Der Zuspruch an der Veranstaltung war riesig: Bis auf letzten Platz besetzt war der Saal, als es in der Veranstaltungsreihe „Bremer Stadtdialog“ um die Architektur des Europaquartiers ging. Die Bebauung soll voraussichtlich im April 2019 beginnen. Und für das Publikum im Saal der Energieleitzentrale gab es daran überhaupt nichts auszusetzen.
In höchsten Tönen wurde besonders der Entwurf des Frankfurter Architekten Stefan Forster gelobt, der den Zuschlag für die Gewoba-Bauten entlang der Konsul-Smidt-Straße bekommen hatte. Ebenso große Einigkeit herrschte aber auch darin, dass die Stadt die Verkehrsprobleme in den Griff bekommen muss. Erste Station auf dem Weg dorthin: Die Straßenbahn muss in die Überseestadt kommen.
300 Meter Wasserkante, 480 Wohnungen, 65.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche: Das 200-Millionen-Projekt rund um den Schuppen 3 ist das aktuell ambitionierteste Bauvorhaben in der Überseestadt. Noch 2014 hatte niemand der Stadt das Grundstück abkaufen wollen – bis Jens Lütjen, Geschäftsführer des Bremer Immobilienunternehmens Robert C. Spies, das Interesse von Ingo Damaschke weckte.
Im April 2016 präsentierte der Chef der Asset Immobilien GmbH den groben „Masterplan“, der im Büro der Architekten Manfred Schomers und Rainer Schürmann im Speicher I entstanden war. Doch vor irgendeiner konkreten Umsetzung forderte die Stadt einen Architektenwettbewerb, an dem sich insgesamt 32 Büros aus der gesamten Bundesrepublik beteiligten, der sich über ein Jahr hinzog und 600.000 Euro kostete.
„Im Nachhinein bin ich froh, dass ich zu meinem Glück gezwungen wurde“, erzählte Damaschke. Denn das Ergebnis sei „genial“. Jury-Mitglied und Architekturprofessorin Katja Pahl stellte die Kandidaten in der engeren Auswahl für vier separate Wettbewerbe vor, die für das Hochhaus, die acht Wohnhäuser an der Promenade, den Bereich um den eigentlichen Schuppen sowie den Riegel in der zweiten Reihe ausgelobt worden waren.
Für den „Hochpunkt“ mit 15 Geschossen überzeugte der Entwurf der Berliner Architekten Sauerbruch Hutton mit seiner wellenförmig gestalteten Fassade, die die Architekturprofessorin an ein Segelschiff erinnerte. Den Auftrag für je vier der frei finanzierten Hafenhäuser erhielten das Bremer Büro Haslop Kruse & Partner und die Berliner Kollegen Springer Architekten.
"Riesig froh" über eine Vorgabe
Bei der Gestaltung der Ostseite mit dem Schuppen-Altbau gefiel die „besonders kommunikative Erschließungssituation“ des Hamburger Büros Störmer, Murphy und Partner. In diesem Bereich wünscht sich Investor Damaschke eine Mischung von Büros, Handel, Künstlerateliers und ein „tolles Restaurant“. Der von allen Jurymitgliedern favorisierte Plan für die Gewoba-Mietshäuser kam aus Frankfurt. „Dieser Wettbewerb war auch für mich etwas Besonderes“, gestand Architekt und Preisträger Stefan Forster.
Die Aufgabe sei gewesen, „einen Rücken zu schaffen für das Gedöns da vorne“, wie der Pfälzer launig berichtete. Außerdem galt es, jeder einzelnen Wohnung einen Wasserblick zu garantieren. Über eine Vorgabe sei er sogar „riesig froh“ gewesen, erzählte Forster: Statt einer „Pappe, wie man sie zurzeit überall hinschmiert“ hatte sich der Bauherr eine Vollklinkerfassade ausbedungen.
Im Ergebnis stehe die Qualität der Bebauung den Eigentumswohnungen der ersten Reihe in nichts nach, lautete das Fazit des Frankfurter Architekts: „Es ist den Häusern nicht anzusehen, dass sie sozial gefördert sind.“ Forster verriet außerdem, dass der prämierte Entwurf auch in Hessen auf großes Wohlgefallen fiel. In Offenbach wurde ein Gebäude gleichen Typs in Auftrag gegeben.
Stolz auf den Gewoba-Beitrag
Mit seinen verschiedenen Bausteinen und Themen, der Aufenthaltsqualität und der geplanten Brücke zum südlichen Weserufer habe das Europaquartier das Potenzial, sich zur „emotionalen Mitte der Überseestadt zu entwickeln“, urteilte Senatsbaudirektorin Iris Reuther. „Wir puzzeln die Überseestadt allmählich zu einem ganzheitlichen Ort, der vielen Zielgruppen gerecht wird“, formulierte Immobilienprofi Lütjen.
„Ein bisschen stolz“ auf den Gewoba-Beitrag äußerte sich Martin Paßlack, Leiter Neubau/Stadtentwicklung des größten Bremer Immobilienunternehmens. „Er ist ein deutliches Zeichen: In der Überseestadt kann man nicht nur hochpreisig schön wohnen.“ Ortsamtsleiterin Pala freute sich im Namen des Waller Beirats bereits auf die Umsetzung der „klasse Entwürfe“, betonte aber, dass sich ein echtes Wir-Gefühl zwischen dem Stadtteil Walle und seinem Ortsteil Überseestadt nur einstellen könne, wenn die Verbindungswege verbessert würden.
„Mein Traum wäre die Untertunnelung eines Teils der Nordstraße für den motorisierten Verkehr, und darüber eine Fußgängerzone“, erzählte Pala. „Wir müssen über den Verkehr nachdenken“, lautete auch der Appell von Ingo Damaschke. Es nütze ökologisch wenig, wenn die Häuser super gedämmt, die Bewohner aber auf Autos angewiesen seien.
"Die Überseestadt erstickt an ihrem eigenen Erfolg"
„Die Straßenbahn muss einfach kommen. Die Stadt muss in Vorleistung gehen“, forderte der Unternehmer. Bei diesem Thema hielt es auch Bürgerschaftsmitglied Robert Bücking nicht mehr auf seinem Sitz im Zuschauerraum. „Die Überseestadt erstickt an ihrem eigenen Erfolg“, warnte der baupolitische Sprecher der Grünen-Fraktion. Seine Lösungsvorschläge: Die einspurige Führung der Straßenbahnlinie 3 durch die Konsul-Smidt-Straße in Richtung Wendebecken, sowie die Verlegung der Großmarkt-Zufahrt über die Eduard-Suling-Straße. Bücking hatte auch das letzte Wort des Abends: „Wenn wir hier nicht korrigieren, gefährden wir, was bis jetzt erreicht wurde.“