen. Die Kunsthalle aber blieb eine private Institution und Waldmann dank Senatsentscheidung Direktor. Arn Strohmeyer führte zwei Gründe für Waldmanns Verbleib an: seine Anpassung an die neuen Verhältnisse, offensichtlich unter politischem Druck, und die Rücksicht auf die einflussreichste Gruppe im Kunstverein, die Bremer Kaufmannschaft und Beamten, die sich mit den Verhältnissen arrangierten, solange man ihre wirtschaftlichen Interessen nicht antastete.
Im November 1933 wurden auf Verlangen der NS-Führung im Erdgeschoss vier Säle für Heimatkunst, Schwerpunkt Worpswede, freigeräumt. Bei der Eröffnung der Ausstellung "Die Kunst im Gau Weser-Ems" war der NS-Bürgermeister Markert anwesend. Zur Warnung wurden vor dem Saal der Moderne ein Vorhang und ein Schild angebracht: "Ausländer und Moderne". Auch wenn Waldmann kein Nazi war, zeigten die folgenden Ausstellungen, wie sehr er den Forderungen nachgab: "Niederdeutsche Künstler", "Deutsche Heimat und Siedlung", "Das wehrhafte Deutschland". 1937 trafen NS-Emissäre in Bremen ein, um "Verfallskunst" zu beschlagnahmen. Expressionistische Grafiken konnte Waldmann vorher verstecken. Er musste auflisten, welche Bilder von verfemten Künstlern bis 1933 gezeigt, welche abgehängt, welche ins Depot gekommen waren. 1940 kaufte Waldmann als Sachverständiger mit einer Delegation in Amsterdam "niederdeutsche" Kunst. Die eher geraubten als gekauften Bilder passten in das ideologische Konzept der
Heimatkunst.
Arn Strohmeyer sprach auch die enge Verbindung zur "Nordischen Kunsthochschule" an, deren Gründer Mackensen war. Waldmann beglückwünschte ihn zur Ernennung und unterrichtete dort. Da die Hochschule zur völkischen Formierung der Gesellschaft beitragen sollte, dürfte er kaum geistige Spielräume für seine Lehre gehabt haben. 1945 wählte Waldmann den Freitod.
Ein besonderes Anliegen Strohmeyers war es, auf das Buch "Die Kunsthalle Bremen im Dritten Reich" von Kai Artinger hinzuweisen. Es ist 2010 im Verlag Dr. Müller erschienen und kostet 68 Euro.
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