Interview mit Renate Meyer-Braun „Eine Lücke in der Wahrnehmung“

Frauen im Widerstand: Renate Meyer-Braun vom Bremer Frauenmuseum spricht im Bürgerhaus Weserterrassen unter anderem über Cato Bontjes van Beek.
08.01.2018, 06:33 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Gerald Weßel

Wo findet sich eigentlich das Bremer Frauenmuseum?

Renate Meyer-Braun: Nirgendwo und überall könnte man sagen. Wir haben keinen festen Ort und keine Dauerausstellung. Das ist ein Traum von uns, irgendwann einmal ein echtes, betretbares Museum zu haben, um über das Wirken und die Leistungen von Bremer Frauen in Geschichte und Gegenwart zu informieren. Bisher ist es aber nur ein virtuelles Museum durch Vorträge, Ausstellungen, verschiedene Initiativen, wie das Anbringen von Informationen über Frauen an Straßenschildern und historischen Bremer Gebäuden. Und natürlich haben wir eine Homepage.

Was für Ausstellungen sind das?

Zum Beispiel 2014, 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, gab es eine Ausstellung von uns: „Bremer Frauen an der Heimatfront 1914-1918“. Im selben Geiste nehmen wir jetzt an diesem Frauenfrühstück teil, zu dem wir eingeladen worden sind.

Was erwartet die Bremerinnen denn genau beim nächsten Frauenfrühstück?

Erstmal gibt es, was ganz wichtig ist, ein fantastisches Frühstücksbuffet für einen recht geringen Preis. Anschließend werden meine beiden Kolleginnen Regina Contzen und Romina Schmitter und ich selbst kurze Vorträge über Frauen des Widerstands halten. Dabei kommen die Frauen aus ganz verschiedenen Bereichen. Ich werde über Politikerinnen reden, Regina Contzen über Frauen aus dem Kulturbereich und Romina Schmitter über widerständige Christinnen. Sie alle haben sich aktiv gewehrt, aber auf sehr verschiedene Weise. Allesamt haben sie enorm viel riskiert – im äußersten Fall sogar ihr Leben.

Können Sie einige Beispiele nennen?

Ich kann da jetzt vor allem über meine Beispiele reden, und da gibt es so einige, denn es waren erstaunlich viele im politischen Widerstand in Bremen. Da gibt es zum Beispiel Anna Stiegler, Mitglied der SPD und Bürgerschaftsabgeordnete. Sie gehörte zu den ersten Frauen, die nach der Verkündigung des Frauenwahlrechts 1918 im folgenden Jahr in die bremische Bürgerschaft einzogen. Sie blieb auch nach dem Verbot der SPD, 1933, zusammen mit Genossen und Genossinnen, wie auch Hermine Berthold, aktiv und gehörte dem illegalen Bremer Parteivorstand an.

Was tat dieser Widerstand in der Regel? Was war sein Ziel?

Man traf sich in geheimen Versammlungen, getarnt als Geburtstagsfeiern, oder zu Ausflügen ins Grüne. Die Aktiven organisierten Hilfe für politische Gefangene. Man diskutierte und organisierte das Verteilen von illegalem politischem Material, das über Fahrradkuriere aus Holland herbeigeschafft wurde. Sie produzierten auch eigene Anti-Nazi-Broschüren, die sie auf heimlich organisierten Schreibmaschinen und Vervielfältigungsgeräten herstellten und an Zuverlässige verteilten. Der Kreis wurde aber schließlich an die Gestapo verraten und wegen Vorbereitung zum Hochverrat teilweise zu langen Zuchthausstrafen verurteilt.

Was drohte den Widerstandskämpferinnen und -kämpfern?

Anna Stiegler wurde zu fünf Jahren Frauenzuchthaus in Lübeck verurteilt. Hermine Berthold, über die ich auch spreche, zu vier Jahren. Im Zuchthaus trafen sie mit der Bremer Kommunistin Käthe Popall zusammen, die zu zwölf Jahren verurteilt worden war. Anna Stiegler musste anschließend bis zur Befreiung lange Zeit im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verbringen. Käthe Popall kam in verschiedene Lager in Schlesien. Hermine Berthold wurde 1939 zum zweiten Mal verhaftet. Noch schlimmer traf es Cato Bontjes van Beek. Sie stammte aus einer Fischerhuder Künstlerfamilie. Zeitweise lebte sie bei ihrem Vater in Berlin, wo sie in Kontakt zur von den Nazis sehr gefürchteten Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ geriet. Sie verteilte antifaschistische Flugblätter und wurde verhaftet. Sie ereilte das schlimmste Schicksal: Im Alter von nur 23 Jahren wurde Cato Bontjes van Beek in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.

Haben Sie den Eindruck, dass die Leistungen und Opfer der Frauen von damals zu wenig gewürdigt werden?

Ja, das ist sicher so. Diese Lücke in der historischen Wahrnehmung möchten wir gerne helfen zu füllen. Egal, ob als Hausfrauen, Künstlerinnen, Politikerinnen oder in welcher Rolle auch immer: Das Ansehen der historischen Leistungen von Frauen hat sich ja erst seit den 70er-Jahren maßgeblich geändert. Die historische Frauenforschung war auch für mich persönlich sehr prägend. Bisher hat sich die Erinnerung an den Widerstand sehr stark auf die Opfer des 20. Juli 1944, des Attentatsversuchs auf Adolf Hitler, konzentriert. Auch hier wird seit einer Reihe von Jahren weit mehr gesehen, als nur die daran beteiligten Personen. Zudem wird nach heutiger Sicht auch das widerständige Verhalten betrachtet und honoriert.

Was ist der Unterschied zum vorherigen „Widerstand“?

Dabei handelt es sich um kleinere Akte des Ungehorsams oder schlicht um Verhaltensweisen, die den von den Nationalsozialisten geforderten widersprachen. Einen guten Blick auf ein solches beispielhaftes Verhalten bieten Elisabeth und Thusnelda Forck. Sie waren in der Bremer St.-Stephani-Gemeinde aktiv und unterstützten dort jüdische Gemeindemitglieder, die sich hatten taufen lassen, aber dennoch deportiert werden sollten.

Wie unterstützten sie sie?

Die Frauen konnten die Deportation nicht verhindern, aber sie veranstalteten mit der ganzen Gemeinde einen Abschiedsgottesdienst und versorgten die Verstoßenen mit warmer Kleidung. Außerdem begleiteten sie sie, solange sie konnten. Das klingt alles harmlos, aber verärgerte die Nazis sehr, denn Juden zu unterstützen, war verboten und folglich sehr gefährlich. Sie kamen dafür nicht ins Konzentrationslager, mussten aber Geldbußen und berufliche Nachteile sowie ständige Beobachtung durch die Gestapo hinnehmen.

Das Interview führte Gerald Weßel.

Das Frauenfrühstück „Bremer Frauen leisten Widerstand gegen den NS-Staat“ ist am Mittwoch 10. Januar, um 10 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen am Osterdeich 70b. Einlass ist ab 9.30 Uhr. Der Eintritt kostet acht Euro. Eine Anmeldung unter 5 49 49-0 ist erforderlich. Mehr Informationen zum Bremer Frauenmuseum finden sich unter http://bremer-frauenmuseum.de.

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