Serie "Mit dem Bauer durchs Jahr" Extraschicht auf dem Feld

Zum Jahresbeginn stellen sich Bauern eine bange Frage: Reicht meine Lagerkapazität? Wenn nicht, wohin dann mit der anfallenden Gülle? „Da muss man die Nerven behalten“, sagt Henning Kruse, den DIE NORDDEUTSCHE in einer Langzeitreportage begleitet.
27.02.2016, 00:00 Uhr
Lesedauer: 6 Min
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Extraschicht auf dem Feld
Von Barbara Wenke

Was muss im Stall getan werden? Welche Arbeiten stehen wann auf dem Feld an? Wie funktioniert eine Biogas-Anlage? In einer Langzeitreportage begleitet DIE NORDDEUTSCHE den landwirtschaftlichen Betrieb von Henning Kruse aus dem Lemwerderaner Ortsteil Butzhausen. Monat für Monat erfahren die Leser, welche Arbeiten auf dem Hof zu erledigen sind.

Jeweils zu Jahresbeginn stellen sich die Bauern eine bange Frage: Reicht meine Lagerkapazität? Wenn nicht, wohin dann mit der täglich anfallenden Gülle? „Da muss man die Nerven behalten“, sagt Henning Kruse. Irgendwie funktioniere es immer. „Man fährt so lange hier und da etwas hin, bis aller Platz ausgenutzt ist.“ Landwirte, die ihre Gülle nicht in Gänze auf dem eigenen Hof lagern können, mieten Silos und Güllekeller auf anderen Bauernhöfen an.

Sie stehen vor einem Dilemma: In der Zeit, in der sie die Gülle am wenigsten gebrauchen können, fällt am meisten an. Die Kühe verdauen ihr Futter natürlich auch im Winter. Dann stehen sie aber im Stall, sodass die Exkremente nicht wie im Sommer auf der Wiese, sondern in den Kellern unter den Spaltenböden der Boxenlaufställe landen. Gegen Ende des Winters sind diese bis zum Rand gefüllt.

Einfach raus damit aufs Land – das geht nicht. Laut Gesetz dürfen die Bauern die Gülle, die für das Wachstum von Gras und Ackerpflanzen wichtige Nährstoffe enthält, nicht während der Wintermonate ausbringen. Zwischen dem 15. November und dem 31. Januar besteht ein generelles Düngeverbot für Gülle auf Grünland.

Henning Kruse hat sich davon befreit. Per Antrag an die Landwirtschaftskammer hat der Butzhauser seine Ruhephase um vier Wochen vorgezogen. „Der Dünger hilft mir im Herbst nicht so viel wie im Frühjahr“, sagt der Landwirt, während er auf seinen Trecker Platz nimmt. An diesem Februartag hat er Glück. Die Temperaturen sollen in der Nacht unter den Gefrierpunkt fallen. Das verspricht einen tragfähigen Boden. Für den nächsten Tag sagt der Wetterdienst steigende Werte voraus. Das Thermometer soll wieder über die Null-Grad-Grenze klettern. Ideale Bedingungen für den Landwirt. „Bei Dauerfrost darf ich keine Gülle ausbringen. Auch nicht bei einer geschlossenen Schneedecke.“ Der Grund: Der Schnee soll die Gülle beim Schmelzen nicht mitnehmen. Zudem muss der Boden tagsüber antauen, damit der dickflüssige Dünger in den Boden eindringen kann. Liegt er oben auf, kann es passieren, dass er mit dem nächsten Regen in den nächsten Graben gespült wird.

Es ist stockduster als Henning Kruse seinen Trecker besteigt. Eine lange Nacht liegt vor dem Betriebsleiter. Nur er, der Trecker und das Güllefass. Es ist bereits die zweite Nacht, in der der 48-Jährige kaum Schlaf bekommen wird. „Ab 22 Uhr kommt Frost. Da ist der Boden tragfähig.“

Er fährt in dieser Nacht die höher gelegenen Flächen seines Betriebes an, um die Gülle zu verteilen. Die Anwohner werden von den Touren wenig mitbekommen. Sie hören allenfalls die Motorgeräusche. Den typischen Güllegeruch wird es nicht geben, verspricht Henning Kruse. „Biogasgülle setzt kein Methan mehr frei. Deshalb riecht sie nicht.“ Dass nicht jeder Landwirt dazu übergeht, eine Biogasanlage zu bauen, mag an den Kosten liegen. „Die sind nicht unerheblich“, räumt Henning Kruse ein. „Man muss schon viel Enthusiasmus mitbringen.“

Für den Butzhauser ist der Februar die ideale Zeit zum Güllefahren. „Gülle braucht circa drei Monate um vom Gras ideal umgesetzt zu werden“, begründet das der Betriebsleiter. Im Mai seien die Weiden dann richtig grün. Dass Kruse Mitte Februar erst zum zweiten Mal in diesem Jahr seine Gülle ausbringt, obwohl er bereits sechs Wochen lang hätte fahren dürfen, ist dem Wetter geschuldet. Der Marschboden war zu nass. „Der Boden ist dann nicht befahrbar. Es schadet der Narbe, wenn man mit dem schweren Gerät bei diesem nassen Untergrund fährt.“

Henning Kruse bringt nur so viel Gülle aus, bis ihm wieder ausreichend Lagerkapazität zur Verfügung steht. Die übrige Gülle hält er bewusst zurück. „Im Mai brauche ich noch ausreichend Dünger für meine Maisflächen und für die Flächen der Landwirte, die für mich Mais anbauen.“

Die Arbeit auf dem Hof geht unabhängig von Kruses nächtlichen Einsätzen weiter. Um sechs Uhr steht Aija Macuka im Stall und treibt die Milchkühe Richtung Melkstand. Die Schwarzbunten drängen sich vor der Absperrung. Sobald Aija Macuka das Gitter öffnet, drängen die ersten hinein. Jeweils 22 Kühe stehen nun zu beiden Seiten eines tiefer gelegenen Ganges, von dem aus die Melkgeschirre an die Euter angesetzt werden. Kruses Melkstand ist nicht der modernste der Branche. Kein Roboter, der selbstständig melkt. Und auch kein sogenanntes Karussell. „Aber“, preist der Betriebsleiter seine Anlage, „hier kann ein Mensch alleine alle 300 Kühe melken“. Gut drei Stunden ist Aija Macuka mit dem Melken beschäftigt. Anschließend säubert die Melkerin die Geschirre sowie den Stand. Dann fährt sie nach Hause. Am frühen Abend wird sie wieder kommen. Um 18 Uhr beginnt auf dem Hof Kruse der zweite Melkdurchgang des Tages. Im Vergleich zu anderen Höfen ist das spät. Aber Kruse will das Zeitfenster, in dem niemand im Stall ist, möglichst klein halten.

Während Aija Macuka den Melkstand säubert, füttert Ela Woloszyn die Kälber. Im Normalfall stellt die Mitarbeiterin ihnen Schalen mit Milch vor die Boxen. An diesem Morgen hat sie allerdings einen neuen Zögling, der das Trinken aus der Schale einfach nicht lernen will. Er bekommt seine Milch ausnahmsweise aus einer Flasche mit Nuckel.

Eine Woche nach den nächtlichen Güllefahrten muss Henning Kruse selbst früh auf dem Hof mit anpacken. Ela Woloszyn und ihr Lebensgefährte Radek Szczesniak haben sich den Morgen frei genommen. Kruse bereitet die Futtermischung zu. Der Dienst beginnt mit einem Ärgernis: Eine Anzeige des Mischwagens leuchtet. Die Harnstofflösung, die bei Dieselfahrzeugen umweltschädliche Stickoxide zu großen Teilen in Wasserdampf und Stickstoff umwandelt, muss aufgefüllt werden. Doch die Tankvorrichtung streikt. Wenn alles schief läuft, lässt sich der Motor nicht wieder starten. Vorerst arbeitet der „Siloking“ aber nach Wunsch. Henning Kruse füllt Kraftfutter ein und fügt eine speziell auf seinen Betrieb abgestimmte Mineralstoffmischung hinzu. „Weil wir pro Lieferung mehr als zwei Tonnen abnehmen, mischt die Firma uns das Futter so zusammen, wie ich es möchte.“ Kruse hat gelernt: „Alles was nicht optimal ist, kostet uns Milch.“

Er sagt, Kühe seien wie Hochleistungssportler: Wenn sie im Stall in ihren Liegeboxen vor sich hin dösen, arbeite ihr Magen auf Hochtouren. Rinder sind Wiederkäuer. Ihr Magen besteht aus vier Abschnitten. Bei der Aufnahme wird die Nahrung nur grob zerkaut. In den ersten drei Mägen wird das Futter vorverdaut. Erst im vierten wird der Nahrungsbrei fertig verdaut.

Heu bekommen Kruses Kühe nicht. Das Gras kommt im Winter als Silage daher, das heißt, es wurde durch Gärung konserviert. Die Silagehaufen lagern luftdicht abgedeckt unter Planen. Sobald Luft an das gegorene Gras kommt, beginnt es zu schimmeln. Für die Rinder wäre es dann ungenießbar. Auf 100 Gramm genau kann Henning Kruse die Zutaten mit dem „Siloking“ dosieren. Die letzte Komponente ist Biertreber. „Den mögen die Kühe besonders gern“, hat der Butzhauser festgestellt. Das Abfallprodukt aus der Brauerei verklebt die einzelnen Futtermittel miteinander, so dass sich die Kühe nicht nur die leckeren Körner heraussuchen können, sondern auch das Raufutter mit aufnehmen müssen.

Bevor der Betriebsleiter das Futter verteilt, schaut er nach zwei trächtigen Schwarzbunten, bei denen zum ersten Mal eine Geburt bevorsteht. Eine Färse, so werden die jungen Kühe genannt, hat die Geburt bereits ohne Hilfe geschafft. Bei der zweiten schauen die Vorderfüße des Kalbes aus dem Geburtskanal. Vorsichtig prüft Kruse die Lage des Kalbs. Dann legt der Geburtshelfer ein Metallgestell am Hinterteil der Kuh an, befestigt ein Tau an den Vorderläufen des Kalbes und beginnt, das Tier mit jeder Wehe ein Stückchen weiter herauszuziehen. Nach weniger als zwei Minuten gleitet ein kleiner Bulle ins Stroh. „Das ist auch nach Tausenden von Kälbern noch ein Highlight“, flüstert Henning Kruse, und wischt die Fruchtblase von der Nase des Neugeborenen.

Kruse lässt Mutter und Sohn alleine, schnappt sich das andere Kälbchen und trägt es zu einer Kunststoffbox außerhalb des Stalls. Die Kälber werden früh von der Mutter getrennt. „Wenn die erst einmal am Euter gesaugt haben, lernen die das Trinken aus der Schale nicht mehr so schnell“, begründet der Landwirt das aus menschlicher Sicht gefühllose Vorgehen.

Kaum liegen beide Kälber in der Box, übernimmt Ela Woloszyn und verpasst dem vierbeinigen Nachwuchs gelbe Ohrmarken. „Das ist so, wie wenn wir uns ein Loch ins Ohr stechen lassen“, erklärt die Mitarbeiterin. Zusätzlich nimmt sie eine Gewebeprobe. „Erst wenn das Veterinäramt bestätigt, dass die Gewebeprobe unauffällig ist, können wir das Kalb verkaufen“, erläutert Henning Kruse. Während sich Ela Woloszyn den Kälbern widmet, beginnt Radek Szczesniak das Futter zu verteilen. Zeit für Henning Kruse, sich vorübergehend auf einen Kaffee zurückzuziehen.

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